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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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sie umsonst stimmte und am Veto der Republikaner verfassungsmäßig scheitern
müsse. Erklärte sie verfassungswidrig die einfache Stimmenmajorität für
bindend, so konnte sie die Revolution nur zu beherrschen hoffen, wenn sie
sich unbedingt der Botmäßigkeit der Exekutivgewalt unterwarf, so machte sie
Bonaparte zum Meister über die Verfassung, über die Revision und über sich
selbst. Eine nur theilweise Revision, welche die Gewalt des Präsidenten ver¬
längerte, bahnte der imperialistischen Usurpation den Weg. Eine allgemeine
Revision, welche die Existenz der Republik abkürzte, brachte die dynastischen
Ansprüche in unvermeidlichen Konflikt, denn die Bedingungen für eine
bourbonische und die Bedingungen für eine orleanistische Restauration waren
nicht nur verschieden, sie schlossen sich wechselseitig aus.

Die parlamentarische Republik war mehr als das neutrale
Gebiet, worin die zwei Fraktionen der französischen Bourgeoisie, Legitimisten
und Orleanisten, großes Grundeigenthum und Industrie, gleichberechtigt
nebeneinander hausen konnten. Sie war die unumgängliche Bedingung
ihrer gemeinsamen Herrschaft, die einzige Staatsform, worin ihr
allgemeines Klasseninteresse sich zugleich die Ansprüche ihrer besondern Frak¬
tionen wie alle übrigen Klassen der Gesellschaft unterwarf. Als Royalisten
fielen sie in ihren alten Gegensatz zurück, in den Kampf um die Suprematie
des Grundeigenthums oder des Geldes, und der höchste Ausdruck dieses
Gegensatzes, die Personifikation desselben, waren ihre Könige selbst, ihre
Dynastien. Daher das Sträuben der Ordnungspartei gegen die Rückbe¬
rufung der Bourbonen.

Der Orleanist und Volksrepräsentant Creton hatte 1849, 1850 und
1851 periodisch den Antrag gestellt, das Verbannungsdekret gegen die
königlichen Familien aufzuheben. Das Parlament bot eben so periodisch das
Schauspiel einer Versammlung von Royalisten, welche ihren verbannten Königen
hartnäckig die Thore verschließt, durch die sie heimkehren könnten. Richard
III. hatte Heinrich VI. ermordet mit dem Bemerken, daß er zu gut für diese
Welt sei und in den Himmel gehöre. Sie erklärten Frankreich für zu
schlecht, seine Könige wieder zu besitzen. Durch die Macht der Verhältnisse
gezwungen waren sie Republikaner geworden und sanktionirten wiederholt den
Volksbeschluß, der ihre Könige aus Frankreich verwies.

Die Revision der Verfassung -- und sie in Betracht zu ziehen zwangen
die Umstände -- stellte mit der Republik zugleich die gemeinsame Herrschaft
der beiden Bourgeois-Fraktionen in Frage und rief, mit der Möglichkeit der

ſie umſonſt ſtimmte und am Veto der Republikaner verfaſſungsmäßig ſcheitern
müſſe. Erklärte ſie verfaſſungswidrig die einfache Stimmenmajorität für
bindend, ſo konnte ſie die Revolution nur zu beherrſchen hoffen, wenn ſie
ſich unbedingt der Botmäßigkeit der Exekutivgewalt unterwarf, ſo machte ſie
Bonaparte zum Meiſter über die Verfaſſung, über die Reviſion und über ſich
ſelbſt. Eine nur theilweiſe Reviſion, welche die Gewalt des Präſidenten ver¬
längerte, bahnte der imperialiſtiſchen Uſurpation den Weg. Eine allgemeine
Reviſion, welche die Exiſtenz der Republik abkürzte, brachte die dynaſtiſchen
Anſprüche in unvermeidlichen Konflikt, denn die Bedingungen für eine
bourboniſche und die Bedingungen für eine orleaniſtiſche Reſtauration waren
nicht nur verſchieden, ſie ſchloſſen ſich wechſelſeitig aus.

Die parlamentariſche Republik war mehr als das neutrale
Gebiet, worin die zwei Fraktionen der franzöſiſchen Bourgeoiſie, Legitimiſten
und Orleaniſten, großes Grundeigenthum und Induſtrie, gleichberechtigt
nebeneinander hauſen konnten. Sie war die unumgängliche Bedingung
ihrer gemeinſamen Herrſchaft, die einzige Staatsform, worin ihr
allgemeines Klaſſenintereſſe ſich zugleich die Anſprüche ihrer beſondern Frak¬
tionen wie alle übrigen Klaſſen der Geſellſchaft unterwarf. Als Royaliſten
fielen ſie in ihren alten Gegenſatz zurück, in den Kampf um die Suprematie
des Grundeigenthums oder des Geldes, und der höchſte Ausdruck dieſes
Gegenſatzes, die Perſonifikation deſſelben, waren ihre Könige ſelbſt, ihre
Dynaſtien. Daher das Sträuben der Ordnungspartei gegen die Rückbe¬
rufung der Bourbonen.

Der Orleaniſt und Volksrepräſentant Creton hatte 1849, 1850 und
1851 periodiſch den Antrag geſtellt, das Verbannungsdekret gegen die
königlichen Familien aufzuheben. Das Parlament bot eben ſo periodiſch das
Schauſpiel einer Verſammlung von Royaliſten, welche ihren verbannten Königen
hartnäckig die Thore verſchließt, durch die ſie heimkehren könnten. Richard
III. hatte Heinrich VI. ermordet mit dem Bemerken, daß er zu gut für dieſe
Welt ſei und in den Himmel gehöre. Sie erklärten Frankreich für zu
ſchlecht, ſeine Könige wieder zu beſitzen. Durch die Macht der Verhältniſſe
gezwungen waren ſie Republikaner geworden und ſanktionirten wiederholt den
Volksbeſchluß, der ihre Könige aus Frankreich verwies.

Die Reviſion der Verfaſſung — und ſie in Betracht zu ziehen zwangen
die Umſtände — ſtellte mit der Republik zugleich die gemeinſame Herrſchaft
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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/78>, abgerufen am 07.05.2024.