"Herr, nicht dafür, daß ich auf dich geschossen und nach dir gestochen habe, verlange ich ein Bakschisch, sondern dafür, daß ich den Blutpreis angenommen habe."
"Den Blutpreis? Von wem?"
"Vom Bey. Er hat ihn bezahlt."
"Wie viel hat er gegeben?"
"Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe."
"Also bedeutend weniger, als du von mir verlangtest."
"Er ist mein Scheik; ich mußte auf ihn hören. Aber weil es so wenig ist, darum sollst du mir ein Bakschisch geben."
"Wäre ich ein freier, stolzer Kurde, ich würde nicht wie ein türkischer Hammal *) um ein Bakschisch betteln. Da du es aber dennoch thust, so sollst du es erhalten; aber nicht jetzt, sondern erst dann, wenn wir Abschied nehmen."
"Wie viel wirst du mir geben?"
"Das kommt ganz darauf an, wie du dich gegen uns verhalten wirst."
"Und wird unser Nezanum auch etwas erhalten?"
"Hat er dir geboten, mich darüber zu fragen?"
"Ja, er that es."
"So sage ihm, daß ich nur dann einem Bettler etwas gebe, wenn er mich selbst bittet. Ist der Nezanum ein Mann, der von der Empfehlung des Propheten lebt, so soll er von jedem von uns gern eine Gabe erhalten; aber er mag dann selbst zu uns kommen. Uebrigens habe ich ihm bereits das Leben seines Sohnes geschenkt, und das ist mehr als jede andere Gabe."
Der Kurde ging. Er hatte den Blutpreis erhalten, aber sein Gesicht sah ganz so aus, als ob ich mich hüten müsse, ihm einmal unter andern Umständen zu begegnen.
*) Lastträger.
„Herr, nicht dafür, daß ich auf dich geſchoſſen und nach dir geſtochen habe, verlange ich ein Bakſchiſch, ſondern dafür, daß ich den Blutpreis angenommen habe.“
„Den Blutpreis? Von wem?“
„Vom Bey. Er hat ihn bezahlt.“
„Wie viel hat er gegeben?“
„Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.“
„Alſo bedeutend weniger, als du von mir verlangteſt.“
„Er iſt mein Scheik; ich mußte auf ihn hören. Aber weil es ſo wenig iſt, darum ſollſt du mir ein Bakſchiſch geben.“
„Wäre ich ein freier, ſtolzer Kurde, ich würde nicht wie ein türkiſcher Hammal *) um ein Bakſchiſch betteln. Da du es aber dennoch thuſt, ſo ſollſt du es erhalten; aber nicht jetzt, ſondern erſt dann, wenn wir Abſchied nehmen.“
„Wie viel wirſt du mir geben?“
„Das kommt ganz darauf an, wie du dich gegen uns verhalten wirſt.“
„Und wird unſer Nezanum auch etwas erhalten?“
„Hat er dir geboten, mich darüber zu fragen?“
„Ja, er that es.“
„So ſage ihm, daß ich nur dann einem Bettler etwas gebe, wenn er mich ſelbſt bittet. Iſt der Nezanum ein Mann, der von der Empfehlung des Propheten lebt, ſo ſoll er von jedem von uns gern eine Gabe erhalten; aber er mag dann ſelbſt zu uns kommen. Uebrigens habe ich ihm bereits das Leben ſeines Sohnes geſchenkt, und das iſt mehr als jede andere Gabe.“
Der Kurde ging. Er hatte den Blutpreis erhalten, aber ſein Geſicht ſah ganz ſo aus, als ob ich mich hüten müſſe, ihm einmal unter andern Umſtänden zu begegnen.
*) Laſtträger.
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„Herr, nicht dafür, daß ich auf dich geſchoſſen und
nach dir geſtochen habe, verlange ich ein Bakſchiſch, ſondern
dafür, daß ich den Blutpreis angenommen habe.“
„Den Blutpreis? Von wem?“
„Vom Bey. Er hat ihn bezahlt.“
„Wie viel hat er gegeben?“
„Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.“
„Alſo bedeutend weniger, als du von mir verlangteſt.“
„Er iſt mein Scheik; ich mußte auf ihn hören. Aber
weil es ſo wenig iſt, darum ſollſt du mir ein Bakſchiſch
geben.“
„Wäre ich ein freier, ſtolzer Kurde, ich würde nicht
wie ein türkiſcher Hammal *) um ein Bakſchiſch betteln.
Da du es aber dennoch thuſt, ſo ſollſt du es erhalten;
aber nicht jetzt, ſondern erſt dann, wenn wir Abſchied
nehmen.“
„Wie viel wirſt du mir geben?“
„Das kommt ganz darauf an, wie du dich gegen uns
verhalten wirſt.“
„Und wird unſer Nezanum auch etwas erhalten?“
„Hat er dir geboten, mich darüber zu fragen?“
„Ja, er that es.“
„So ſage ihm, daß ich nur dann einem Bettler etwas
gebe, wenn er mich ſelbſt bittet. Iſt der Nezanum ein
Mann, der von der Empfehlung des Propheten lebt, ſo
ſoll er von jedem von uns gern eine Gabe erhalten; aber
er mag dann ſelbſt zu uns kommen. Uebrigens habe ich
ihm bereits das Leben ſeines Sohnes geſchenkt, und das
iſt mehr als jede andere Gabe.“
Der Kurde ging. Er hatte den Blutpreis erhalten,
aber ſein Geſicht ſah ganz ſo aus, als ob ich mich hüten
müſſe, ihm einmal unter andern Umſtänden zu begegnen.
*) Laſtträger.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/449>, abgerufen am 23.11.2024.
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