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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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fallen hörst, so hebe ihn auf; es wird ein Papier daran
gebunden sein, welches dir sagt, was du thun sollst."

"Herr, du giebst mir das Leben zurück; denn beinahe
wäre ich verzweifelt! Wie habt ihr erfahren, daß man
mich nach Amadijah geschleppt hat?"

"Ein Dschesidi sagte es mir, den du am Wasser ge-
troffen hast."

"Das stimmt," antwortete er schnell. "O, nun sehe
ich, daß du die Wahrheit redest! Ich werde warten, aber
grüße den Vater von mir!"

"Ich werde es noch heute thun. Hast du Hunger?"

"Sehr!"

"Könntest du Brot, Licht und Feuerzeug verstecken?"

"Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die
Erde."

"Hier hast du meinen Dolch dazu. Es ist für alle
Fälle gut, wenn du eine Waffe hast. Aber sie ist mir
kostbar; laß sie nicht entdeckt werden!"

Er griff hastig zu und drückte sie an die Lippen.

"Herr, Allah mag dir das in deiner Todesstunde
gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei
sein, auch wenn ihr nicht kommen könnt!"

"Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vor-
schnelles; das könnte dich und deinen Vater in große
Gefahr versetzen."

"Ich werde eine ganze Woche warten. Seid ihr
dann noch nicht gekommen, so handle ich selbst."

"Gut! Wenn es geht, werde ich dir noch diese Nacht
Speise, Licht und Feuerzeug durch das Fenster bringen.
Vielleicht können wir auch miteinander sprechen. Wenn
es ohne Gefahr geschehen kann, sollst du die Stimme
deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen!"

"Herr, reiche mir deine Hand!"

fallen hörſt, ſo hebe ihn auf; es wird ein Papier daran
gebunden ſein, welches dir ſagt, was du thun ſollſt.“

„Herr, du giebſt mir das Leben zurück; denn beinahe
wäre ich verzweifelt! Wie habt ihr erfahren, daß man
mich nach Amadijah geſchleppt hat?“

„Ein Dſcheſidi ſagte es mir, den du am Waſſer ge-
troffen haſt.“

„Das ſtimmt,“ antwortete er ſchnell. „O, nun ſehe
ich, daß du die Wahrheit redeſt! Ich werde warten, aber
grüße den Vater von mir!“

„Ich werde es noch heute thun. Haſt du Hunger?“

„Sehr!“

„Könnteſt du Brot, Licht und Feuerzeug verſtecken?“

„Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die
Erde.“

„Hier haſt du meinen Dolch dazu. Es iſt für alle
Fälle gut, wenn du eine Waffe haſt. Aber ſie iſt mir
koſtbar; laß ſie nicht entdeckt werden!“

Er griff haſtig zu und drückte ſie an die Lippen.

„Herr, Allah mag dir das in deiner Todesſtunde
gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei
ſein, auch wenn ihr nicht kommen könnt!“

„Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vor-
ſchnelles; das könnte dich und deinen Vater in große
Gefahr verſetzen.“

„Ich werde eine ganze Woche warten. Seid ihr
dann noch nicht gekommen, ſo handle ich ſelbſt.“

„Gut! Wenn es geht, werde ich dir noch dieſe Nacht
Speiſe, Licht und Feuerzeug durch das Fenſter bringen.
Vielleicht können wir auch miteinander ſprechen. Wenn
es ohne Gefahr geſchehen kann, ſollſt du die Stimme
deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen!“

„Herr, reiche mir deine Hand!“

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[245/0259] fallen hörſt, ſo hebe ihn auf; es wird ein Papier daran gebunden ſein, welches dir ſagt, was du thun ſollſt.“ „Herr, du giebſt mir das Leben zurück; denn beinahe wäre ich verzweifelt! Wie habt ihr erfahren, daß man mich nach Amadijah geſchleppt hat?“ „Ein Dſcheſidi ſagte es mir, den du am Waſſer ge- troffen haſt.“ „Das ſtimmt,“ antwortete er ſchnell. „O, nun ſehe ich, daß du die Wahrheit redeſt! Ich werde warten, aber grüße den Vater von mir!“ „Ich werde es noch heute thun. Haſt du Hunger?“ „Sehr!“ „Könnteſt du Brot, Licht und Feuerzeug verſtecken?“ „Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die Erde.“ „Hier haſt du meinen Dolch dazu. Es iſt für alle Fälle gut, wenn du eine Waffe haſt. Aber ſie iſt mir koſtbar; laß ſie nicht entdeckt werden!“ Er griff haſtig zu und drückte ſie an die Lippen. „Herr, Allah mag dir das in deiner Todesſtunde gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei ſein, auch wenn ihr nicht kommen könnt!“ „Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vor- ſchnelles; das könnte dich und deinen Vater in große Gefahr verſetzen.“ „Ich werde eine ganze Woche warten. Seid ihr dann noch nicht gekommen, ſo handle ich ſelbſt.“ „Gut! Wenn es geht, werde ich dir noch dieſe Nacht Speiſe, Licht und Feuerzeug durch das Fenſter bringen. Vielleicht können wir auch miteinander ſprechen. Wenn es ohne Gefahr geſchehen kann, ſollſt du die Stimme deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen!“ „Herr, reiche mir deine Hand!“

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/259>, abgerufen am 17.05.2024.