einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akra- flusse wollte er nichts wissen, da nach dieser Gegend hin sein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.
"Dort giebt es," fügte er hinzu, "sehr viele christliche Nestorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenstämme, mit denen die Berwari in Feindschaft leben. Diese Leute sind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge sind so wild und unzugänglich, daß ihr nie den Zab erreichen würdet. Nun aber ruht euch aus und erlaubt mir, hier meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen. Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht in Gumri sein werde."
"Du willst nach Mia gehen?" fragte ich.
"Ja. Wer sagte es dir?"
"Ich habe von Dohub gehört, daß du dort einen Bär jagen willst."
"Einen? Es sind zwei ganze Familien, die den dor- tigen Herden sehr viel Abbruch thun. Du mußt nämlich wissen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären giebt, und" -- fügte er mit einigem Stolze hinzu -- "die Giaurs dieses Landes sagen, daß es zwei große Plagen für sie gebe, von denen die eine grad so schlimm sei, wie die andere, nämlich die Kurden und die Bären."
"Wirst du uns erlauben, mitzugehen?"
"Ja, wenn du es wünschest. Ihr sollt zusehen können, ohne dabei in Gefahr zu kommen."
"Wir wollen nicht zusehen, sondern mitkämpfen!"
"Emir, der Bär ist ein gefährliches Tier!"
"Du irrst. Der Bär, welcher die kurdischen Schluchten und Wälder bewohnt, ist ein sehr unschädliches Wild. Es giebt Länder, in denen die Bären doppelt so groß und stark sind, wie die eurigen."
"Ich habe davon gehört. Es soll ein Land geben,
einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akra- fluſſe wollte er nichts wiſſen, da nach dieſer Gegend hin ſein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.
„Dort giebt es,“ fügte er hinzu, „ſehr viele chriſtliche Neſtorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenſtämme, mit denen die Berwari in Feindſchaft leben. Dieſe Leute ſind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge ſind ſo wild und unzugänglich, daß ihr nie den Zab erreichen würdet. Nun aber ruht euch aus und erlaubt mir, hier meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen. Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht in Gumri ſein werde.“
„Du willſt nach Mia gehen?“ fragte ich.
„Ja. Wer ſagte es dir?“
„Ich habe von Dohub gehört, daß du dort einen Bär jagen willſt.“
„Einen? Es ſind zwei ganze Familien, die den dor- tigen Herden ſehr viel Abbruch thun. Du mußt nämlich wiſſen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären giebt, und“ — fügte er mit einigem Stolze hinzu — „die Giaurs dieſes Landes ſagen, daß es zwei große Plagen für ſie gebe, von denen die eine grad ſo ſchlimm ſei, wie die andere, nämlich die Kurden und die Bären.“
„Wirſt du uns erlauben, mitzugehen?“
„Ja, wenn du es wünſcheſt. Ihr ſollt zuſehen können, ohne dabei in Gefahr zu kommen.“
„Wir wollen nicht zuſehen, ſondern mitkämpfen!“
„Emir, der Bär iſt ein gefährliches Tier!“
„Du irrſt. Der Bär, welcher die kurdiſchen Schluchten und Wälder bewohnt, iſt ein ſehr unſchädliches Wild. Es giebt Länder, in denen die Bären doppelt ſo groß und ſtark ſind, wie die eurigen.“
„Ich habe davon gehört. Es ſoll ein Land geben,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0446"n="432"/>
einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akra-<lb/>
fluſſe wollte er nichts wiſſen, da nach dieſer Gegend hin<lb/>ſein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.</p><lb/><p>„Dort giebt es,“ fügte er hinzu, „ſehr viele chriſtliche<lb/>
Neſtorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenſtämme,<lb/>
mit denen die Berwari in Feindſchaft leben. Dieſe Leute<lb/>ſind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge ſind<lb/>ſo wild und unzugänglich, daß ihr nie den Zab erreichen<lb/>
würdet. Nun aber ruht euch aus und erlaubt mir, hier<lb/>
meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen.<lb/>
Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht<lb/>
in Gumri ſein werde.“</p><lb/><p>„Du willſt nach Mia gehen?“ fragte ich.</p><lb/><p>„Ja. Wer ſagte es dir?“</p><lb/><p>„Ich habe von Dohub gehört, daß du dort einen<lb/>
Bär jagen willſt.“</p><lb/><p>„Einen? Es ſind zwei ganze Familien, die den dor-<lb/>
tigen Herden ſehr viel Abbruch thun. Du mußt nämlich<lb/>
wiſſen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären<lb/>
giebt, und“— fügte er mit einigem Stolze hinzu —„die<lb/>
Giaurs dieſes Landes ſagen, daß es zwei große Plagen<lb/>
für ſie gebe, von denen die eine grad ſo ſchlimm ſei, wie<lb/>
die andere, nämlich die Kurden und die Bären.“</p><lb/><p>„Wirſt du uns erlauben, mitzugehen?“</p><lb/><p>„Ja, wenn du es wünſcheſt. Ihr ſollt zuſehen können,<lb/>
ohne dabei in Gefahr zu kommen.“</p><lb/><p>„Wir wollen nicht zuſehen, ſondern mitkämpfen!“</p><lb/><p>„Emir, der Bär iſt ein gefährliches Tier!“</p><lb/><p>„Du irrſt. Der Bär, welcher die kurdiſchen Schluchten<lb/>
und Wälder bewohnt, iſt ein ſehr unſchädliches Wild.<lb/>
Es giebt Länder, in denen die Bären doppelt ſo groß<lb/>
und ſtark ſind, wie die eurigen.“</p><lb/><p>„Ich habe davon gehört. Es ſoll ein Land geben,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[432/0446]
einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akra-
fluſſe wollte er nichts wiſſen, da nach dieſer Gegend hin
ſein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.
„Dort giebt es,“ fügte er hinzu, „ſehr viele chriſtliche
Neſtorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenſtämme,
mit denen die Berwari in Feindſchaft leben. Dieſe Leute
ſind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge ſind
ſo wild und unzugänglich, daß ihr nie den Zab erreichen
würdet. Nun aber ruht euch aus und erlaubt mir, hier
meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen.
Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht
in Gumri ſein werde.“
„Du willſt nach Mia gehen?“ fragte ich.
„Ja. Wer ſagte es dir?“
„Ich habe von Dohub gehört, daß du dort einen
Bär jagen willſt.“
„Einen? Es ſind zwei ganze Familien, die den dor-
tigen Herden ſehr viel Abbruch thun. Du mußt nämlich
wiſſen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären
giebt, und“ — fügte er mit einigem Stolze hinzu — „die
Giaurs dieſes Landes ſagen, daß es zwei große Plagen
für ſie gebe, von denen die eine grad ſo ſchlimm ſei, wie
die andere, nämlich die Kurden und die Bären.“
„Wirſt du uns erlauben, mitzugehen?“
„Ja, wenn du es wünſcheſt. Ihr ſollt zuſehen können,
ohne dabei in Gefahr zu kommen.“
„Wir wollen nicht zuſehen, ſondern mitkämpfen!“
„Emir, der Bär iſt ein gefährliches Tier!“
„Du irrſt. Der Bär, welcher die kurdiſchen Schluchten
und Wälder bewohnt, iſt ein ſehr unſchädliches Wild.
Es giebt Länder, in denen die Bären doppelt ſo groß
und ſtark ſind, wie die eurigen.“
„Ich habe davon gehört. Es ſoll ein Land geben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/446>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.