"Das hast du wohl von andern gehört, denn ein Nemtsche bist du nicht."
"Warum nicht?"
"Ich sehe, daß du einen Kuran trägst, wie ihn die Hadschi tragen."
"Ich kaufte ihn nur, um zu sehen, was die Moslemim für einen Glauben und für eine Lehre haben."
"So handelst du sehr unrecht. Ein Christ darf keine andere Lehre kennen lernen, als nur die seinige. Aber wenn ihr Franken seid, warum kommt ihr in unser Land?"
"Wir wollen sehen, ob wir mit euch Handel treiben können."
"Welche Waren habt ihr mitgebracht?"
"Wir haben noch nichts mitgebracht. Wir wollen erst sehen, was ihr braucht, und es dann unsern Kauf- leuten erzählen."
"Warum tragt ihr so viele Waffen, da ihr doch nur des Handels wegen zu uns kommt?"
"Die Waffe ist das Recht des freien Mannes; wer ohne Waffen reist, der wird für einen Knecht gehalten."
"So sagt euren Kaufleuten, daß sie uns Waffen sen- den sollen; denn hier giebt es sehr viele Männer, welche frei werden wollen. Ihr müßt sehr mutige Männer sein, daß ihr euch in so ferne Länder wagt. Habt ihr jemand, der euch hier beschützt?"
"Ja. Ich habe ein Bu-djeruldi des Großherrn bei mir."
"Zeige es her!"
Ich gab ihm den Paß, und ich sah, daß er lesen konnte. Dieser Melek war also ein unterrichteter Mann. Er gab mir das Schreiben wieder.
"Du stehest unter einem Schutze, welcher dir hier nichts helfen kann; aber ich sehe, daß ihr keine gewöhn-
„Das haſt du wohl von andern gehört, denn ein Nemtſche biſt du nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich ſehe, daß du einen Kuran trägſt, wie ihn die Hadſchi tragen.“
„Ich kaufte ihn nur, um zu ſehen, was die Moslemim für einen Glauben und für eine Lehre haben.“
„So handelſt du ſehr unrecht. Ein Chriſt darf keine andere Lehre kennen lernen, als nur die ſeinige. Aber wenn ihr Franken ſeid, warum kommt ihr in unſer Land?“
„Wir wollen ſehen, ob wir mit euch Handel treiben können.“
„Welche Waren habt ihr mitgebracht?“
„Wir haben noch nichts mitgebracht. Wir wollen erſt ſehen, was ihr braucht, und es dann unſern Kauf- leuten erzählen.“
„Warum tragt ihr ſo viele Waffen, da ihr doch nur des Handels wegen zu uns kommt?“
„Die Waffe iſt das Recht des freien Mannes; wer ohne Waffen reiſt, der wird für einen Knecht gehalten.“
„So ſagt euren Kaufleuten, daß ſie uns Waffen ſen- den ſollen; denn hier giebt es ſehr viele Männer, welche frei werden wollen. Ihr müßt ſehr mutige Männer ſein, daß ihr euch in ſo ferne Länder wagt. Habt ihr jemand, der euch hier beſchützt?“
„Ja. Ich habe ein Bu-djeruldi des Großherrn bei mir.“
„Zeige es her!“
Ich gab ihm den Paß, und ich ſah, daß er leſen konnte. Dieſer Melek war alſo ein unterrichteter Mann. Er gab mir das Schreiben wieder.
„Du ſteheſt unter einem Schutze, welcher dir hier nichts helfen kann; aber ich ſehe, daß ihr keine gewöhn-
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[476/0490]
„Das haſt du wohl von andern gehört, denn ein
Nemtſche biſt du nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich ſehe, daß du einen Kuran trägſt, wie ihn die
Hadſchi tragen.“
„Ich kaufte ihn nur, um zu ſehen, was die Moslemim
für einen Glauben und für eine Lehre haben.“
„So handelſt du ſehr unrecht. Ein Chriſt darf keine
andere Lehre kennen lernen, als nur die ſeinige. Aber
wenn ihr Franken ſeid, warum kommt ihr in unſer Land?“
„Wir wollen ſehen, ob wir mit euch Handel treiben
können.“
„Welche Waren habt ihr mitgebracht?“
„Wir haben noch nichts mitgebracht. Wir wollen
erſt ſehen, was ihr braucht, und es dann unſern Kauf-
leuten erzählen.“
„Warum tragt ihr ſo viele Waffen, da ihr doch nur
des Handels wegen zu uns kommt?“
„Die Waffe iſt das Recht des freien Mannes; wer
ohne Waffen reiſt, der wird für einen Knecht gehalten.“
„So ſagt euren Kaufleuten, daß ſie uns Waffen ſen-
den ſollen; denn hier giebt es ſehr viele Männer, welche
frei werden wollen. Ihr müßt ſehr mutige Männer ſein,
daß ihr euch in ſo ferne Länder wagt. Habt ihr jemand,
der euch hier beſchützt?“
„Ja. Ich habe ein Bu-djeruldi des Großherrn bei
mir.“
„Zeige es her!“
Ich gab ihm den Paß, und ich ſah, daß er leſen
konnte. Dieſer Melek war alſo ein unterrichteter Mann.
Er gab mir das Schreiben wieder.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/490>, abgerufen am 25.11.2024.
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