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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied des Vereins zur
Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit
stehen, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein
Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner
Herzschlag
. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den
Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer40).

Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus
der Natur des Waarenaustauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also
keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht
als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und wo möglich aus
Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schliesst die spezifische
Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Consums durch den Käufer
ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er
den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Es findet
hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmässig
durch das Gesetz des Waarenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen
Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte
der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags
als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar -- ein
Kampf zwischen dem Gesammtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapi-
talisten
, und dem Gesammtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.

Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht er-
funden. Ueberall, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produk-
tionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbst-
erhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen,
um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produziren41),
ob dieser Eigenthümer nun ein atheniensischer kalos kagathos, ein
etruskischer Theokrat, civis romanus, normännischer Baron, amerikanischer
Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist

40) Während des grossen Strike der London builders, 1860--61, zur Reduk-
tion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Comite eine Erklärung, die
halb und halb auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung
spielt nicht ohne Ironie darauf an, dass der Profitwüthigste der "building masters"
-- ein gewisser Sir M. Peto -- im "Geruch der Heiligkeit" stehe.
41) "Those who labour . . . . in reality feed both the pensioners called
therich
, and themselves." (Edmund Burke l. c. p. 2.)

auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied des Vereins zur
Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit
stehen, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein
Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner
Herzschlag
. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den
Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer40).

Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus
der Natur des Waarenaustauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also
keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht
als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und wo möglich aus
Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schliesst die spezifische
Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Consums durch den Käufer
ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er
den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Es findet
hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmässig
durch das Gesetz des Waarenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen
Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte
der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags
als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar — ein
Kampf zwischen dem Gesammtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapi-
talisten
, und dem Gesammtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.

Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht er-
funden. Ueberall, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produk-
tionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbst-
erhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen,
um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produziren41),
ob dieser Eigenthümer nun ein atheniensischer ϰαλος ϰἀγαϑός, ein
etruskischer Theokrat, civis romanus, normännischer Baron, amerikanischer
Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist

40) Während des grossen Strike der London builders, 1860—61, zur Reduk-
tion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Comité eine Erklärung, die
halb und halb auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung
spielt nicht ohne Ironie darauf an, dass der Profitwüthigste der „building masters“
— ein gewisser Sir M. Peto — im „Geruch der Heiligkeit“ stehe.
41) „Those who labour . . . . in reality feed both the pensioners called
therich
, and themselves.“ (Edmund Burke l. c. p. 2.)
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[202/0221] auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied des Vereins zur Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit stehen, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer 40). Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus der Natur des Waarenaustauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und wo möglich aus Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schliesst die spezifische Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Consums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmässig durch das Gesetz des Waarenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar — ein Kampf zwischen dem Gesammtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapi- talisten, und dem Gesammtarbeiter, oder der Arbeiterklasse. Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht er- funden. Ueberall, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produk- tionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbst- erhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produziren 41), ob dieser Eigenthümer nun ein atheniensischer ϰαλος ϰἀγαϑός, ein etruskischer Theokrat, civis romanus, normännischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist 40) Während des grossen Strike der London builders, 1860—61, zur Reduk- tion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Comité eine Erklärung, die halb und halb auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung spielt nicht ohne Ironie darauf an, dass der Profitwüthigste der „building masters“ — ein gewisser Sir M. Peto — im „Geruch der Heiligkeit“ stehe. 41) „Those who labour . . . . in reality feed both the pensioners called therich, and themselves.“ (Edmund Burke l. c. p. 2.)

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/221>, abgerufen am 03.05.2024.