Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Oh, nein! Habe ich nicht an Dohub und seinen
beiden Verwandten nur Freunde gefunden?"

"Du hast dir ihre Freundschaft und auch die meinige
sehr reichlich verdient. Wir aber haben dir mit Undank
vergolten. Willst du mir verzeihen? Ich wußte nicht,
daß du es warst."

"Verzeihe auch du mir! Es hat einer von deinen
Leuten sein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld
daran."

"Erzähle mir, wie es zugegangen ist!"

Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und fragte
ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.

"Nach der Sitte dieses Landes muß er allerdings
den Tod seines Vaters rächen, wenn er sich nicht die
Verachtung aller erwerben will."

"Es wird ihm wohl schwer gelingen!"

"Du bist mein Gast, und so lange du dich bei mir
und in meinem Lande befindest, bist du vollständig sicher.
Aber er wird dir später folgen auf Schritt und Tritt,
auch wenn du bis an das Ende der Erde gehen wolltest."

"Ich fürchte ihn nicht."

"Du magst stark genug sein, um ihn im offenen
Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer
erstehen. Und kannst du dich gegen eine Kugel wehren,
die aus dem Verborgenen abgeschossen wird? Willst du
nicht den Preis bezahlen?"

"Nein!" antwortete ich mit Nachdruck.

"Allah gab dir vielen Mut, einen Rächer zu ver-
achten. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Mut dich
nicht in das Verderben bringt. -- Du warst bei dem
Vater meines Weibes in Spandareh?"

"Ich war sein Gast und wurde sein Freund."

"Ich weiß es. Wärest du nicht sein Freund, so

„Oh, nein! Habe ich nicht an Dohub und ſeinen
beiden Verwandten nur Freunde gefunden?“

„Du haſt dir ihre Freundſchaft und auch die meinige
ſehr reichlich verdient. Wir aber haben dir mit Undank
vergolten. Willſt du mir verzeihen? Ich wußte nicht,
daß du es warſt.“

„Verzeihe auch du mir! Es hat einer von deinen
Leuten ſein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld
daran.“

„Erzähle mir, wie es zugegangen iſt!“

Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und fragte
ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.

„Nach der Sitte dieſes Landes muß er allerdings
den Tod ſeines Vaters rächen, wenn er ſich nicht die
Verachtung aller erwerben will.“

„Es wird ihm wohl ſchwer gelingen!“

„Du biſt mein Gaſt, und ſo lange du dich bei mir
und in meinem Lande befindeſt, biſt du vollſtändig ſicher.
Aber er wird dir ſpäter folgen auf Schritt und Tritt,
auch wenn du bis an das Ende der Erde gehen wollteſt.“

„Ich fürchte ihn nicht.“

„Du magſt ſtark genug ſein, um ihn im offenen
Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer
erſtehen. Und kannſt du dich gegen eine Kugel wehren,
die aus dem Verborgenen abgeſchoſſen wird? Willſt du
nicht den Preis bezahlen?“

„Nein!“ antwortete ich mit Nachdruck.

„Allah gab dir vielen Mut, einen Rächer zu ver-
achten. Ich werde dafür ſorgen, daß dieſer Mut dich
nicht in das Verderben bringt. — Du warſt bei dem
Vater meines Weibes in Spandareh?“

„Ich war ſein Gaſt und wurde ſein Freund.“

„Ich weiß es. Wäreſt du nicht ſein Freund, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0442" n="428"/>
        <p>&#x201E;Oh, nein! Habe ich nicht an Dohub und &#x017F;einen<lb/>
beiden Verwandten nur Freunde gefunden?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t dir ihre Freund&#x017F;chaft und auch die meinige<lb/>
&#x017F;ehr reichlich verdient. Wir aber haben dir mit Undank<lb/>
vergolten. Will&#x017F;t du mir verzeihen? Ich wußte nicht,<lb/>
daß du es war&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Verzeihe auch du mir! Es hat einer von deinen<lb/>
Leuten &#x017F;ein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld<lb/>
daran.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Erzähle mir, wie es zugegangen i&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und fragte<lb/>
ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nach der Sitte die&#x017F;es Landes muß er allerdings<lb/>
den Tod &#x017F;eines Vaters rächen, wenn er &#x017F;ich nicht die<lb/>
Verachtung aller erwerben will.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es wird ihm wohl &#x017F;chwer gelingen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t mein Ga&#x017F;t, und &#x017F;o lange du dich bei mir<lb/>
und in meinem Lande befinde&#x017F;t, bi&#x017F;t du voll&#x017F;tändig &#x017F;icher.<lb/>
Aber er wird dir &#x017F;päter folgen auf Schritt und Tritt,<lb/>
auch wenn du bis an das Ende der Erde gehen wollte&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich fürchte ihn nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du mag&#x017F;t &#x017F;tark genug &#x017F;ein, um ihn im offenen<lb/>
Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer<lb/>
er&#x017F;tehen. Und kann&#x017F;t du dich gegen eine Kugel wehren,<lb/>
die aus dem Verborgenen abge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wird? Will&#x017F;t du<lb/>
nicht den Preis bezahlen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein!&#x201C; antwortete ich mit Nachdruck.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Allah gab dir vielen Mut, einen Rächer zu ver-<lb/>
achten. Ich werde dafür &#x017F;orgen, daß die&#x017F;er Mut dich<lb/>
nicht in das Verderben bringt. &#x2014; Du war&#x017F;t bei dem<lb/>
Vater meines Weibes in Spandareh?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich war &#x017F;ein Ga&#x017F;t und wurde &#x017F;ein Freund.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß es. Wäre&#x017F;t du nicht &#x017F;ein Freund, &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0442] „Oh, nein! Habe ich nicht an Dohub und ſeinen beiden Verwandten nur Freunde gefunden?“ „Du haſt dir ihre Freundſchaft und auch die meinige ſehr reichlich verdient. Wir aber haben dir mit Undank vergolten. Willſt du mir verzeihen? Ich wußte nicht, daß du es warſt.“ „Verzeihe auch du mir! Es hat einer von deinen Leuten ſein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld daran.“ „Erzähle mir, wie es zugegangen iſt!“ Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und fragte ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege. „Nach der Sitte dieſes Landes muß er allerdings den Tod ſeines Vaters rächen, wenn er ſich nicht die Verachtung aller erwerben will.“ „Es wird ihm wohl ſchwer gelingen!“ „Du biſt mein Gaſt, und ſo lange du dich bei mir und in meinem Lande befindeſt, biſt du vollſtändig ſicher. Aber er wird dir ſpäter folgen auf Schritt und Tritt, auch wenn du bis an das Ende der Erde gehen wollteſt.“ „Ich fürchte ihn nicht.“ „Du magſt ſtark genug ſein, um ihn im offenen Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer erſtehen. Und kannſt du dich gegen eine Kugel wehren, die aus dem Verborgenen abgeſchoſſen wird? Willſt du nicht den Preis bezahlen?“ „Nein!“ antwortete ich mit Nachdruck. „Allah gab dir vielen Mut, einen Rächer zu ver- achten. Ich werde dafür ſorgen, daß dieſer Mut dich nicht in das Verderben bringt. — Du warſt bei dem Vater meines Weibes in Spandareh?“ „Ich war ſein Gaſt und wurde ſein Freund.“ „Ich weiß es. Wäreſt du nicht ſein Freund, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/442
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/442>, abgerufen am 23.11.2024.