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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Sabbah'l ker!" antwortete ihm auch der Melek.

"Deine Boten," fuhr der Ankömmling fort,"sagten
mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt."

"Katera Chodeh -- Gott sei Dank, es ist so!"

"Wo sind deine Gefangenen?"

Der Melek deutete auf uns, und der andere musterte
uns mit finstern Blicken. Dann fragte er:

"Welcher ist der Bey von Gumri?"

"Dieser."

"So!" sagte gedehnt der Riese. "Also dieser Mann
ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd-
el-Summit-Bey nannte? Gott sei Dank, daß du ihn ge-
fangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen
haben."

Der Bey hörte diese Worte, ohne sie einer Entgeg-
nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten,
diesem Manne eine falsche Vorstellung von uns zu lassen.
Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der
Frage:

"Melek, wer ist dieser Bekannte von dir?"

"Es ist der Rais *) von Schuhrd."

"Und wie heißt er?"

"Nedschir-Bey."

Das Kurmangdschi-Wort Nedschir bedeutet: ,tapferer
Jäger', und da sich der Riese zugleich den für einen Chal-
däer so ungewöhnlichen Titel ,Bey' zugelegt hatte, so war
sehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß
besitzen müsse. Dennoch aber sagte ich ihm:

"Nedschir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht
vollständig gesagt. Wir sind -- --"

"Hund!" unterbrach er mich drohend. "Wer redet
mit dir? Schweige, bis du gefragt wirst!"

*) Oberhaupt.

„Sabbah'l ker!“ antwortete ihm auch der Melek.

„Deine Boten,“ fuhr der Ankömmling fort,„ſagten
mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt.“

„Katera Chodeh — Gott ſei Dank, es iſt ſo!“

„Wo ſind deine Gefangenen?“

Der Melek deutete auf uns, und der andere muſterte
uns mit finſtern Blicken. Dann fragte er:

„Welcher iſt der Bey von Gumri?“

„Dieſer.“

„So!“ ſagte gedehnt der Rieſe. „Alſo dieſer Mann
iſt der Sohn des Würgers unſerer Leute, der ſich Abd-
el-Summit-Bey nannte? Gott ſei Dank, daß du ihn ge-
fangen haſt! Er wird die Sünden ſeines Vaters zu tragen
haben.“

Der Bey hörte dieſe Worte, ohne ſie einer Entgeg-
nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten,
dieſem Manne eine falſche Vorſtellung von uns zu laſſen.
Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der
Frage:

„Melek, wer iſt dieſer Bekannte von dir?“

„Es iſt der Raïs *) von Schuhrd.“

„Und wie heißt er?“

„Nedſchir-Bey.“

Das Kurmangdſchi-Wort Nedſchir bedeutet: ‚tapferer
Jäger‘, und da ſich der Rieſe zugleich den für einen Chal-
däer ſo ungewöhnlichen Titel ‚Bey‘ zugelegt hatte, ſo war
ſehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß
beſitzen müſſe. Dennoch aber ſagte ich ihm:

„Nedſchir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht
vollſtändig geſagt. Wir ſind — —“

„Hund!“ unterbrach er mich drohend. „Wer redet
mit dir? Schweige, bis du gefragt wirſt!“

*) Oberhaupt.
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[510/0524] „Sabbah'l ker!“ antwortete ihm auch der Melek. „Deine Boten,“ fuhr der Ankömmling fort,„ſagten mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt.“ „Katera Chodeh — Gott ſei Dank, es iſt ſo!“ „Wo ſind deine Gefangenen?“ Der Melek deutete auf uns, und der andere muſterte uns mit finſtern Blicken. Dann fragte er: „Welcher iſt der Bey von Gumri?“ „Dieſer.“ „So!“ ſagte gedehnt der Rieſe. „Alſo dieſer Mann iſt der Sohn des Würgers unſerer Leute, der ſich Abd- el-Summit-Bey nannte? Gott ſei Dank, daß du ihn ge- fangen haſt! Er wird die Sünden ſeines Vaters zu tragen haben.“ Der Bey hörte dieſe Worte, ohne ſie einer Entgeg- nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten, dieſem Manne eine falſche Vorſtellung von uns zu laſſen. Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der Frage: „Melek, wer iſt dieſer Bekannte von dir?“ „Es iſt der Raïs *) von Schuhrd.“ „Und wie heißt er?“ „Nedſchir-Bey.“ Das Kurmangdſchi-Wort Nedſchir bedeutet: ‚tapferer Jäger‘, und da ſich der Rieſe zugleich den für einen Chal- däer ſo ungewöhnlichen Titel ‚Bey‘ zugelegt hatte, ſo war ſehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß beſitzen müſſe. Dennoch aber ſagte ich ihm: „Nedſchir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht vollſtändig geſagt. Wir ſind — —“ „Hund!“ unterbrach er mich drohend. „Wer redet mit dir? Schweige, bis du gefragt wirſt!“ *) Oberhaupt.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/524>, abgerufen am 12.05.2024.