Nun ritten wir nach dem Palast des Kommandanten. Vor demselben standen etwa zweihundert Albanesen in Parade, angeführt von zwei Mulasim unter dem Kom- mando unsers tapfern Selim Agha. Er zog den Sarras und kommandierte:
"Ajakda duryn dykkatli -- steht genau!"
Sie gaben sich herzliche Mühe, diesem Verlangen nachzukommen, bildeten aber doch eine Art Schlangenlinie, die am Ende der Aufstellung in einen sehr gebogenen Schwanz auslief.
"Tschalghy! Islik tscharyn: -- Musik! Pfeift!"
Drei Flöten begannen zu wimmern, und eine tür- kische Trommel forcierte einen Wirbel, der wie das Leiern einer Kaffeemühle klang.
"Daha giöre! Kuwetlirek! -- lauter, stärker!"
Der gute Agha rollte dabei die Augen nach der ge- schwindesten Ziffer von Melzels Metronom; die Musi- kanten thaten es ihm nach, und während dieses künst- lerischen und für uns sehr schmeichelhaften Empfanges ritten wir vor den Eingang, um abzusteigen. Die beiden Lieutenants ritten herbei und hielten uns die Steigbügel. Ich griff in die Tasche und gab jedem von ihnen ein silbernes Zehnpiasterstück. Sie steckten es befriedigt zu sich, ohne im geringsten in ihrer Offiziersehre verletzt zu sein. Der türkische subalterne Offizier ist, besonders in entlegenen Garnisonen, selbst heute noch der Diener seines nächst höheren Vorgesetzten und stets gewohnt, sich als solchen betrachten zu lassen.
Dem Agha gab ich das Zeug und die Börse.
"Melde uns an, und gieb dem Kommandanten dieses Geschenk!"
Er ging würdevoll voran, und wir folgten. Unter dem Thore stand der Nazardschi des Palastes. Er em-
Nun ritten wir nach dem Palaſt des Kommandanten. Vor demſelben ſtanden etwa zweihundert Albaneſen in Parade, angeführt von zwei Mulaſim unter dem Kom- mando unſers tapfern Selim Agha. Er zog den Sarras und kommandierte:
„Ajakda duryn dykkatli — ſteht genau!“
Sie gaben ſich herzliche Mühe, dieſem Verlangen nachzukommen, bildeten aber doch eine Art Schlangenlinie, die am Ende der Aufſtellung in einen ſehr gebogenen Schwanz auslief.
„Tſchalghy! Islik tſcharyn: — Muſik! Pfeift!“
Drei Flöten begannen zu wimmern, und eine tür- kiſche Trommel forcierte einen Wirbel, der wie das Leiern einer Kaffeemühle klang.
„Daha giöre! Kuwetlirek! — lauter, ſtärker!“
Der gute Agha rollte dabei die Augen nach der ge- ſchwindeſten Ziffer von Melzels Metronom; die Muſi- kanten thaten es ihm nach, und während dieſes künſt- leriſchen und für uns ſehr ſchmeichelhaften Empfanges ritten wir vor den Eingang, um abzuſteigen. Die beiden Lieutenants ritten herbei und hielten uns die Steigbügel. Ich griff in die Taſche und gab jedem von ihnen ein ſilbernes Zehnpiaſterſtück. Sie ſteckten es befriedigt zu ſich, ohne im geringſten in ihrer Offiziersehre verletzt zu ſein. Der türkiſche ſubalterne Offizier iſt, beſonders in entlegenen Garniſonen, ſelbſt heute noch der Diener ſeines nächſt höheren Vorgeſetzten und ſtets gewohnt, ſich als ſolchen betrachten zu laſſen.
Dem Agha gab ich das Zeug und die Börſe.
„Melde uns an, und gieb dem Kommandanten dieſes Geſchenk!“
Er ging würdevoll voran, und wir folgten. Unter dem Thore ſtand der Nazardſchi des Palaſtes. Er em-
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Nun ritten wir nach dem Palaſt des Kommandanten.
Vor demſelben ſtanden etwa zweihundert Albaneſen in
Parade, angeführt von zwei Mulaſim unter dem Kom-
mando unſers tapfern Selim Agha. Er zog den Sarras
und kommandierte:
„Ajakda duryn dykkatli — ſteht genau!“
Sie gaben ſich herzliche Mühe, dieſem Verlangen
nachzukommen, bildeten aber doch eine Art Schlangenlinie,
die am Ende der Aufſtellung in einen ſehr gebogenen
Schwanz auslief.
„Tſchalghy! Islik tſcharyn: — Muſik! Pfeift!“
Drei Flöten begannen zu wimmern, und eine tür-
kiſche Trommel forcierte einen Wirbel, der wie das Leiern
einer Kaffeemühle klang.
„Daha giöre! Kuwetlirek! — lauter, ſtärker!“
Der gute Agha rollte dabei die Augen nach der ge-
ſchwindeſten Ziffer von Melzels Metronom; die Muſi-
kanten thaten es ihm nach, und während dieſes künſt-
leriſchen und für uns ſehr ſchmeichelhaften Empfanges
ritten wir vor den Eingang, um abzuſteigen. Die beiden
Lieutenants ritten herbei und hielten uns die Steigbügel.
Ich griff in die Taſche und gab jedem von ihnen ein
ſilbernes Zehnpiaſterſtück. Sie ſteckten es befriedigt zu
ſich, ohne im geringſten in ihrer Offiziersehre verletzt zu
ſein. Der türkiſche ſubalterne Offizier iſt, beſonders in
entlegenen Garniſonen, ſelbſt heute noch der Diener ſeines
nächſt höheren Vorgeſetzten und ſtets gewohnt, ſich als
ſolchen betrachten zu laſſen.
Dem Agha gab ich das Zeug und die Börſe.
„Melde uns an, und gieb dem Kommandanten dieſes
Geſchenk!“
Er ging würdevoll voran, und wir folgten. Unter
dem Thore ſtand der Nazardſchi des Palaſtes. Er em-
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/194>, abgerufen am 29.11.2024.
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