der eine Wendung der Dinge zu seinen Ungunsten nicht vermutete.
"Frage ihn einmal," sagte ich, "wo er seine Waffen hat!"
"Wo hast du sie?"
"Sie wurden mir genommen."
"Wo?"
"Im Schlafe."
"Er lügt, Mutesselim! Dieser Mann war dem Had- schi Lindsay-Bey von dem Mutessarif mitgegeben worden; er hat auf mich geschossen und entfloh; dann unterwegs lauerte er uns auf und gab aus dem Dickicht des Waldes noch zwei Kugeln auf mich ab, die aber nicht trafen. Mein Hund hielt ihn fest, aber ich ließ Gnade walten, vergab ihm und ließ ihn entkommen. Wir nahmen ihm dabei die Waffen ab, welche mein Khawaß noch besitzt. Soll ich die Zeugen, daß ich die Wahrheit rede, kommen lassen?"
"Herr, ich glaube dir! Nehmt diesen Hund gefangen und schafft ihn in das sicherste Loch, welches sich in dem Gefängnisse befindet!"
"Herr, befiehlst du mir, den Makredsch gleich mit- zunehmen?" fragte Selim Agha den Kommandanten.
"Ja."
"Mutesselim, laß ihn zuvor binden," erinnerte ich. "Er hat einen Fluchtversuch gemacht und wird ihn wie- derholen."
"Bindet ihn!"
Sie wurden alle beide abgeführt, und ich blieb mit dem Kommandanten allein zurück. Dieser war von dem Ereignisse so angegriffen, daß er sich müde auf den Teppich fallen ließ.
"Wer hätte das gedacht!" seufzte er.
der eine Wendung der Dinge zu ſeinen Ungunſten nicht vermutete.
„Frage ihn einmal,“ ſagte ich, „wo er ſeine Waffen hat!“
„Wo haſt du ſie?“
„Sie wurden mir genommen.“
„Wo?“
„Im Schlafe.“
„Er lügt, Muteſſelim! Dieſer Mann war dem Had- ſchi Lindſay-Bey von dem Muteſſarif mitgegeben worden; er hat auf mich geſchoſſen und entfloh; dann unterwegs lauerte er uns auf und gab aus dem Dickicht des Waldes noch zwei Kugeln auf mich ab, die aber nicht trafen. Mein Hund hielt ihn feſt, aber ich ließ Gnade walten, vergab ihm und ließ ihn entkommen. Wir nahmen ihm dabei die Waffen ab, welche mein Khawaß noch beſitzt. Soll ich die Zeugen, daß ich die Wahrheit rede, kommen laſſen?“
„Herr, ich glaube dir! Nehmt dieſen Hund gefangen und ſchafft ihn in das ſicherſte Loch, welches ſich in dem Gefängniſſe befindet!“
„Herr, befiehlſt du mir, den Makredſch gleich mit- zunehmen?“ fragte Selim Agha den Kommandanten.
„Ja.“
„Muteſſelim, laß ihn zuvor binden,“ erinnerte ich. „Er hat einen Fluchtverſuch gemacht und wird ihn wie- derholen.“
„Bindet ihn!“
Sie wurden alle beide abgeführt, und ich blieb mit dem Kommandanten allein zurück. Dieſer war von dem Ereigniſſe ſo angegriffen, daß er ſich müde auf den Teppich fallen ließ.
„Wer hätte das gedacht!“ ſeufzte er.
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der eine Wendung der Dinge zu ſeinen Ungunſten nicht
vermutete.
„Frage ihn einmal,“ ſagte ich, „wo er ſeine Waffen
hat!“
„Wo haſt du ſie?“
„Sie wurden mir genommen.“
„Wo?“
„Im Schlafe.“
„Er lügt, Muteſſelim! Dieſer Mann war dem Had-
ſchi Lindſay-Bey von dem Muteſſarif mitgegeben worden;
er hat auf mich geſchoſſen und entfloh; dann unterwegs
lauerte er uns auf und gab aus dem Dickicht des Waldes
noch zwei Kugeln auf mich ab, die aber nicht trafen.
Mein Hund hielt ihn feſt, aber ich ließ Gnade walten,
vergab ihm und ließ ihn entkommen. Wir nahmen ihm
dabei die Waffen ab, welche mein Khawaß noch beſitzt.
Soll ich die Zeugen, daß ich die Wahrheit rede, kommen
laſſen?“
„Herr, ich glaube dir! Nehmt dieſen Hund gefangen
und ſchafft ihn in das ſicherſte Loch, welches ſich in dem
Gefängniſſe befindet!“
„Herr, befiehlſt du mir, den Makredſch gleich mit-
zunehmen?“ fragte Selim Agha den Kommandanten.
„Ja.“
„Muteſſelim, laß ihn zuvor binden,“ erinnerte ich.
„Er hat einen Fluchtverſuch gemacht und wird ihn wie-
derholen.“
„Bindet ihn!“
Sie wurden alle beide abgeführt, und ich blieb mit
dem Kommandanten allein zurück. Dieſer war von dem
Ereigniſſe ſo angegriffen, daß er ſich müde auf den Teppich
fallen ließ.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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