in meinem Nacken zu lösen. Ich gestehe reumütig, daß mir in diesem Augenblicke der Duft der guten "Petersilie" nicht im geringsten widerwärtig war. Ihr Vorhaben gelang, und ich streckte die schmerzenden Arme mit Wonne aus und gönnte der so lange eingepreßten Brust einen tiefen Atemzug. Madana aber nahm von jetzt an ihren Platz draußen vor der Hütte, wo sie jeden Nahenden bereits von weitem sehen und hören konnte. Daß unsere Unterhaltung durch die Thüröffnung fortgesetzt werden könne, bewies mir die brave Alte auf der Stelle.
"Wenn jemand kommt, werde ich dich einstweilen wieder binden," sagte sie; "und dann -- dann -- -- dann -- -- -- o Herr, würdest du wiederkommen, wenn ich dir erlaube, einmal fortzugehen?"
"Ja. Wohin aber soll ich gehen?"
"Hinüber auf den Berg, zum Ruh 'i kulyan."
Ich horchte erstaunt auf. Das war ja ein Aben- teuer, wie mir noch selten eines geboten worden war. Ich sollte heimlich aus meiner Gefangenschaft beurlaubt werden, um den geheimnisvollen "Geist der Höhle" kennen zu lernen.
"Ich gehe, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich ganz sicher wiederkomme!" versprach ich Madana mit Freuden. "Aber ich kenne den Weg ja nicht!"
"Ich rufe Ingdscha, welche dich führen wird."
Ingdscha heißt "Perle". Dieser Name war viel- versprechend.
"Wer ist Ingdscha?" erkundigte ich mich neugierig.
"Eine der Töchter von Nedschir-Bey."
"Von diesem?" fragte ich überrascht.
"Die Tochter ist anders als der Vater, Herr."
"Aber wird sie mich auf den Weg führen, da sie weiß, daß es ihrem Vater gilt?"
in meinem Nacken zu löſen. Ich geſtehe reumütig, daß mir in dieſem Augenblicke der Duft der guten „Peterſilie“ nicht im geringſten widerwärtig war. Ihr Vorhaben gelang, und ich ſtreckte die ſchmerzenden Arme mit Wonne aus und gönnte der ſo lange eingepreßten Bruſt einen tiefen Atemzug. Madana aber nahm von jetzt an ihren Platz draußen vor der Hütte, wo ſie jeden Nahenden bereits von weitem ſehen und hören konnte. Daß unſere Unterhaltung durch die Thüröffnung fortgeſetzt werden könne, bewies mir die brave Alte auf der Stelle.
„Wenn jemand kommt, werde ich dich einſtweilen wieder binden,“ ſagte ſie; „und dann — dann — — dann — — — o Herr, würdeſt du wiederkommen, wenn ich dir erlaube, einmal fortzugehen?“
„Ja. Wohin aber ſoll ich gehen?“
„Hinüber auf den Berg, zum Ruh 'i kulyan.“
Ich horchte erſtaunt auf. Das war ja ein Aben- teuer, wie mir noch ſelten eines geboten worden war. Ich ſollte heimlich aus meiner Gefangenſchaft beurlaubt werden, um den geheimnisvollen „Geiſt der Höhle“ kennen zu lernen.
„Ich gehe, und du kannſt dich darauf verlaſſen, daß ich ganz ſicher wiederkomme!“ verſprach ich Madana mit Freuden. „Aber ich kenne den Weg ja nicht!“
„Ich rufe Ingdſcha, welche dich führen wird.“
Ingdſcha heißt „Perle“. Dieſer Name war viel- verſprechend.
„Wer iſt Ingdſcha?“ erkundigte ich mich neugierig.
„Eine der Töchter von Nedſchir-Bey.“
„Von dieſem?“ fragte ich überraſcht.
„Die Tochter iſt anders als der Vater, Herr.“
„Aber wird ſie mich auf den Weg führen, da ſie weiß, daß es ihrem Vater gilt?“
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in meinem Nacken zu löſen. Ich geſtehe reumütig, daß
mir in dieſem Augenblicke der Duft der guten „Peterſilie“
nicht im geringſten widerwärtig war. Ihr Vorhaben
gelang, und ich ſtreckte die ſchmerzenden Arme mit Wonne
aus und gönnte der ſo lange eingepreßten Bruſt einen
tiefen Atemzug. Madana aber nahm von jetzt an ihren
Platz draußen vor der Hütte, wo ſie jeden Nahenden
bereits von weitem ſehen und hören konnte. Daß unſere
Unterhaltung durch die Thüröffnung fortgeſetzt werden
könne, bewies mir die brave Alte auf der Stelle.
„Wenn jemand kommt, werde ich dich einſtweilen
wieder binden,“ ſagte ſie; „und dann — dann — —
dann — — — o Herr, würdeſt du wiederkommen, wenn
ich dir erlaube, einmal fortzugehen?“
„Ja. Wohin aber ſoll ich gehen?“
„Hinüber auf den Berg, zum Ruh 'i kulyan.“
Ich horchte erſtaunt auf. Das war ja ein Aben-
teuer, wie mir noch ſelten eines geboten worden war.
Ich ſollte heimlich aus meiner Gefangenſchaft beurlaubt
werden, um den geheimnisvollen „Geiſt der Höhle“
kennen zu lernen.
„Ich gehe, und du kannſt dich darauf verlaſſen, daß
ich ganz ſicher wiederkomme!“ verſprach ich Madana mit
Freuden. „Aber ich kenne den Weg ja nicht!“
„Ich rufe Ingdſcha, welche dich führen wird.“
Ingdſcha heißt „Perle“. Dieſer Name war viel-
verſprechend.
„Wer iſt Ingdſcha?“ erkundigte ich mich neugierig.
„Eine der Töchter von Nedſchir-Bey.“
„Von dieſem?“ fragte ich überraſcht.
„Die Tochter iſt anders als der Vater, Herr.“
„Aber wird ſie mich auf den Weg führen, da ſie
weiß, daß es ihrem Vater gilt?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/579>, abgerufen am 27.11.2024.
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