Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

wo man nur Eis und Wasser findet, und dort haben die
Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen
Arabern Hirtsch el Buz *) genannt. Hast du solche weiße
Bären gesehen?"

"Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern gewesen bin.
Man fängt dort die Bären, um sie in anderen Gegenden
für Geld sehen zu lassen. Aber es giebt noch ein Land
mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell
besitzen; das sind die stärksten und gefährlichsten. Ein
solcher Bär ist gegen einen kurdischen wie ein Pferd gegen-
über einem Hund, vor dem man sich hütet, ohne ihn grad
zu fürchten."

"Und diesen hast du auch gesehen?" fragte der Bey
verwundert.

"Ich habe mit ihm gekämpft."

"So bist du Sieger geblieben, denn du lebst noch.
Ihr sollt auch mit unsern Bären kämpfen."

Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte
ein niedriges Sufra **) stand, um welches fünf Kissen ge-
legt waren. Nachdem er uns verlassen hatte, erschien eine
Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche
ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir
zu sehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle
warten zu können. Es bestand aus einem Zicklein, welches
zuerst gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu
kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und
ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es
schien eine Nesselart zu sein.

"Ser sere men at -- ihr seid mir willkommen!"
grüßte sie. "Wie habt ihr meinen Vater verlassen, den
Nezanum von Spandareh?"

*) Wörtlich: Bär des Eises.
**) Tisch.
II. 28

wo man nur Eis und Waſſer findet, und dort haben die
Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen
Arabern Hirtſch el Buz *) genannt. Haſt du ſolche weiße
Bären geſehen?“

„Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern geweſen bin.
Man fängt dort die Bären, um ſie in anderen Gegenden
für Geld ſehen zu laſſen. Aber es giebt noch ein Land
mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell
beſitzen; das ſind die ſtärkſten und gefährlichſten. Ein
ſolcher Bär iſt gegen einen kurdiſchen wie ein Pferd gegen-
über einem Hund, vor dem man ſich hütet, ohne ihn grad
zu fürchten.“

„Und dieſen haſt du auch geſehen?“ fragte der Bey
verwundert.

„Ich habe mit ihm gekämpft.“

„So biſt du Sieger geblieben, denn du lebſt noch.
Ihr ſollt auch mit unſern Bären kämpfen.“

Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte
ein niedriges Sufra **) ſtand, um welches fünf Kiſſen ge-
legt waren. Nachdem er uns verlaſſen hatte, erſchien eine
Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche
ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir
zu ſehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle
warten zu können. Es beſtand aus einem Zicklein, welches
zuerſt gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu
kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und
ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es
ſchien eine Neſſelart zu ſein.

„Ser ſere men at — ihr ſeid mir willkommen!“
grüßte ſie. „Wie habt ihr meinen Vater verlaſſen, den
Nezanum von Spandareh?“

*) Wörtlich: Bär des Eiſes.
**) Tiſch.
II. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0447" n="433"/>
wo man nur Eis und Wa&#x017F;&#x017F;er findet, und dort haben die<lb/>
Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen<lb/>
Arabern Hirt&#x017F;ch el Buz <note place="foot" n="*)">Wörtlich: Bär des Ei&#x017F;es.</note> genannt. Ha&#x017F;t du &#x017F;olche weiße<lb/>
Bären ge&#x017F;ehen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern gewe&#x017F;en bin.<lb/>
Man fängt dort die Bären, um &#x017F;ie in anderen Gegenden<lb/>
für Geld &#x017F;ehen zu la&#x017F;&#x017F;en. Aber es giebt noch ein Land<lb/>
mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell<lb/>
be&#x017F;itzen; das &#x017F;ind die &#x017F;tärk&#x017F;ten und gefährlich&#x017F;ten. Ein<lb/>
&#x017F;olcher Bär i&#x017F;t gegen einen kurdi&#x017F;chen wie ein Pferd gegen-<lb/>
über einem Hund, vor dem man &#x017F;ich hütet, ohne ihn grad<lb/>
zu fürchten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und die&#x017F;en ha&#x017F;t du auch ge&#x017F;ehen?&#x201C; fragte der Bey<lb/>
verwundert.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe mit ihm gekämpft.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So bi&#x017F;t du Sieger geblieben, denn du leb&#x017F;t noch.<lb/>
Ihr &#x017F;ollt auch mit un&#x017F;ern Bären kämpfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte<lb/>
ein niedriges Sufra <note place="foot" n="**)">Ti&#x017F;ch.</note> &#x017F;tand, um welches fünf Ki&#x017F;&#x017F;en ge-<lb/>
legt waren. Nachdem er uns verla&#x017F;&#x017F;en hatte, er&#x017F;chien eine<lb/>
Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche<lb/>
ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir<lb/>
zu &#x017F;ehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle<lb/>
warten zu können. Es be&#x017F;tand aus einem Zicklein, welches<lb/>
zuer&#x017F;t gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu<lb/>
kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und<lb/>
ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es<lb/>
&#x017F;chien eine Ne&#x017F;&#x017F;elart zu &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ser &#x017F;ere men at &#x2014; ihr &#x017F;eid mir willkommen!&#x201C;<lb/>
grüßte &#x017F;ie. &#x201E;Wie habt ihr meinen Vater verla&#x017F;&#x017F;en, den<lb/>
Nezanum von Spandareh?&#x201C;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">II. 28</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0447] wo man nur Eis und Waſſer findet, und dort haben die Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen Arabern Hirtſch el Buz *) genannt. Haſt du ſolche weiße Bären geſehen?“ „Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern geweſen bin. Man fängt dort die Bären, um ſie in anderen Gegenden für Geld ſehen zu laſſen. Aber es giebt noch ein Land mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell beſitzen; das ſind die ſtärkſten und gefährlichſten. Ein ſolcher Bär iſt gegen einen kurdiſchen wie ein Pferd gegen- über einem Hund, vor dem man ſich hütet, ohne ihn grad zu fürchten.“ „Und dieſen haſt du auch geſehen?“ fragte der Bey verwundert. „Ich habe mit ihm gekämpft.“ „So biſt du Sieger geblieben, denn du lebſt noch. Ihr ſollt auch mit unſern Bären kämpfen.“ Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte ein niedriges Sufra **) ſtand, um welches fünf Kiſſen ge- legt waren. Nachdem er uns verlaſſen hatte, erſchien eine Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir zu ſehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle warten zu können. Es beſtand aus einem Zicklein, welches zuerſt gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es ſchien eine Neſſelart zu ſein. „Ser ſere men at — ihr ſeid mir willkommen!“ grüßte ſie. „Wie habt ihr meinen Vater verlaſſen, den Nezanum von Spandareh?“ *) Wörtlich: Bär des Eiſes. **) Tiſch. II. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/447
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/447>, abgerufen am 19.05.2024.