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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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bauern, sie selbst in Heroen verwandelt, nach außen hin den neuen Besitz
vertheidigend, ihre eben erst errungene Nationalität verherrlichend, die Welt
plündernd und revolutionirend. Die Uniform war ihr eignes Staatskostüm,
der Krieg ihre Poesie, die in der Phantasie verlängerte und abgerundete
Parzelle das Vaterland und der Patriotismus die ideale Form des Eigen¬
thumssinnes. Aber die Feinde, wogegen der französische Bauer jetzt sein
Eigenthum zu vertheidigen hat, es sind nicht die Kosacken, es sind die
Huissiers und Steuerexekutoren. Die Parzelle liegt nicht mehr im sogenannten
Vaterland, sondern im Hypothekenbuch. Die Armee selbst ist nicht mehr
die Blüthe der Bauernjugend, sie ist die Sumpfblume des bäuerlichen Lum¬
penproletariats. Sie besteht großentheils aus Remplacants, aus Ersatz¬
männern, wie der zweite Bonaparte selbst nur Remplacant, der Ersatzmann
für Napoleon ist. Ihre Heldenthaten verrichtet sie jetzt in den Gems- und
Treibjagden auf die Bauern, im Gendarmendienst, und wenn die innern
Widersprüche seines Systems den Chef der Gesellschaft des 10. Dezember
über die französische Grenze jagen, wird sie nach einigen Banditenstreichen
keine Lorbeeren, sondern Prügel ernten.

Man sieht: Alle "idees napoleoniennes" sind Ideen der un¬
entwickelten
, jugendfrischen Parzelle, sie sind ein Widersinn für
die überlebte Parzelle. Sie sind nur die Hallucinationen ihres Todeskampfes,
Worte, die in Phrasen, Geister, die in Gespenster verwandelt. Aber die
Parodie des Imperialismus war nothwendig, um die Masse der französischen
Nation von der Wucht der Tradition zu befreien und den Gegensatz der
Staatsgewalt zur Gesellschaft rein herauszuarbeiten. Mit der fortschrei¬
tenden Zerrüttung des Parzelleneigenthums bricht das aus ihm aufgeführte
Staatsgebäude zusammen. Die staatliche Centralisation, deren die moderne
Gesellschaft bedarf, erhebt sich mir auf den Trümmern der militärisch¬
büreaukratischen Regierungsmaschinerie, die im Gegensatz zum Feudalismus
geschmiedet ward.

Die französischen Bauernverhältnisse enthüllen uns das Räthsel der
allgemeinen Wahlen vom 20. und 21. Dezember, die den
zweiten Bonaparte auf den Berg Sinai führten, nicht um Gesetze zu er¬
halten, sondern um sie zu geben.

Die Bourgeoisie hatte jetzt offenbar keine andere Wahl, als Bonaparte
zu wählen. Als die Puritaner auf dem Konzile von Konstanz über das
lasterhafte Leben der Päpste klagten und über die Nothwendigkeit der Sitten¬

bauern, ſie ſelbſt in Heroen verwandelt, nach außen hin den neuen Beſitz
vertheidigend, ihre eben erſt errungene Nationalität verherrlichend, die Welt
plündernd und revolutionirend. Die Uniform war ihr eignes Staatskoſtüm,
der Krieg ihre Poeſie, die in der Phantaſie verlängerte und abgerundete
Parzelle das Vaterland und der Patriotismus die ideale Form des Eigen¬
thumsſinnes. Aber die Feinde, wogegen der franzöſiſche Bauer jetzt ſein
Eigenthum zu vertheidigen hat, es ſind nicht die Koſacken, es ſind die
Huiſſiers und Steuerexekutoren. Die Parzelle liegt nicht mehr im ſogenannten
Vaterland, ſondern im Hypothekenbuch. Die Armee ſelbſt iſt nicht mehr
die Blüthe der Bauernjugend, ſie iſt die Sumpfblume des bäuerlichen Lum¬
penproletariats. Sie beſteht großentheils aus Remplacants, aus Erſatz¬
männern, wie der zweite Bonaparte ſelbſt nur Remplacant, der Erſatzmann
für Napoleon iſt. Ihre Heldenthaten verrichtet ſie jetzt in den Gems- und
Treibjagden auf die Bauern, im Gendarmendienſt, und wenn die innern
Widerſprüche ſeines Syſtems den Chef der Geſellſchaft des 10. Dezember
über die franzöſiſche Grenze jagen, wird ſie nach einigen Banditenſtreichen
keine Lorbeeren, ſondern Prügel ernten.

