stark gerötet, Atem und Puls gingen schnell, und ihr Hals bewegte sich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen sei; ich war Laie, aber ich hatte die Ueberzeugung, daß die Kranke Belladonna oder Stramonium genossen habe."
"Hat deine Tochter gebrochen?" fragte ich den Mann.
"Nein."
"Hast du einen Spiegel?"
"Einen kleinen hier."
"Gieb ihn her!"
Der alte Hekim lachte heiser:
"Der böse Geist soll sich im Glase besehen!"
Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch die Fensteröffnung eindringende Licht der bereits nieder- steigenden Sonne so auf den Spiegel fallen, daß es auf das Gesicht der Kranken gebrochen wurde. Der blendende Strahl übte keine Wirkung auf die Iris der Kranken aus.
"Wann hat deine Tochter zum letztenmal gegessen?" fragte ich.
"Das weiß ich nicht," antwortete der Vater. "Sie war allein."
"Wo?"
"Hier."
"Es ist kein böser Geist in sie gefahren, sondern sie hat ein Gift gegessen oder getrunken!"
"Allah il Allah! Ist das wahr, Herr?"
"Ja."
"Glaubt es nicht!" mahnte der Hekim. "Der Teufel ist in ihr."
"Schweig, alter Narr! Habt ihr Citronen hier?"
"Nein."
"Kaffee?"
"Ja."
ſtark gerötet, Atem und Puls gingen ſchnell, und ihr Hals bewegte ſich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen ſei; ich war Laie, aber ich hatte die Ueberzeugung, daß die Kranke Belladonna oder Stramonium genoſſen habe.“
„Hat deine Tochter gebrochen?“ fragte ich den Mann.
„Nein.“
„Haſt du einen Spiegel?“
„Einen kleinen hier.“
„Gieb ihn her!“
Der alte Hekim lachte heiſer:
„Der böſe Geiſt ſoll ſich im Glaſe beſehen!“
Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch die Fenſteröffnung eindringende Licht der bereits nieder- ſteigenden Sonne ſo auf den Spiegel fallen, daß es auf das Geſicht der Kranken gebrochen wurde. Der blendende Strahl übte keine Wirkung auf die Iris der Kranken aus.
„Wann hat deine Tochter zum letztenmal gegeſſen?“ fragte ich.
„Das weiß ich nicht,“ antwortete der Vater. „Sie war allein.“
„Wo?“
„Hier.“
„Es iſt kein böſer Geiſt in ſie gefahren, ſondern ſie hat ein Gift gegeſſen oder getrunken!“
„Allah il Allah! Iſt das wahr, Herr?“
„Ja.“
„Glaubt es nicht!“ mahnte der Hekim. „Der Teufel iſt in ihr.“
„Schweig, alter Narr! Habt ihr Citronen hier?“
„Nein.“
„Kaffee?“
„Ja.“
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ſtark gerötet, Atem und Puls gingen ſchnell, und ihr Hals
bewegte ſich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug
gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen ſei; ich war
Laie, aber ich hatte die Ueberzeugung, daß die Kranke
Belladonna oder Stramonium genoſſen habe.“
„Hat deine Tochter gebrochen?“ fragte ich den Mann.
„Nein.“
„Haſt du einen Spiegel?“
„Einen kleinen hier.“
„Gieb ihn her!“
Der alte Hekim lachte heiſer:
„Der böſe Geiſt ſoll ſich im Glaſe beſehen!“
Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch
die Fenſteröffnung eindringende Licht der bereits nieder-
ſteigenden Sonne ſo auf den Spiegel fallen, daß es auf
das Geſicht der Kranken gebrochen wurde. Der blendende
Strahl übte keine Wirkung auf die Iris der Kranken aus.
„Wann hat deine Tochter zum letztenmal gegeſſen?“
fragte ich.
„Das weiß ich nicht,“ antwortete der Vater. „Sie
war allein.“
„Wo?“
„Hier.“
„Es iſt kein böſer Geiſt in ſie gefahren, ſondern ſie
hat ein Gift gegeſſen oder getrunken!“
„Allah il Allah! Iſt das wahr, Herr?“
„Ja.“
„Glaubt es nicht!“ mahnte der Hekim. „Der Teufel
iſt in ihr.“
„Schweig, alter Narr! Habt ihr Citronen hier?“
„Nein.“
„Kaffee?“
„Ja.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/222>, abgerufen am 06.05.2024.
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