Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Könnt ihr Galläpfel bekommen?"

"Deren wachsen viel in unsern Wäldern. Wir haben
welche im Hause."

"Macht schnell einen sehr starken, heißen Kaffee fertig
und kocht Galläpfel in Wasser. Schickt auch nach Citronen!"

"Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen
und Kaffee füttern!" verwunderte sich der Hekim, indem
er vor Entsetzen die Hände zusammenschlug.

Ich steckte in Ermangelung von etwas anderem den
Finger in den Mund der Kranken, um sie zum Erbrechen
zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines
Messers vor ihren Zähnen schützte. Nach einiger Mühe
gelang das Experiment, wenn auch unter der schmerzlichsten
Anstrengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch
war die Entleerung nicht hinlänglich.

"Giebt es eine Etschzaga *) in der Nähe?" fragte ich,
da ein Vomitiv notwendig war.

"In derselben Gasse."

"Komm schnell; führe mich!"

Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen
Laden stehen.

"Hier wohnt der Attar!" **) sagte er.

Ich trat in die kleine Budika und sah mich von
einem Chaos von allerlei nötigen und unnötigen Dingen um-
geben. Ranzige Pomaden, Pfeifenrohre, alte vertrocknete
Pflaster und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker
in einem Kasten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfeffer-
körner und geschabte Kreide, Sennesblätter in einer Büchse,
auf welcher "Honig" stand; Drahtnägel, Ingwer und
Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, Essig,
Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanfsamen, Gallizenstein,
Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Teer,

*) Apotheke.
**) Kräuterhändler.
II. 14

„Könnt ihr Galläpfel bekommen?“

„Deren wachſen viel in unſern Wäldern. Wir haben
welche im Hauſe.“

„Macht ſchnell einen ſehr ſtarken, heißen Kaffee fertig
und kocht Galläpfel in Waſſer. Schickt auch nach Citronen!“

„Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen
und Kaffee füttern!“ verwunderte ſich der Hekim, indem
er vor Entſetzen die Hände zuſammenſchlug.

Ich ſteckte in Ermangelung von etwas anderem den
Finger in den Mund der Kranken, um ſie zum Erbrechen
zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines
Meſſers vor ihren Zähnen ſchützte. Nach einiger Mühe
gelang das Experiment, wenn auch unter der ſchmerzlichſten
Anſtrengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch
war die Entleerung nicht hinlänglich.

„Giebt es eine Etſchzaga *) in der Nähe?“ fragte ich,
da ein Vomitiv notwendig war.

„In derſelben Gaſſe.“

„Komm ſchnell; führe mich!“

Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen
Laden ſtehen.

„Hier wohnt der Attar!“ **) ſagte er.

Ich trat in die kleine Budika und ſah mich von
einem Chaos von allerlei nötigen und unnötigen Dingen um-
geben. Ranzige Pomaden, Pfeifenrohre, alte vertrocknete
Pflaſter und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker
in einem Kaſten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfeffer-
körner und geſchabte Kreide, Sennesblätter in einer Büchſe,
auf welcher „Honig“ ſtand; Drahtnägel, Ingwer und
Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, Eſſig,
Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanfſamen, Gallizenſtein,
Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Teer,

*) Apotheke.
**) Kräuterhändler.
II. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0223" n="209"/>
        <p>&#x201E;Könnt ihr Galläpfel bekommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Deren wach&#x017F;en viel in un&#x017F;ern Wäldern. Wir haben<lb/>
welche im Hau&#x017F;e.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Macht &#x017F;chnell einen &#x017F;ehr &#x017F;tarken, heißen Kaffee fertig<lb/>
und kocht Galläpfel in Wa&#x017F;&#x017F;er. Schickt auch nach Citronen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen<lb/>
und Kaffee füttern!&#x201C; verwunderte &#x017F;ich der Hekim, indem<lb/>
er vor Ent&#x017F;etzen die Hände zu&#x017F;ammen&#x017F;chlug.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;teckte in Ermangelung von etwas anderem den<lb/>
Finger in den Mund der Kranken, um &#x017F;ie zum Erbrechen<lb/>
zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;ers vor ihren Zähnen &#x017F;chützte. Nach einiger Mühe<lb/>
gelang das Experiment, wenn auch unter der &#x017F;chmerzlich&#x017F;ten<lb/>
An&#x017F;trengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch<lb/>
war die Entleerung nicht hinlänglich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Giebt es eine Et&#x017F;chzaga <note place="foot" n="*)">Apotheke.</note> in der Nähe?&#x201C; fragte ich,<lb/>
da ein Vomitiv notwendig war.</p><lb/>
        <p>&#x201E;In der&#x017F;elben Ga&#x017F;&#x017F;e.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Komm &#x017F;chnell; führe mich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen<lb/>
Laden &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hier wohnt der Attar!&#x201C; <note place="foot" n="**)">Kräuterhändler.</note> &#x017F;agte er.</p><lb/>
        <p>Ich trat in die kleine Budika und &#x017F;ah mich von<lb/>
einem Chaos von allerlei nötigen und unnötigen Dingen um-<lb/>
geben. Ranzige Pomaden, Pfeifenrohre, alte vertrocknete<lb/>
Pfla&#x017F;ter und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker<lb/>
in einem Ka&#x017F;ten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfeffer-<lb/>
körner und ge&#x017F;chabte Kreide, Sennesblätter in einer Büch&#x017F;e,<lb/>
auf welcher &#x201E;Honig&#x201C; &#x017F;tand; Drahtnägel, Ingwer und<lb/>
Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, E&#x017F;&#x017F;ig,<lb/>
Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanf&#x017F;amen, Gallizen&#x017F;tein,<lb/>
Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Teer,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">II. 14</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0223] „Könnt ihr Galläpfel bekommen?“ „Deren wachſen viel in unſern Wäldern. Wir haben welche im Hauſe.“ „Macht ſchnell einen ſehr ſtarken, heißen Kaffee fertig und kocht Galläpfel in Waſſer. Schickt auch nach Citronen!“ „Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen und Kaffee füttern!“ verwunderte ſich der Hekim, indem er vor Entſetzen die Hände zuſammenſchlug. Ich ſteckte in Ermangelung von etwas anderem den Finger in den Mund der Kranken, um ſie zum Erbrechen zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines Meſſers vor ihren Zähnen ſchützte. Nach einiger Mühe gelang das Experiment, wenn auch unter der ſchmerzlichſten Anſtrengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch war die Entleerung nicht hinlänglich. „Giebt es eine Etſchzaga *) in der Nähe?“ fragte ich, da ein Vomitiv notwendig war. „In derſelben Gaſſe.“ „Komm ſchnell; führe mich!“ Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen Laden ſtehen. „Hier wohnt der Attar!“ **) ſagte er. Ich trat in die kleine Budika und ſah mich von einem Chaos von allerlei nötigen und unnötigen Dingen um- geben. Ranzige Pomaden, Pfeifenrohre, alte vertrocknete Pflaſter und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker in einem Kaſten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfeffer- körner und geſchabte Kreide, Sennesblätter in einer Büchſe, auf welcher „Honig“ ſtand; Drahtnägel, Ingwer und Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, Eſſig, Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanfſamen, Gallizenſtein, Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Teer, *) Apotheke. **) Kräuterhändler. II. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/223
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/223>, abgerufen am 05.05.2024.