Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad
el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und schien sich
nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob
er sich.

"Ist das der Araber?" fragte ich.

"Ja."

"Spricht er nicht türkisch?"

"Er redet gar nicht."

"Nie?"

"Kein Wort. Deshalb erhält er auch kein warmes Essen."

"Soll ich einmal mit ihm reden?"

"Versuche es!"

Ich trat näher zu ihm heran und sagte:

"Sprich nicht mit mir!"

Er blieb infolgedessen still.

"Siehst du, daß er nicht antwortet!" meinte der Ser-
geant zornig. "Sage ihm, daß du ein großer Emir bist,
und dann wird er wohl reden!"

Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirk-
lich nicht Arabisch verstanden; und wenn auch, der Dialekt
der Haddedihn war ihnen fremdklingend.

"Halte dich heute abend bereit," sagte ich zu Amad.
"Vielleicht ist es mir heute möglich, wiederzukommen."

Er stand stolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu
verziehen.

"Er redet auch jetzt noch nicht!" rief der Unteroffi-
zier. "Nun soll er heute auch kein Brot bekommen, da er
nicht einmal dem Effendi antwortet."

Die Revision der Löcher war beendet. Nun führte
man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ
dies geschehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich
waren wir fertig, und Mersinah sah mir mit fragender
Miene in das Gesicht.

Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad
el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und ſchien ſich
nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob
er ſich.

„Iſt das der Araber?“ fragte ich.

„Ja.“

„Spricht er nicht türkiſch?“

„Er redet gar nicht.“

„Nie?“

„Kein Wort. Deshalb erhält er auch kein warmes Eſſen.“

„Soll ich einmal mit ihm reden?“

„Verſuche es!“

Ich trat näher zu ihm heran und ſagte:

„Sprich nicht mit mir!“

Er blieb infolgedeſſen ſtill.

„Siehſt du, daß er nicht antwortet!“ meinte der Ser-
geant zornig. „Sage ihm, daß du ein großer Emir biſt,
und dann wird er wohl reden!“

Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirk-
lich nicht Arabiſch verſtanden; und wenn auch, der Dialekt
der Haddedihn war ihnen fremdklingend.

„Halte dich heute abend bereit,“ ſagte ich zu Amad.
„Vielleicht iſt es mir heute möglich, wiederzukommen.“

Er ſtand ſtolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu
verziehen.

„Er redet auch jetzt noch nicht!“ rief der Unteroffi-
zier. „Nun ſoll er heute auch kein Brot bekommen, da er
nicht einmal dem Effendi antwortet.“

Die Reviſion der Löcher war beendet. Nun führte
man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ
dies geſchehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich
waren wir fertig, und Merſinah ſah mir mit fragender
Miene in das Geſicht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0275" n="261"/>
        <p>Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad<lb/>
el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und &#x017F;chien &#x017F;ich<lb/>
nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob<lb/>
er &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t das der Araber?&#x201C; fragte ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Spricht er nicht türki&#x017F;ch?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er redet gar nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nie?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kein Wort. Deshalb erhält er auch kein warmes E&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Soll ich einmal mit ihm reden?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ver&#x017F;uche es!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich trat näher zu ihm heran und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sprich nicht mit mir!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er blieb infolgede&#x017F;&#x017F;en &#x017F;till.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sieh&#x017F;t du, daß er nicht antwortet!&#x201C; meinte der Ser-<lb/>
geant zornig. &#x201E;Sage ihm, daß du ein großer Emir bi&#x017F;t,<lb/>
und dann wird er wohl reden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirk-<lb/>
lich nicht Arabi&#x017F;ch ver&#x017F;tanden; und wenn auch, der Dialekt<lb/>
der Haddedihn war ihnen fremdklingend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Halte dich heute abend bereit,&#x201C; &#x017F;agte ich zu Amad.<lb/>
&#x201E;Vielleicht i&#x017F;t es mir heute möglich, wiederzukommen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;tand &#x017F;tolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu<lb/>
verziehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er redet auch jetzt noch nicht!&#x201C; rief der Unteroffi-<lb/>
zier. &#x201E;Nun &#x017F;oll er heute auch kein Brot bekommen, da er<lb/>
nicht einmal dem Effendi antwortet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Revi&#x017F;ion der Löcher war beendet. Nun führte<lb/>
man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ<lb/>
dies ge&#x017F;chehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich<lb/>
waren wir fertig, und Mer&#x017F;inah &#x017F;ah mir mit fragender<lb/>
Miene in das Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0275] Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und ſchien ſich nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob er ſich. „Iſt das der Araber?“ fragte ich. „Ja.“ „Spricht er nicht türkiſch?“ „Er redet gar nicht.“ „Nie?“ „Kein Wort. Deshalb erhält er auch kein warmes Eſſen.“ „Soll ich einmal mit ihm reden?“ „Verſuche es!“ Ich trat näher zu ihm heran und ſagte: „Sprich nicht mit mir!“ Er blieb infolgedeſſen ſtill. „Siehſt du, daß er nicht antwortet!“ meinte der Ser- geant zornig. „Sage ihm, daß du ein großer Emir biſt, und dann wird er wohl reden!“ Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirk- lich nicht Arabiſch verſtanden; und wenn auch, der Dialekt der Haddedihn war ihnen fremdklingend. „Halte dich heute abend bereit,“ ſagte ich zu Amad. „Vielleicht iſt es mir heute möglich, wiederzukommen.“ Er ſtand ſtolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu verziehen. „Er redet auch jetzt noch nicht!“ rief der Unteroffi- zier. „Nun ſoll er heute auch kein Brot bekommen, da er nicht einmal dem Effendi antwortet.“ Die Reviſion der Löcher war beendet. Nun führte man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ dies geſchehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich waren wir fertig, und Merſinah ſah mir mit fragender Miene in das Geſicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/275
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/275>, abgerufen am 17.05.2024.