Das klang so einfach. Hier übergab der weltliche Beherrscher der Dschesidi ihrem geistlichen Regenten seine Gewalt ohne die leiseste Regung einer kleinlichen Eifer- sucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. "Willst du?" fragte der eine. "Ich will," antwortete der andere. Welchen Klang mag wohl das Wort "Kulturkampf" in einem der Dialekte dieser Teufelsanbeter haben!
Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik Adi eingeschlossenen Türken besprochen und dann das heu- tige Fest. Unterdessen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe, um einen oder den andern sprachlichen Fund zu thun. Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Atem schnappende Stimme rief:
"Weiche aus, Sihdi!"
Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der seine ganze Körperkraft anstrengte, ein mächtiges Felsstück vor sich herzurollen.
"Was thust du hier?" fragte ich erstaunt.
"Mein Beitrag zum Monument."
"Wird er angenommen? Du bist ja kein Dschesidi!"
"Sehr gern! Ich habe gefragt."
"So hole ich auch einen Stein!"
Nicht weit von unserm Standorte lag ein ziemlicher Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid ab und machte mich daran, ihn fortzuschaffen. Er wurde von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit Anwendung von Seilen emporgezogen, wo er seine Sellung grad über der Sonne bekam.
Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck seines Be- suches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und fragte
„Willſt du es thun?“
„Ich will.“
Das klang ſo einfach. Hier übergab der weltliche Beherrſcher der Dſcheſidi ihrem geiſtlichen Regenten ſeine Gewalt ohne die leiſeſte Regung einer kleinlichen Eifer- ſucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. „Willſt du?“ fragte der eine. „Ich will,“ antwortete der andere. Welchen Klang mag wohl das Wort „Kulturkampf“ in einem der Dialekte dieſer Teufelsanbeter haben!
Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik Adi eingeſchloſſenen Türken beſprochen und dann das heu- tige Feſt. Unterdeſſen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe, um einen oder den andern ſprachlichen Fund zu thun. Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Atem ſchnappende Stimme rief:
„Weiche aus, Sihdi!“
Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der ſeine ganze Körperkraft anſtrengte, ein mächtiges Felsſtück vor ſich herzurollen.
„Was thuſt du hier?“ fragte ich erſtaunt.
„Mein Beitrag zum Monument.“
„Wird er angenommen? Du biſt ja kein Dſcheſidi!“
„Sehr gern! Ich habe gefragt.“
„So hole ich auch einen Stein!“
Nicht weit von unſerm Standorte lag ein ziemlicher Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid ab und machte mich daran, ihn fortzuſchaffen. Er wurde von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit Anwendung von Seilen emporgezogen, wo er ſeine Sellung grad über der Sonne bekam.
Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck ſeines Be- ſuches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und fragte
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„Willſt du es thun?“
„Ich will.“
Das klang ſo einfach. Hier übergab der weltliche
Beherrſcher der Dſcheſidi ihrem geiſtlichen Regenten ſeine
Gewalt ohne die leiſeſte Regung einer kleinlichen Eifer-
ſucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. „Willſt du?“
fragte der eine. „Ich will,“ antwortete der andere.
Welchen Klang mag wohl das Wort „Kulturkampf“ in
einem der Dialekte dieſer Teufelsanbeter haben!
Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik
Adi eingeſchloſſenen Türken beſprochen und dann das heu-
tige Feſt. Unterdeſſen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe,
um einen oder den andern ſprachlichen Fund zu thun.
Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Atem
ſchnappende Stimme rief:
„Weiche aus, Sihdi!“
Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der ſeine
ganze Körperkraft anſtrengte, ein mächtiges Felsſtück vor
ſich herzurollen.
„Was thuſt du hier?“ fragte ich erſtaunt.
„Mein Beitrag zum Monument.“
„Wird er angenommen? Du biſt ja kein Dſcheſidi!“
„Sehr gern! Ich habe gefragt.“
„So hole ich auch einen Stein!“
Nicht weit von unſerm Standorte lag ein ziemlicher
Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid
ab und machte mich daran, ihn fortzuſchaffen. Er wurde
von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich
mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit
Anwendung von Seilen emporgezogen, wo er ſeine Sellung
grad über der Sonne bekam.
Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck ſeines Be-
ſuches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und fragte
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/115>, abgerufen am 22.11.2024.
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