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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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arbeit wird für jeden walachischen Bauer auf 14 Tage geschätzt. So
beträgt die vorgeschriebene Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das
Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei wegen des schlechten Klima's
nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feiertage, 30 durchschnittlich
für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage.
Das Verhältniss der Frohnarbeit zur nothwendigen Arbeit, , oder
66 2/3 %, drückt eine viel kleinere Rate des Mehrwerths aus als die,
welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder Fabrikarbeiters regu-
lirt. Diess ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebene Frohnarbeit.
Und in noch "liberalerem" Geist als die englische Fabrikgesetzgebung hat
das "Reglement organique" seine eigne Umgehung zu erleichtern gewusst.
Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nominelle Tagwerk jedes
der 54 Frohntage wieder so bestimmt, dass eine Zubusse auf die folgenden
Tage fallen muss. In einem Tag z. B. soll eine Landstrecke ausgegätet
werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen,
doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tagwerk für einzelne
Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, dass der Tag im Monat Mai anfängt
und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmun-
gen noch härter. "Die zwölf Frohntage des Reglement organique",
rief ein siegtrunkener Bojar, "belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!"45)

War das Reglement organique der Donaufürstenthümer ein
positiver Ausdruck des Heisshungers nach Mehrarbeit, den jeder
Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory Acts nega-
tive
Ausdrücke desselben Heisshungers. Diese Gesetze treten dem
Drang des Kapitals nach massloser Aussaugung der Arbeitskraft durch
gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats-
wegen
entgegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und
Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar-
beiterbewegung abgesehn, diktirte dieselbe Nothwendigkeit die Beschrän-
kung der Fabrikarbeit, welche den Guano auf die englischen Felder aus-
goss. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft,
hatte in dem andern die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen.

45) Weitere Details findet man in: "E. Regnault: Histoire poli-
tique et sociale des Principautes Danubiennes. Paris
1855."

arbeit wird für jeden walachischen Bauer auf 14 Tage geschätzt. So
beträgt die vorgeschriebene Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das
Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei wegen des schlechten Klima’s
nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feiertage, 30 durchschnittlich
für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage.
Das Verhältniss der Frohnarbeit zur nothwendigen Arbeit, , oder
66⅔ %, drückt eine viel kleinere Rate des Mehrwerths aus als die,
welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder Fabrikarbeiters regu-
lirt. Diess ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebene Frohnarbeit.
Und in noch „liberalerem“ Geist als die englische Fabrikgesetzgebung hat
das „Règlement organique“ seine eigne Umgehung zu erleichtern gewusst.
Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nominelle Tagwerk jedes
der 54 Frohntage wieder so bestimmt, dass eine Zubusse auf die folgenden
Tage fallen muss. In einem Tag z. B. soll eine Landstrecke ausgegätet
werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen,
doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tagwerk für einzelne
Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, dass der Tag im Monat Mai anfängt
und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmun-
gen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organique“,
rief ein siegtrunkener Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!“45)

War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein
positiver Ausdruck des Heisshungers nach Mehrarbeit, den jeder
Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory Acts nega-
tive
Ausdrücke desselben Heisshungers. Diese Gesetze treten dem
Drang des Kapitals nach massloser Aussaugung der Arbeitskraft durch
gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats-
wegen
entgegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und
Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar-
beiterbewegung abgesehn, diktirte dieselbe Nothwendigkeit die Beschrän-
kung der Fabrikarbeit, welche den Guano auf die englischen Felder aus-
goss. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft,
hatte in dem andern die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen.

45) Weitere Details findet man in: „E. Regnault: Histoire poli-
tique et sociale des Principautés Danubiennes. Paris
1855.“
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[206/0225] arbeit wird für jeden walachischen Bauer auf 14 Tage geschätzt. So beträgt die vorgeschriebene Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei wegen des schlechten Klima’s nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feiertage, 30 durchschnittlich für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage. Das Verhältniss der Frohnarbeit zur nothwendigen Arbeit, [FORMEL], oder 66⅔ %, drückt eine viel kleinere Rate des Mehrwerths aus als die, welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder Fabrikarbeiters regu- lirt. Diess ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebene Frohnarbeit. Und in noch „liberalerem“ Geist als die englische Fabrikgesetzgebung hat das „Règlement organique“ seine eigne Umgehung zu erleichtern gewusst. Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nominelle Tagwerk jedes der 54 Frohntage wieder so bestimmt, dass eine Zubusse auf die folgenden Tage fallen muss. In einem Tag z. B. soll eine Landstrecke ausgegätet werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen, doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tagwerk für einzelne Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, dass der Tag im Monat Mai anfängt und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmun- gen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organique“, rief ein siegtrunkener Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!“ 45) War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein positiver Ausdruck des Heisshungers nach Mehrarbeit, den jeder Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory Acts nega- tive Ausdrücke desselben Heisshungers. Diese Gesetze treten dem Drang des Kapitals nach massloser Aussaugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats- wegen entgegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar- beiterbewegung abgesehn, diktirte dieselbe Nothwendigkeit die Beschrän- kung der Fabrikarbeit, welche den Guano auf die englischen Felder aus- goss. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft, hatte in dem andern die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen. 45) Weitere Details findet man in: „E. Regnault: Histoire poli- tique et sociale des Principautés Danubiennes. Paris 1855.“

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/225>, abgerufen am 29.11.2024.