Kugel pfiff über mich hinweg. Mit einem schnellen Griffe zog ich die Schnur, an welche der Hund gebunden war, aus dem Halsbande desselben.
"Sert -- halte fest!"
Nur einen kurzen Laut stieß der Hund aus, der fast so klang, als ob er mir sagen wollte, daß er mich ver- standen habe; dann schoß er in das Gebüsch.
Wir befanden uns in einer Schlucht, deren Seiten von dicht stehenden jungen Eichen bewachsen waren. Selbst einzudringen, war zu gefährlich, da wir uns der Waffe des unsichtbaren Schützen ausgesetzt hätten. Wir schützten uns durch die Körper unserer Pferde und horchten.
"Maschallah! Wer mag es sein?" fragte Mohammed Emin.
"Der Arnaute," antwortete ich.
Da hörten wir einen Schrei und gleich darauf ein lautes, rufendes Anschlagen des Hundes.
"Dojan hat den Thäter," meinte ich so ruhig wie möglich. "Buluk Emini, gehe hin und hole ihn!"
"Allah illa Allah! Emir, ich bleibe; es könnten zehn oder gar hundert sein, und dann wäre ich verloren!"
"Und dein Esel wäre ein Waisenkind geworden, du Hasenfuß! Paß auf die Pferde auf! Kommt!"
Wir drangen in das harte Gestrüpp ein und brauchten nicht weit zu gehen. Ich hatte mich nicht geirrt; es war der Arnaute. Der Hund stand nicht, sondern er lag auf ihm, und zwar in einer Stellung, welche mich über die außergewöhnliche Klugheit des Tieres erstaunen ließ. Der Arnaute hatte nämlich seinen Dolch gezogen, um sich gegen den Angreifer zu verteidigen; der Hund hatte also eine mehrfache Aufgabe. Darum hatte er ihn niedergerissen und sich so auf den rechten Arm des Arnauten gelegt, daß dieser denselben nicht bewegen konnte. Dabei hielt er ihn
Kugel pfiff über mich hinweg. Mit einem ſchnellen Griffe zog ich die Schnur, an welche der Hund gebunden war, aus dem Halsbande desſelben.
„Sert — halte feſt!“
Nur einen kurzen Laut ſtieß der Hund aus, der faſt ſo klang, als ob er mir ſagen wollte, daß er mich ver- ſtanden habe; dann ſchoß er in das Gebüſch.
Wir befanden uns in einer Schlucht, deren Seiten von dicht ſtehenden jungen Eichen bewachſen waren. Selbſt einzudringen, war zu gefährlich, da wir uns der Waffe des unſichtbaren Schützen ausgeſetzt hätten. Wir ſchützten uns durch die Körper unſerer Pferde und horchten.
„Maſchallah! Wer mag es ſein?“ fragte Mohammed Emin.
„Der Arnaute,“ antwortete ich.
Da hörten wir einen Schrei und gleich darauf ein lautes, rufendes Anſchlagen des Hundes.
„Dojan hat den Thäter,“ meinte ich ſo ruhig wie möglich. „Buluk Emini, gehe hin und hole ihn!“
„Allah illa Allah! Emir, ich bleibe; es könnten zehn oder gar hundert ſein, und dann wäre ich verloren!“
„Und dein Eſel wäre ein Waiſenkind geworden, du Haſenfuß! Paß auf die Pferde auf! Kommt!“
Wir drangen in das harte Geſtrüpp ein und brauchten nicht weit zu gehen. Ich hatte mich nicht geirrt; es war der Arnaute. Der Hund ſtand nicht, ſondern er lag auf ihm, und zwar in einer Stellung, welche mich über die außergewöhnliche Klugheit des Tieres erſtaunen ließ. Der Arnaute hatte nämlich ſeinen Dolch gezogen, um ſich gegen den Angreifer zu verteidigen; der Hund hatte alſo eine mehrfache Aufgabe. Darum hatte er ihn niedergeriſſen und ſich ſo auf den rechten Arm des Arnauten gelegt, daß dieſer denſelben nicht bewegen konnte. Dabei hielt er ihn
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Kugel pfiff über mich hinweg. Mit einem ſchnellen Griffe
zog ich die Schnur, an welche der Hund gebunden war,
aus dem Halsbande desſelben.
„Sert — halte feſt!“
Nur einen kurzen Laut ſtieß der Hund aus, der faſt
ſo klang, als ob er mir ſagen wollte, daß er mich ver-
ſtanden habe; dann ſchoß er in das Gebüſch.
Wir befanden uns in einer Schlucht, deren Seiten
von dicht ſtehenden jungen Eichen bewachſen waren. Selbſt
einzudringen, war zu gefährlich, da wir uns der Waffe
des unſichtbaren Schützen ausgeſetzt hätten. Wir ſchützten
uns durch die Körper unſerer Pferde und horchten.
„Maſchallah! Wer mag es ſein?“ fragte Mohammed
Emin.
„Der Arnaute,“ antwortete ich.
Da hörten wir einen Schrei und gleich darauf ein
lautes, rufendes Anſchlagen des Hundes.
„Dojan hat den Thäter,“ meinte ich ſo ruhig wie
möglich. „Buluk Emini, gehe hin und hole ihn!“
„Allah illa Allah! Emir, ich bleibe; es könnten zehn
oder gar hundert ſein, und dann wäre ich verloren!“
„Und dein Eſel wäre ein Waiſenkind geworden, du
Haſenfuß! Paß auf die Pferde auf! Kommt!“
Wir drangen in das harte Geſtrüpp ein und brauchten
nicht weit zu gehen. Ich hatte mich nicht geirrt; es war
der Arnaute. Der Hund ſtand nicht, ſondern er lag auf
ihm, und zwar in einer Stellung, welche mich über die
außergewöhnliche Klugheit des Tieres erſtaunen ließ. Der
Arnaute hatte nämlich ſeinen Dolch gezogen, um ſich gegen
den Angreifer zu verteidigen; der Hund hatte alſo eine
mehrfache Aufgabe. Darum hatte er ihn niedergeriſſen
und ſich ſo auf den rechten Arm des Arnauten gelegt, daß
dieſer denſelben nicht bewegen konnte. Dabei hielt er ihn
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/168>, abgerufen am 27.11.2024.
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