Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Krieger seid, und das ist gut für euch. Warum redest
du allein und warum spricht nicht auch dein Gefährte?"

"Er versteht nur die Sprache seiner Heimat."

"Was thut ihr hier in dieser entlegenen Gegend?"

"Wir sahen die Spuren des Kampfes und sind ihnen
gefolgt."

"Wo habt ihr die letzte Nacht geschlafen?"

"In Gumri," antwortete ich ohne Zögern.

Er erhob den Kopf mit einem überraschten, scharfen Blick.

"Das wagst du, mir zu sagen?"

"Ja, denn es ist die Wahrheit."

"So bist du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß
du nicht an seiner Seite kämpftest?"

"Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Ge-
fahr nicht mehr ereilen, denn deine Männer kamen zwi-
schen ihn und uns."

"Sie griffen euch an?"

"Das thaten sie."

"Ihr habt euch gewehrt?"

"Wenig. Wir beide waren in dem Augenblick, als
sie kamen, mit unsern Pferden gestürzt; ich lag ganz ohne
Besinnung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren.
Es wurde ein Pferd getötet, und zwei Männer sind ver-
wundet."

"Was geschah dann?"

"Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider,
auf die Pferde gebunden und zu deinem Bruder geführt."

"Und jetzt seid ihr wieder hier! Wie ist das ge-
kommen?"

Ich erzählte ihm alles genau vom ersten Augenblick
unserer Gefangenschaft an bis zur gegenwärtigen Minute.
Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er
in einen Ausruf des größten Erstaunens aus:

lichen Krieger ſeid, und das iſt gut für euch. Warum redeſt
du allein und warum ſpricht nicht auch dein Gefährte?“

„Er verſteht nur die Sprache ſeiner Heimat.“

„Was thut ihr hier in dieſer entlegenen Gegend?“

„Wir ſahen die Spuren des Kampfes und ſind ihnen
gefolgt.“

„Wo habt ihr die letzte Nacht geſchlafen?“

„In Gumri,“ antwortete ich ohne Zögern.

Er erhob den Kopf mit einem überraſchten, ſcharfen Blick.

„Das wagſt du, mir zu ſagen?“

„Ja, denn es iſt die Wahrheit.“

„So biſt du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß
du nicht an ſeiner Seite kämpfteſt?“

„Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Ge-
fahr nicht mehr ereilen, denn deine Männer kamen zwi-
ſchen ihn und uns.“

„Sie griffen euch an?“

„Das thaten ſie.“

„Ihr habt euch gewehrt?“

„Wenig. Wir beide waren in dem Augenblick, als
ſie kamen, mit unſern Pferden geſtürzt; ich lag ganz ohne
Beſinnung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren.
Es wurde ein Pferd getötet, und zwei Männer ſind ver-
wundet.“

„Was geſchah dann?“

„Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider,
auf die Pferde gebunden und zu deinem Bruder geführt.“

„Und jetzt ſeid ihr wieder hier! Wie iſt das ge-
kommen?“

Ich erzählte ihm alles genau vom erſten Augenblick
unſerer Gefangenſchaft an bis zur gegenwärtigen Minute.
Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er
in einen Ausruf des größten Erſtaunens aus:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0491" n="477"/>
lichen Krieger &#x017F;eid, und das i&#x017F;t gut für euch. Warum rede&#x017F;t<lb/>
du allein und warum &#x017F;pricht nicht auch dein Gefährte?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er ver&#x017F;teht nur die Sprache &#x017F;einer Heimat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was thut ihr hier in die&#x017F;er entlegenen Gegend?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir &#x017F;ahen die Spuren des Kampfes und &#x017F;ind ihnen<lb/>
gefolgt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo habt ihr die letzte Nacht ge&#x017F;chlafen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In Gumri,&#x201C; antwortete ich ohne Zögern.</p><lb/>
        <p>Er erhob den Kopf mit einem überra&#x017F;chten, &#x017F;charfen Blick.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das wag&#x017F;t du, mir zu &#x017F;agen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, denn es i&#x017F;t die Wahrheit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So bi&#x017F;t du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß<lb/>
du nicht an &#x017F;einer Seite kämpfte&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Ge-<lb/>
fahr nicht mehr ereilen, denn deine Männer kamen zwi-<lb/>
&#x017F;chen ihn und uns.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie griffen euch an?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das thaten &#x017F;ie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihr habt euch gewehrt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenig. Wir beide waren in dem Augenblick, als<lb/>
&#x017F;ie kamen, mit un&#x017F;ern Pferden ge&#x017F;türzt; ich lag ganz ohne<lb/>
Be&#x017F;innung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren.<lb/>
Es wurde ein Pferd getötet, und zwei Männer &#x017F;ind ver-<lb/>
wundet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was ge&#x017F;chah dann?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider,<lb/>
auf die Pferde gebunden und zu deinem Bruder geführt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und jetzt &#x017F;eid ihr wieder hier! Wie i&#x017F;t das ge-<lb/>
kommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich erzählte ihm alles genau vom er&#x017F;ten Augenblick<lb/>
un&#x017F;erer Gefangen&#x017F;chaft an bis zur gegenwärtigen Minute.<lb/>
Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er<lb/>
in einen Ausruf des größten Er&#x017F;taunens aus:</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[477/0491] lichen Krieger ſeid, und das iſt gut für euch. Warum redeſt du allein und warum ſpricht nicht auch dein Gefährte?“ „Er verſteht nur die Sprache ſeiner Heimat.“ „Was thut ihr hier in dieſer entlegenen Gegend?“ „Wir ſahen die Spuren des Kampfes und ſind ihnen gefolgt.“ „Wo habt ihr die letzte Nacht geſchlafen?“ „In Gumri,“ antwortete ich ohne Zögern. Er erhob den Kopf mit einem überraſchten, ſcharfen Blick. „Das wagſt du, mir zu ſagen?“ „Ja, denn es iſt die Wahrheit.“ „So biſt du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß du nicht an ſeiner Seite kämpfteſt?“ „Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Ge- fahr nicht mehr ereilen, denn deine Männer kamen zwi- ſchen ihn und uns.“ „Sie griffen euch an?“ „Das thaten ſie.“ „Ihr habt euch gewehrt?“ „Wenig. Wir beide waren in dem Augenblick, als ſie kamen, mit unſern Pferden geſtürzt; ich lag ganz ohne Beſinnung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren. Es wurde ein Pferd getötet, und zwei Männer ſind ver- wundet.“ „Was geſchah dann?“ „Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider, auf die Pferde gebunden und zu deinem Bruder geführt.“ „Und jetzt ſeid ihr wieder hier! Wie iſt das ge- kommen?“ Ich erzählte ihm alles genau vom erſten Augenblick unſerer Gefangenſchaft an bis zur gegenwärtigen Minute. Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er in einen Ausruf des größten Erſtaunens aus:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/491
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/491>, abgerufen am 12.05.2024.