Ich lächelte ihm sehr freundlich in die Augen, zog aber dabei mein Messer recht auffällig aus dem Gürtel.
"Wer giebt dir die Erlaubnis, die Gäste des Melek Hunde zu nennen?" fragte ich ihn.
"Gäste?" sagte er verächtlich. "Hat der Melek nicht soeben euch seine Gefangenen genannt?"
"Eben darum wollte ich dir sagen, daß er dir die Wahrheit nicht vollständig mitgeteilt hat. Frage ihn, ob wir seine Gäste oder seine Gefangenen sind."
"Seid, was ihr wollt; gefangen hat er euch den- noch. Aber stecke dein Messer in den Gürtel, sonst schlage ich dich vom Pferde!"
"Nedschir-Bey, du bist ein sehr spaßhafter Mann; ich aber bin sehr ernst gestimmt. Sei in Zukunft höflich gegen uns, sonst wird es sich zeigen, wer den andern vom Pferde schlägt!"
"Hund und abermals Hund! Da hast du es!"
Bei diesen Worten erhob er die Faust und versuchte, sein Pferd an das meinige zu drängen; aber der Melek hielt ihn bei dem Arme fest und rief:
"Beim heiligen Jesujabos, halte ein, sonst bist du verloren!"
"Ich?" rief der Riese ganz verdutzt.
"Ja, du!"
"Warum?"
"Dieser fremde Krieger ist kein Kurde, sondern ein Emir aus dem Abendlande. Er hat die Kraft des Bären in der Faust und er trägt Waffen bei sich, denen niemand widerstehen kann. Er ist mein Gast; sei fortan freundlich mit ihm und den Seinigen!"
Der Rais schüttelte den Kopf.
"Ich fürchte keinen Kurden und keinen Abendländer. Weil er dein Gast ist, so will ich ihm verzeihen; aber er
Ich lächelte ihm ſehr freundlich in die Augen, zog aber dabei mein Meſſer recht auffällig aus dem Gürtel.
„Wer giebt dir die Erlaubnis, die Gäſte des Melek Hunde zu nennen?“ fragte ich ihn.
„Gäſte?“ ſagte er verächtlich. „Hat der Melek nicht ſoeben euch ſeine Gefangenen genannt?“
„Eben darum wollte ich dir ſagen, daß er dir die Wahrheit nicht vollſtändig mitgeteilt hat. Frage ihn, ob wir ſeine Gäſte oder ſeine Gefangenen ſind.“
„Seid, was ihr wollt; gefangen hat er euch den- noch. Aber ſtecke dein Meſſer in den Gürtel, ſonſt ſchlage ich dich vom Pferde!“
„Nedſchir-Bey, du biſt ein ſehr ſpaßhafter Mann; ich aber bin ſehr ernſt geſtimmt. Sei in Zukunft höflich gegen uns, ſonſt wird es ſich zeigen, wer den andern vom Pferde ſchlägt!“
„Hund und abermals Hund! Da haſt du es!“
Bei dieſen Worten erhob er die Fauſt und verſuchte, ſein Pferd an das meinige zu drängen; aber der Melek hielt ihn bei dem Arme feſt und rief:
„Beim heiligen Jeſujabos, halte ein, ſonſt biſt du verloren!“
„Ich?“ rief der Rieſe ganz verdutzt.
„Ja, du!“
„Warum?“
„Dieſer fremde Krieger iſt kein Kurde, ſondern ein Emir aus dem Abendlande. Er hat die Kraft des Bären in der Fauſt und er trägt Waffen bei ſich, denen niemand widerſtehen kann. Er iſt mein Gaſt; ſei fortan freundlich mit ihm und den Seinigen!“
Der Raïs ſchüttelte den Kopf.
„Ich fürchte keinen Kurden und keinen Abendländer. Weil er dein Gaſt iſt, ſo will ich ihm verzeihen; aber er
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[511/0525]
Ich lächelte ihm ſehr freundlich in die Augen, zog
aber dabei mein Meſſer recht auffällig aus dem Gürtel.
„Wer giebt dir die Erlaubnis, die Gäſte des Melek
Hunde zu nennen?“ fragte ich ihn.
„Gäſte?“ ſagte er verächtlich. „Hat der Melek nicht
ſoeben euch ſeine Gefangenen genannt?“
„Eben darum wollte ich dir ſagen, daß er dir die
Wahrheit nicht vollſtändig mitgeteilt hat. Frage ihn, ob
wir ſeine Gäſte oder ſeine Gefangenen ſind.“
„Seid, was ihr wollt; gefangen hat er euch den-
noch. Aber ſtecke dein Meſſer in den Gürtel, ſonſt ſchlage
ich dich vom Pferde!“
„Nedſchir-Bey, du biſt ein ſehr ſpaßhafter Mann;
ich aber bin ſehr ernſt geſtimmt. Sei in Zukunft höflich
gegen uns, ſonſt wird es ſich zeigen, wer den andern vom
Pferde ſchlägt!“
„Hund und abermals Hund! Da haſt du es!“
Bei dieſen Worten erhob er die Fauſt und verſuchte,
ſein Pferd an das meinige zu drängen; aber der Melek
hielt ihn bei dem Arme feſt und rief:
„Beim heiligen Jeſujabos, halte ein, ſonſt biſt du
verloren!“
„Ich?“ rief der Rieſe ganz verdutzt.
„Ja, du!“
„Warum?“
„Dieſer fremde Krieger iſt kein Kurde, ſondern ein
Emir aus dem Abendlande. Er hat die Kraft des Bären
in der Fauſt und er trägt Waffen bei ſich, denen niemand
widerſtehen kann. Er iſt mein Gaſt; ſei fortan freundlich
mit ihm und den Seinigen!“
Der Raïs ſchüttelte den Kopf.
„Ich fürchte keinen Kurden und keinen Abendländer.
Weil er dein Gaſt iſt, ſo will ich ihm verzeihen; aber er
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/525>, abgerufen am 23.12.2024.
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