gesehen habe, wie weit ihr zu gehen wagt. Weißt du, wer dieser Mann ist?"
"Der Makredsch von Mossul."
"Du irrst. Er ist es nicht mehr; er ist abgesetzt."
"Abgesetzt!" rief er.
"Mensch!" rief dagegen der Makredsch. "Ich er- würge dich."
"Abgesetzt!" rief der Kommandant noch einmal, halb erschrocken und halb fragend.
"Ja. Selim Agha, ich sagte dir vorhin, daß ich dir heute einen Befehl geben werde, dem du Gehorsam leisten wirst. Jetzt sollst du ihn hören: Nimm den Mann dort gefangen und stecke ihn in das Loch, in welches ich kom- men sollte! Er wird dann nach Mossul geschafft."
Der gute Agha staunte erst mich an und dann die beiden andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um meinen Worten nachzukommen.
"Er ist wahnsinnig," meinte der Makredsch, indem er sich erhob.
"Du selbst mußt es sein, da du es wagst, nach Ama- dijah zu kommen. Warum bist du nicht den geraden Weg, sondern über Mungayschi geritten? Du siehst, daß ich alles weiß. Hier, Mutesselim, hast du den Beweis, daß ich das Recht habe, seine Gefangennehmung zu verlangen!"
Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali Bey gerichtet war. Er blickte zunächst nach der Unterschrift.
"Vom Anatoli Kasi Askeri?"
"Ja. Er ist in Mossul und verlangt die Ausliefe- rung dieses Mannes. Lies!"
"Es ist wahr!" staunte er. "Aber was thut der Mu- tessarif?"
"Er ist auch abgesetzt. Lies auch dieses andere Schreiben!"
Ich übergab es ihm, und er las es.
geſehen habe, wie weit ihr zu gehen wagt. Weißt du, wer dieſer Mann iſt?“
„Der Makredſch von Moſſul.“
„Du irrſt. Er iſt es nicht mehr; er iſt abgeſetzt.“
„Abgeſetzt!“ rief er.
„Menſch!“ rief dagegen der Makredſch. „Ich er- würge dich.“
„Abgeſetzt!“ rief der Kommandant noch einmal, halb erſchrocken und halb fragend.
„Ja. Selim Agha, ich ſagte dir vorhin, daß ich dir heute einen Befehl geben werde, dem du Gehorſam leiſten wirſt. Jetzt ſollſt du ihn hören: Nimm den Mann dort gefangen und ſtecke ihn in das Loch, in welches ich kom- men ſollte! Er wird dann nach Moſſul geſchafft.“
Der gute Agha ſtaunte erſt mich an und dann die beiden andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um meinen Worten nachzukommen.
„Er iſt wahnſinnig,“ meinte der Makredſch, indem er ſich erhob.
„Du ſelbſt mußt es ſein, da du es wagſt, nach Ama- dijah zu kommen. Warum biſt du nicht den geraden Weg, ſondern über Mungayſchi geritten? Du ſiehſt, daß ich alles weiß. Hier, Muteſſelim, haſt du den Beweis, daß ich das Recht habe, ſeine Gefangennehmung zu verlangen!“
Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali Bey gerichtet war. Er blickte zunächſt nach der Unterſchrift.
