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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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ist42). Indess ist klar, dass wenn in einer ökonomischen Gesellschafts-
formation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth
des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren
Kreis von Bedürfnissen beschränkt, aber kein schrankenloses Be-
dürfniss nach Mehrarbeit
durch den Charakter der Pro-
duktion selbst
gegeben ist. Wo wir im Alterthume scheinbare Ab-
weichungen von diesem Gesetz finden, bilden sie in der That seinen direk-
testen Beweis. Am entsetzlichsten z. B. zeigt sich hier die Ueberarbeit,
wo der Tauschwerth in seiner selbstständigen Gestalt als Geld produzirt
wird, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod arbei-
ten ist hier die offizielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodo-
rus Siculus43). Wenn jedoch Völker, bei denen sich die Produktion noch
in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt,
mitten in einem durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten
Weltmarkt stehn, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vor-
wiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Skla-
verei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit auf-
gepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der
amerikanischen Union einen gemässigt patriarchalischen Charakter, so
lange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf ge-
richtet war. In dem Masse aber wie der Export der Baumwolle das
Lebensinteresse jener Staaten wurde, wurde die Ueberarbeitung des Negers,
hier und da die Consumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor
eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine

42) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner "Römischen Geschichte":
"Man kann sich nicht verhehlen, dass Werke wie die etruskischen, die in ihren
Trümmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Frohnherrn und Knechte vor-
aussetzen." Viel tiefer sagte Sismondi, dass "Brüsseler Spitzen" Lohnherrn
und Lohndiener voraussetzen.
43) "Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen
Aegypten, Aethiopien und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten,
noch ihre Blösse decken können, nicht ansehen, ohne ihr jammervolles Schick-
sal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht und keine Schonung statt für
Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche Schwachheit. Alle müssen,
durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Noth
ein Ende macht." Diod. Sic. Historische Bibliothek, Buch 3, c. 13.

ist42). Indess ist klar, dass wenn in einer ökonomischen Gesellschafts-
formation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth
des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren
Kreis von Bedürfnissen beschränkt, aber kein schrankenloses Be-
dürfniss nach Mehrarbeit
durch den Charakter der Pro-
duktion selbst
gegeben ist. Wo wir im Alterthume scheinbare Ab-
weichungen von diesem Gesetz finden, bilden sie in der That seinen direk-
testen Beweis. Am entsetzlichsten z. B. zeigt sich hier die Ueberarbeit,
wo der Tauschwerth in seiner selbstständigen Gestalt als Geld produzirt
wird, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod arbei-
ten ist hier die offizielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodo-
rus Siculus43). Wenn jedoch Völker, bei denen sich die Produktion noch
in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt,
mitten in einem durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten
Weltmarkt stehn, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vor-
wiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Skla-
verei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit auf-
gepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der
amerikanischen Union einen gemässigt patriarchalischen Charakter, so
lange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf ge-
richtet war. In dem Masse aber wie der Export der Baumwolle das
Lebensinteresse jener Staaten wurde, wurde die Ueberarbeitung des Negers,
hier und da die Consumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor
eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine

42) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte“:
„Man kann sich nicht verhehlen, dass Werke wie die etruskischen, die in ihren
Trümmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Frohnherrn und Knechte vor-
aussetzen.“ Viel tiefer sagte Sismondi, dass „Brüsseler Spitzen“ Lohnherrn
und Lohndiener voraussetzen.
43) „Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen
Aegypten, Aethiopien und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten,
noch ihre Blösse decken können, nicht ansehen, ohne ihr jammervolles Schick-
sal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht und keine Schonung statt für
Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche Schwachheit. Alle müssen,
durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Noth
ein Ende macht.“ Diod. Sic. Historische Bibliothek, Buch 3, c. 13.
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[203/0222] ist 42). Indess ist klar, dass wenn in einer ökonomischen Gesellschafts- formation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren Kreis von Bedürfnissen beschränkt, aber kein schrankenloses Be- dürfniss nach Mehrarbeit durch den Charakter der Pro- duktion selbst gegeben ist. Wo wir im Alterthume scheinbare Ab- weichungen von diesem Gesetz finden, bilden sie in der That seinen direk- testen Beweis. Am entsetzlichsten z. B. zeigt sich hier die Ueberarbeit, wo der Tauschwerth in seiner selbstständigen Gestalt als Geld produzirt wird, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod arbei- ten ist hier die offizielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodo- rus Siculus 43). Wenn jedoch Völker, bei denen sich die Produktion noch in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt, mitten in einem durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt stehn, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vor- wiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Skla- verei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit auf- gepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemässigt patriarchalischen Charakter, so lange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf ge- richtet war. In dem Masse aber wie der Export der Baumwolle das Lebensinteresse jener Staaten wurde, wurde die Ueberarbeitung des Negers, hier und da die Consumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine 42) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte“: „Man kann sich nicht verhehlen, dass Werke wie die etruskischen, die in ihren Trümmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Frohnherrn und Knechte vor- aussetzen.“ Viel tiefer sagte Sismondi, dass „Brüsseler Spitzen“ Lohnherrn und Lohndiener voraussetzen. 43) „Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen Aegypten, Aethiopien und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten, noch ihre Blösse decken können, nicht ansehen, ohne ihr jammervolles Schick- sal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht und keine Schonung statt für Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche Schwachheit. Alle müssen, durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Noth ein Ende macht.“ Diod. Sic. Historische Bibliothek, Buch 3, c. 13.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/222>, abgerufen am 03.05.2024.