"Deine Boten," fuhr der Ankömmling fort,"sagten mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt."
"Katera Chodeh -- Gott sei Dank, es ist so!"
"Wo sind deine Gefangenen?"
Der Melek deutete auf uns, und der andere musterte uns mit finstern Blicken. Dann fragte er:
"Welcher ist der Bey von Gumri?"
"Dieser."
"So!" sagte gedehnt der Riese. "Also dieser Mann ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd- el-Summit-Bey nannte? Gott sei Dank, daß du ihn ge- fangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen haben."
Der Bey hörte diese Worte, ohne sie einer Entgeg- nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten, diesem Manne eine falsche Vorstellung von uns zu lassen. Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der Frage:
"Melek, wer ist dieser Bekannte von dir?"
"Es ist der Rais *) von Schuhrd."
"Und wie heißt er?"
"Nedschir-Bey."
Das Kurmangdschi-Wort Nedschir bedeutet: ,tapferer Jäger', und da sich der Riese zugleich den für einen Chal- däer so ungewöhnlichen Titel ,Bey' zugelegt hatte, so war sehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß besitzen müsse. Dennoch aber sagte ich ihm:
"Nedschir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht vollständig gesagt. Wir sind -- --"
"Hund!" unterbrach er mich drohend. "Wer redet mit dir? Schweige, bis du gefragt wirst!"
*) Oberhaupt.
„Sabbah'l ker!“ antwortete ihm auch der Melek.
„Deine Boten,“ fuhr der Ankömmling fort,„ſagten mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt.“
„Katera Chodeh — Gott ſei Dank, es iſt ſo!“
„Wo ſind deine Gefangenen?“
Der Melek deutete auf uns, und der andere muſterte uns mit finſtern Blicken. Dann fragte er:
„Welcher iſt der Bey von Gumri?“
„Dieſer.“
„So!“ ſagte gedehnt der Rieſe. „Alſo dieſer Mann iſt der Sohn des Würgers unſerer Leute, der ſich Abd- el-Summit-Bey nannte? Gott ſei Dank, daß du ihn ge- fangen haſt! Er wird die Sünden ſeines Vaters zu tragen haben.“
Der Bey hörte dieſe Worte, ohne ſie einer Entgeg- nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten, dieſem Manne eine falſche Vorſtellung von uns zu laſſen. Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der Frage:
„Melek, wer iſt dieſer Bekannte von dir?“
„Es iſt der Raïs *) von Schuhrd.“
„Und wie heißt er?“
„Nedſchir-Bey.“
Das Kurmangdſchi-Wort Nedſchir bedeutet: ‚tapferer Jäger‘, und da ſich der Rieſe zugleich den für einen Chal- däer ſo ungewöhnlichen Titel ‚Bey‘ zugelegt hatte, ſo war ſehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß beſitzen müſſe. Dennoch aber ſagte ich ihm:
„Nedſchir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht vollſtändig geſagt. Wir ſind — —“
„Hund!“ unterbrach er mich drohend. „Wer redet mit dir? Schweige, bis du gefragt wirſt!“
*) Oberhaupt.
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„Sabbah'l ker!“ antwortete ihm auch der Melek.
„Deine Boten,“ fuhr der Ankömmling fort,„ſagten
mir, daß ihr einen großen Sieg errungen habt.“
„Katera Chodeh — Gott ſei Dank, es iſt ſo!“
„Wo ſind deine Gefangenen?“
Der Melek deutete auf uns, und der andere muſterte
uns mit finſtern Blicken. Dann fragte er:
„Welcher iſt der Bey von Gumri?“
„Dieſer.“
„So!“ ſagte gedehnt der Rieſe. „Alſo dieſer Mann
iſt der Sohn des Würgers unſerer Leute, der ſich Abd-
el-Summit-Bey nannte? Gott ſei Dank, daß du ihn ge-
fangen haſt! Er wird die Sünden ſeines Vaters zu tragen
haben.“
Der Bey hörte dieſe Worte, ohne ſie einer Entgeg-
nung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten,
dieſem Manne eine falſche Vorſtellung von uns zu laſſen.
Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der
Frage:
„Melek, wer iſt dieſer Bekannte von dir?“
„Es iſt der Raïs *) von Schuhrd.“
„Und wie heißt er?“
„Nedſchir-Bey.“
Das Kurmangdſchi-Wort Nedſchir bedeutet: ‚tapferer
Jäger‘, und da ſich der Rieſe zugleich den für einen Chal-
däer ſo ungewöhnlichen Titel ‚Bey‘ zugelegt hatte, ſo war
ſehr leicht zu erraten, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß
beſitzen müſſe. Dennoch aber ſagte ich ihm:
„Nedſchir-Bey, der Melek hat dir die Wahrheit nicht
vollſtändig geſagt. Wir ſind — —“
„Hund!“ unterbrach er mich drohend. „Wer redet
mit dir? Schweige, bis du gefragt wirſt!“
*) Oberhaupt.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/524>, abgerufen am 23.12.2024.
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