Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Dein Glaube? Alla illa Allah! Der Glaube ver-
bietet doch nicht, Geld zu nehmen!"

"O doch! Dieses Geld gehörte weder dem Makredsch,
denn er hat es jedenfalls nicht auf rechtliche Weise er-
worben, noch dem Mutesselim oder dem Agha. Aber es
wäre auf alle Fälle verschwunden und nicht in die Hände
der rechtmäßigen Besitzer zurückgelangt. Nur aus diesem
Grunde habe ich den Mutesselim gezwungen, einen Teil
davon wieder herauszugeben. Wenn es denn einmal in
falsche Hände kommen soll, so ist es besser, ihr habt einen
Teil davon, als daß der Mutesselim alles behielt."

"Effendi, das ist ein sehr guter Glaube!" beteuerte
Mersinah. "Du bist ein treuer Anhänger des Propheten.
Allah segne dich dafür!"

"Höre, Mersinah! Wenn ich ein Anhänger des
Propheten wäre, so hättet ihr nichts erhalten, sondern ich
hätte alles in meine eigene Tasche gethan. Ich bin kein
Moslem."

"Kein Moslem!" rief sie erstaunt. "Was denn?"

"Ein Christ."

"Maschallah! Bist du ein Nessorah *)?"

"Nein. Mein Glaube ist ein anderer als derjenige
der Nessorah."

"So glaubst du wohl auch an die heilige Omm Allah
Marryam?" **)

"Ja."

"O, Emir, die Christen, welche an diese glauben, sind
alle gute Leute!"

"Woher weißt du das?"

"Das sehe ich an dir, und das weiß ich auch von
der alten Marah Durimeh."

"Ah! Kennst du diese?"

*) Nestorianer.
**) Mutter Gottes, Maria.

„Dein Glaube? Alla illa Allah! Der Glaube ver-
bietet doch nicht, Geld zu nehmen!“

„O doch! Dieſes Geld gehörte weder dem Makredſch,
denn er hat es jedenfalls nicht auf rechtliche Weiſe er-
worben, noch dem Muteſſelim oder dem Agha. Aber es
wäre auf alle Fälle verſchwunden und nicht in die Hände
der rechtmäßigen Beſitzer zurückgelangt. Nur aus dieſem
Grunde habe ich den Muteſſelim gezwungen, einen Teil
davon wieder herauszugeben. Wenn es denn einmal in
falſche Hände kommen ſoll, ſo iſt es beſſer, ihr habt einen
Teil davon, als daß der Muteſſelim alles behielt.“

„Effendi, das iſt ein ſehr guter Glaube!“ beteuerte
Merſinah. „Du biſt ein treuer Anhänger des Propheten.
Allah ſegne dich dafür!“

„Höre, Merſinah! Wenn ich ein Anhänger des
Propheten wäre, ſo hättet ihr nichts erhalten, ſondern ich
hätte alles in meine eigene Taſche gethan. Ich bin kein
Moslem.“

„Kein Moslem!“ rief ſie erſtaunt. „Was denn?“

„Ein Chriſt.“

„Maſchallah! Biſt du ein Neſſorah *)?“

„Nein. Mein Glaube iſt ein anderer als derjenige
der Neſſorah.“

„So glaubſt du wohl auch an die heilige Omm Allah
Marryam?“ **)

