"Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werk- stätte der Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz, wo das Geschäft im Zug ist ... Lasst uns den Grobschmidt als Bei- spiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so lebenskräftigen, lustigen Mann als den Grobschmidt. Er erhebt sich früh und schlägt Funken vor der Sonne; er isst und trinkt und schläft wie kein andrer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäs- siger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wir folgen ihm in die Stadt, und sehn die Arbeitslast, die auf den starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterb- lichkeitslisten unsres Landes? Zu Marylebone (einem der grössten Stadt- viertel Londons) sterben Grobschmidte in dem Verhältniss von 31 per 1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsener Männer in England. Die Beschäftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und für sich tadellos, wird durch blosse Uebertreibung der Arbeit, der Zerstörer des Mannes. Er kann so viel Hammerschläge täg- lich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel öfter des Tags zu athmen, und alles zusammen seine Lebensaus- gabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den Versuch, und das Resultat ist, dass er für eine beschränkte Periode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahr statt im 50. stirbt91)".
Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit, und
Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon 1850 drucken liess: "Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben." In einer kurzen Parabel reducirt er das einzig grossartige Ereigniss der Zeitge- schichte, den amerikanischen Bürgerkrieg, darauf, dass der Peter vom Norden dem Paul vom Süden mit aller Gewalt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter "täglich" und der Paul vom Süden ihn für "Leb- zeit miethet." (Macmillian's Magazine. Ilias Americana in nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für den städtischen, bei Leibe nicht den ländlichen! -- Lohnarbeiter ge- platzt. Der Kern heisst -- Sklaverei!
91) Dr. Richardson. l. c.
„Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werk- stätte der Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz, wo das Geschäft im Zug ist … Lasst uns den Grobschmidt als Bei- spiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so lebenskräftigen, lustigen Mann als den Grobschmidt. Er erhebt sich früh und schlägt Funken vor der Sonne; er isst und trinkt und schläft wie kein andrer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäs- siger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wir folgen ihm in die Stadt, und sehn die Arbeitslast, die auf den starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterb- lichkeitslisten unsres Landes? Zu Marylebone (einem der grössten Stadt- viertel Londons) sterben Grobschmidte in dem Verhältniss von 31 per 1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsener Männer in England. Die Beschäftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und für sich tadellos, wird durch blosse Uebertreibung der Arbeit, der Zerstörer des Mannes. Er kann so viel Hammerschläge täg- lich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel öfter des Tags zu athmen, und alles zusammen seine Lebensaus- gabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den Versuch, und das Resultat ist, dass er für eine beschränkte Periode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahr statt im 50. stirbt91)“.
Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit, und
Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon 1850 drucken liess: „Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben.“ In einer kurzen Parabel reducirt er das einzig grossartige Ereigniss der Zeitge- schichte, den amerikanischen Bürgerkrieg, darauf, dass der Peter vom Norden dem Paul vom Süden mit aller Gewalt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter „täglich“ und der Paul vom Süden ihn für „Leb- zeit miethet.“ (Macmillian’s Magazine. Ilias Americana in nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für den städtischen, bei Leibe nicht den ländlichen! — Lohnarbeiter ge- platzt. Der Kern heisst — Sklaverei!
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wo das Geschäft im Zug ist … Lasst uns den Grobschmidt als Bei-
spiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so
lebenskräftigen, lustigen Mann als den Grobschmidt. Er erhebt sich früh
und schlägt Funken vor der Sonne; er isst und trinkt und schläft wie
kein andrer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäs-
siger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen.
Aber wir folgen ihm in die Stadt, und sehn die Arbeitslast, die auf den
starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterb-
lichkeitslisten unsres Landes? Zu Marylebone (einem der grössten Stadt-
viertel Londons) sterben Grobschmidte in dem Verhältniss von 31 per
1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsener
Männer in England. Die Beschäftigung, eine fast instinktive Kunst der
Menschheit, an und für sich tadellos, wird durch blosse Uebertreibung der
Arbeit, der Zerstörer des Mannes. Er kann so viel Hammerschläge täg-
lich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk
verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn
so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel
öfter des Tags zu athmen, und alles zusammen seine Lebensaus-
gabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den
Versuch, und das Resultat ist, dass er für eine beschränkte Periode ein
Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahr statt im 50. stirbt 91)“.
Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt
des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit, und
90)
91) Dr. Richardson. l. c.
90) Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon
1850 drucken liess: „Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben.“
In einer kurzen Parabel reducirt er das einzig grossartige Ereigniss der Zeitge-
schichte, den amerikanischen Bürgerkrieg, darauf, dass der Peter vom Norden dem
Paul vom Süden mit aller Gewalt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter
vom Norden seinen Arbeiter „täglich“ und der Paul vom Süden ihn für „Leb-
zeit miethet.“ (Macmillian’s Magazine. Ilias Americana in
nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für
den städtischen, bei Leibe nicht den ländlichen! — Lohnarbeiter ge-
platzt. Der Kern heisst — Sklaverei!
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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/245>, abgerufen am 23.11.2024.
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