Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemein-
eigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder
gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privat-
eigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet,
ein anderer Theil -- der ager publicus -- gemeinsam von ihnen bestellt.
Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds
gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung
für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im
Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit
dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien
Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit
für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich
Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich,
bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft
abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit,
den der russische General Kisseleff 1831 proklamirte, war natürlich
von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag
diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des libe-
ralen Cretinismus von ganz Europa.

Nach dem "Reglement organique", so heisst jener Kodex der
Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detail-
lirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage
überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa
Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oeko-
nomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genom-
men, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts
nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist
pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig
würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das
"Reglement" selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Hand-
arbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage,
und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohn-
tage. Es kommt aber hinzu die s. g. Jobagie, Dienstleistungen, die
dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren.
Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl
der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-

schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemein-
eigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder
gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privat-
eigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet,
ein anderer Theil — der ager publicus — gemeinsam von ihnen bestellt.
Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds
gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung
für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im
Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit
dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien
Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit
für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich
Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich,
bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft
abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit,
den der russische General Kisseleff 1831 proklamirte, war natürlich
von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag
diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des libe-
ralen Cretinismus von ganz Europa.

Nach dem „Règlement organique“, so heisst jener Kodex der
Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detail-
lirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage
überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa
Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oeko-
nomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genom-
men, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts
nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist
pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig
würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das
„Règlement“ selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Hand-
arbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage,
und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohn-
tage. Es kommt aber hinzu die s. g. Jobagie, Dienstleistungen, die
dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren.
Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl
der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0224" n="205"/>
schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemein-<lb/>
eigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder<lb/>
gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privat-<lb/>
eigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet,<lb/>
ein anderer Theil &#x2014; der ager publicus &#x2014; gemeinsam von ihnen bestellt.<lb/>
Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds<lb/>
gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung<lb/>
für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im<lb/>
Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit<lb/>
dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien<lb/>
Bauern auf <hi rendition="#g">ihrem</hi> Gemeindeland verwandelte sich in <hi rendition="#g">Frohnarbeit</hi><lb/>
für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich<lb/>
Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich,<lb/>
bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft<lb/>
abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der <hi rendition="#g">Kodex der Frohnarbeit</hi>,<lb/>
den der russische General <hi rendition="#g">Kisseleff</hi> 1831 proklamirte, war natürlich<lb/>
von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag<lb/>
diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des libe-<lb/>
ralen Cretinismus von ganz Europa.</p><lb/>
              <p>Nach dem &#x201E;<hi rendition="#g">Règlement organique</hi>&#x201C;, so heisst jener Kodex der<lb/>
Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detail-<lb/>
lirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage<lb/>
überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa<lb/>
Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oeko-<lb/>
nomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genom-<lb/>
men, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts<lb/><hi rendition="#g">nothwendige</hi> Arbeitstag, aber das <hi rendition="#g">tägliche</hi> Durchschnittsprodukt ist<lb/>
pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig<lb/>
würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das<lb/>
&#x201E;Règlement&#x201C; selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Hand-<lb/>
arbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage,<lb/>
und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohn-<lb/>
tage. Es kommt aber hinzu die s. g. <hi rendition="#g">Jobagie</hi>, Dienstleistungen, die<lb/>
dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren.<lb/>
Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl<lb/>
der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0224] schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemein- eigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privat- eigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet, ein anderer Theil — der ager publicus — gemeinsam von ihnen bestellt. Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich, bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit, den der russische General Kisseleff 1831 proklamirte, war natürlich von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des libe- ralen Cretinismus von ganz Europa. Nach dem „Règlement organique“, so heisst jener Kodex der Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detail- lirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oeko- nomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genom- men, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das „Règlement“ selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Hand- arbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage, und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohn- tage. Es kommt aber hinzu die s. g. Jobagie, Dienstleistungen, die dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren. Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/224
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/224>, abgerufen am 03.05.2024.