Man ſieht: Alleidées napoléoniennesſind Ideen der un¬
entwickelten
, jugendfriſchen Parzelle, ſie ſind ein Widerſinn für
die überlebte Parzelle. Sie ſind nur die Hallucinationen ihres Todeskampfes,
Worte, die in Phraſen, Geiſter, die in Geſpenſter verwandelt. Aber die
Parodie des Imperialismus war nothwendig, um die Maſſe der franzöſiſchen
Nation von der Wucht der Tradition zu befreien und den Gegenſatz der
Staatsgewalt zur Geſellſchaft rein herauszuarbeiten. Mit der fortſchrei¬
tenden Zerrüttung des Parzelleneigenthums bricht das aus ihm aufgeführte
Staatsgebäude zuſammen. Die ſtaatliche Centraliſation, deren die moderne
Geſellſchaft bedarf, erhebt ſich mir auf den Trümmern der militäriſch¬
büreaukratiſchen Regierungsmaſchinerie, die im Gegenſatz zum Feudalismus
geſchmiedet ward.

Die franzöſiſchen Bauernverhältniſſe enthüllen uns das Räthſel der
allgemeinen Wahlen vom 20. und 21. Dezember, die den
zweiten Bonaparte auf den Berg Sinai führten, nicht um Geſetze zu er¬
halten, ſondern um ſie zu geben.

Die Bourgeoiſie hatte jetzt offenbar keine andere Wahl, als Bonaparte
zu wählen. Als die Puritaner auf dem Konzile von Konſtanz über das
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[94/0106] bauern, ſie ſelbſt in Heroen verwandelt, nach außen hin den neuen Beſitz vertheidigend, ihre eben erſt errungene Nationalität verherrlichend, die Welt plündernd und revolutionirend. Die Uniform war ihr eignes Staatskoſtüm, der Krieg ihre Poeſie, die in der Phantaſie verlängerte und abgerundete Parzelle das Vaterland und der Patriotismus die ideale Form des Eigen¬ thumsſinnes. Aber die Feinde, wogegen der franzöſiſche Bauer jetzt ſein Eigenthum zu vertheidigen hat, es ſind nicht die Koſacken, es ſind die Huiſſiers und Steuerexekutoren. Die Parzelle liegt nicht mehr im ſogenannten Vaterland, ſondern im Hypothekenbuch. Die Armee ſelbſt iſt nicht mehr die Blüthe der Bauernjugend, ſie iſt die Sumpfblume des bäuerlichen Lum¬ penproletariats. Sie beſteht großentheils aus Remplacants, aus Erſatz¬ männern, wie der zweite Bonaparte ſelbſt nur Remplacant, der Erſatzmann für Napoleon iſt. Ihre Heldenthaten verrichtet ſie jetzt in den Gems- und Treibjagden auf die Bauern, im Gendarmendienſt, und wenn die innern Widerſprüche ſeines Syſtems den Chef der Geſellſchaft des 10. Dezember über die franzöſiſche Grenze jagen, wird ſie nach einigen Banditenſtreichen keine Lorbeeren, ſondern Prügel ernten. Man ſieht: Alle „idées napoléoniennes“ ſind Ideen der un¬ entwickelten, jugendfriſchen Parzelle, ſie ſind ein Widerſinn für die überlebte Parzelle. Sie ſind nur die Hallucinationen ihres Todeskampfes, Worte, die in Phraſen, Geiſter, die in Geſpenſter verwandelt. Aber die Parodie des Imperialismus war nothwendig, um die Maſſe der franzöſiſchen Nation von der Wucht der Tradition zu befreien und den Gegenſatz der Staatsgewalt zur Geſellſchaft rein herauszuarbeiten. Mit der fortſchrei¬ tenden Zerrüttung des Parzelleneigenthums bricht das aus ihm aufgeführte Staatsgebäude zuſammen. Die ſtaatliche Centraliſation, deren die moderne Geſellſchaft bedarf, erhebt ſich mir auf den Trümmern der militäriſch¬ büreaukratiſchen Regierungsmaſchinerie, die im Gegenſatz zum Feudalismus geſchmiedet ward. Die franzöſiſchen Bauernverhältniſſe enthüllen uns das Räthſel der allgemeinen Wahlen vom 20. und 21. Dezember, die den zweiten Bonaparte auf den Berg Sinai führten, nicht um Geſetze zu er¬ halten, ſondern um ſie zu geben. Die Bourgeoiſie hatte jetzt offenbar keine andere Wahl, als Bonaparte zu wählen. Als die Puritaner auf dem Konzile von Konſtanz über das laſterhafte Leben der Päpſte klagten und über die Nothwendigkeit der Sitten¬

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/106>, abgerufen am 06.05.2024.