„Vom Anatoli Kaſi Askeri?“
„Ja. Er iſt in Moſſul und verlangt die Ausliefe- rung dieſes Mannes. Lies!“
„Es iſt wahr!“ ſtaunte er. „Aber was thut der Mu- teſſarif?“
„Er iſt auch abgeſetzt. Lies auch dieſes andere Schreiben!“
Ich übergab es ihm, und er las es.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0299"n="285"/>
geſehen habe, wie weit ihr zu gehen wagt. Weißt du,<lb/>
wer dieſer Mann iſt?“</p><lb/><p>„Der Makredſch von Moſſul.“</p><lb/><p>„Du irrſt. Er iſt es nicht mehr; er iſt abgeſetzt.“</p><lb/><p>„Abgeſetzt!“ rief er.</p><lb/><p>„Menſch!“ rief dagegen der Makredſch. „Ich er-<lb/>
würge dich.“</p><lb/><p>„Abgeſetzt!“ rief der Kommandant noch einmal, halb<lb/>
erſchrocken und halb fragend.</p><lb/><p>„Ja. Selim Agha, ich ſagte dir vorhin, daß ich dir<lb/>
heute einen Befehl geben werde, dem du Gehorſam leiſten<lb/>
wirſt. Jetzt ſollſt du ihn hören: Nimm den Mann dort<lb/>
gefangen und ſtecke ihn in das Loch, in welches ich kom-<lb/>
men ſollte! Er wird dann nach Moſſul geſchafft.“</p><lb/><p>Der gute Agha ſtaunte erſt mich an und dann die<lb/>
beiden andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um<lb/>
meinen Worten nachzukommen.</p><lb/><p>„Er iſt wahnſinnig,“ meinte der Makredſch, indem<lb/>
er ſich erhob.</p><lb/><p>„Du ſelbſt mußt es ſein, da du es wagſt, nach Ama-<lb/>
dijah zu kommen. Warum biſt du nicht den geraden Weg,<lb/>ſondern über Mungayſchi geritten? Du ſiehſt, daß ich<lb/>
alles weiß. Hier, Muteſſelim, haſt du den Beweis, daß<lb/>
ich das Recht habe, ſeine Gefangennehmung zu verlangen!“</p><lb/><p>Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali<lb/>
Bey gerichtet war. Er blickte zunächſt nach der Unterſchrift.</p><lb/><p>„Vom Anatoli Kaſi Askeri?“</p><lb/><p>„Ja. Er iſt in Moſſul und verlangt die Ausliefe-<lb/>
rung dieſes Mannes. Lies!“</p><lb/><p>„Es iſt wahr!“ſtaunte er. „Aber was thut der Mu-<lb/>
teſſarif?“</p><lb/><p>„Er iſt auch abgeſetzt. Lies auch dieſes andere Schreiben!“</p><lb/><p>Ich übergab es ihm, und er las es.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[285/0299]
geſehen habe, wie weit ihr zu gehen wagt. Weißt du,
wer dieſer Mann iſt?“
„Der Makredſch von Moſſul.“
„Du irrſt. Er iſt es nicht mehr; er iſt abgeſetzt.“
„Abgeſetzt!“ rief er.
„Menſch!“ rief dagegen der Makredſch. „Ich er-
würge dich.“
„Abgeſetzt!“ rief der Kommandant noch einmal, halb
erſchrocken und halb fragend.
„Ja. Selim Agha, ich ſagte dir vorhin, daß ich dir
heute einen Befehl geben werde, dem du Gehorſam leiſten
wirſt. Jetzt ſollſt du ihn hören: Nimm den Mann dort
gefangen und ſtecke ihn in das Loch, in welches ich kom-
men ſollte! Er wird dann nach Moſſul geſchafft.“
Der gute Agha ſtaunte erſt mich an und dann die
beiden andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um
meinen Worten nachzukommen.
„Er iſt wahnſinnig,“ meinte der Makredſch, indem
er ſich erhob.
„Du ſelbſt mußt es ſein, da du es wagſt, nach Ama-
dijah zu kommen. Warum biſt du nicht den geraden Weg,
ſondern über Mungayſchi geritten? Du ſiehſt, daß ich
alles weiß. Hier, Muteſſelim, haſt du den Beweis, daß
ich das Recht habe, ſeine Gefangennehmung zu verlangen!“
Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali
Bey gerichtet war. Er blickte zunächſt nach der Unterſchrift.
„Vom Anatoli Kaſi Askeri?“
„Ja. Er iſt in Moſſul und verlangt die Ausliefe-
rung dieſes Mannes. Lies!“
„Es iſt wahr!“ ſtaunte er. „Aber was thut der Mu-
teſſarif?“
„Er iſt auch abgeſetzt. Lies auch dieſes andere Schreiben!“
Ich übergab es ihm, und er las es.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/299>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.