„Ja.“

„O, Emir, die Chriſten, welche an dieſe glauben, ſind
alle gute Leute!“

„Woher weißt du das?“

„Das ſehe ich an dir, und das weiß ich auch von
der alten Marah Durimeh.“

„Ah! Kennſt du dieſe?“

*) Neſtorianer.
**) Mutter Gottes, Maria.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0379" n="365"/>
        <p>&#x201E;Dein Glaube? Alla illa Allah! Der Glaube ver-<lb/>
bietet doch nicht, Geld zu nehmen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O doch! Die&#x017F;es Geld gehörte weder dem Makred&#x017F;ch,<lb/>
denn er hat es jedenfalls nicht auf rechtliche Wei&#x017F;e er-<lb/>
worben, noch dem Mute&#x017F;&#x017F;elim oder dem Agha. Aber es<lb/>
wäre auf alle Fälle ver&#x017F;chwunden und nicht in die Hände<lb/>
der rechtmäßigen Be&#x017F;itzer zurückgelangt. Nur aus die&#x017F;em<lb/>
Grunde habe ich den Mute&#x017F;&#x017F;elim gezwungen, einen Teil<lb/>
davon wieder herauszugeben. Wenn es denn einmal in<lb/>
fal&#x017F;che Hände kommen &#x017F;oll, &#x017F;o i&#x017F;t es be&#x017F;&#x017F;er, ihr habt einen<lb/>
Teil davon, als daß der Mute&#x017F;&#x017F;elim alles behielt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Effendi, das i&#x017F;t ein &#x017F;ehr guter Glaube!&#x201C; beteuerte<lb/>
Mer&#x017F;inah. &#x201E;Du bi&#x017F;t ein treuer Anhänger des Propheten.<lb/>
Allah &#x017F;egne dich dafür!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Höre, Mer&#x017F;inah! Wenn ich ein Anhänger des<lb/>
Propheten wäre, &#x017F;o hättet ihr nichts erhalten, &#x017F;ondern ich<lb/>
hätte alles in meine eigene Ta&#x017F;che gethan. Ich bin kein<lb/>
Moslem.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kein Moslem!&#x201C; rief &#x017F;ie er&#x017F;taunt. &#x201E;Was denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Chri&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ma&#x017F;challah! Bi&#x017F;t du ein Ne&#x017F;&#x017F;orah <note place="foot" n="*)">Ne&#x017F;torianer.</note>?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Mein Glaube i&#x017F;t ein anderer als derjenige<lb/>
der Ne&#x017F;&#x017F;orah.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So glaub&#x017F;t du wohl auch an die heilige Omm Allah<lb/>
Marryam?&#x201C; <note place="foot" n="**)">Mutter Gottes, Maria.</note></p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O, Emir, die Chri&#x017F;ten, welche an die&#x017F;e glauben, &#x017F;ind<lb/>
alle gute Leute!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Woher weißt du das?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das &#x017F;ehe ich an dir, und das weiß ich auch von<lb/>
der alten Marah Durimeh.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ah! Kenn&#x017F;t du die&#x017F;e?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0379] „Dein Glaube? Alla illa Allah! Der Glaube ver- bietet doch nicht, Geld zu nehmen!“ „O doch! Dieſes Geld gehörte weder dem Makredſch, denn er hat es jedenfalls nicht auf rechtliche Weiſe er- worben, noch dem Muteſſelim oder dem Agha. Aber es wäre auf alle Fälle verſchwunden und nicht in die Hände der rechtmäßigen Beſitzer zurückgelangt. Nur aus dieſem Grunde habe ich den Muteſſelim gezwungen, einen Teil davon wieder herauszugeben. Wenn es denn einmal in falſche Hände kommen ſoll, ſo iſt es beſſer, ihr habt einen Teil davon, als daß der Muteſſelim alles behielt.“ „Effendi, das iſt ein ſehr guter Glaube!“ beteuerte Merſinah. „Du biſt ein treuer Anhänger des Propheten. Allah ſegne dich dafür!“ „Höre, Merſinah! Wenn ich ein Anhänger des Propheten wäre, ſo hättet ihr nichts erhalten, ſondern ich hätte alles in meine eigene Taſche gethan. Ich bin kein Moslem.“ „Kein Moslem!“ rief ſie erſtaunt. „Was denn?“ „Ein Chriſt.“ „Maſchallah! Biſt du ein Neſſorah *)?“ „Nein. Mein Glaube iſt ein anderer als derjenige der Neſſorah.“ „So glaubſt du wohl auch an die heilige Omm Allah Marryam?“ **) „Ja.“ „O, Emir, die Chriſten, welche an dieſe glauben, ſind alle gute Leute!“ „Woher weißt du das?“ „Das ſehe ich an dir, und das weiß ich auch von der alten Marah Durimeh.“ „Ah! Kennſt du dieſe?“ *) Neſtorianer. **) Mutter Gottes, Maria.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/379
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/379>, abgerufen am 15.05.2024.