Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Rechte d. Völker in Ans. d. einzelnen Hoheitsrechte.
25 Jahre in dem Grenzvertrage zwischen Sardinien und Genf
1754. art. 12. u. s. f.
c) D. Strube von den Religionskriegen in seinen Neben-
stunden
Th. II. n. 7.
§. 111.
Völkerrechts-Dienstbarkeiten.

Außer den bisher erörterten gegenseitigen, auf Ver-
träge oder Herkommen beruhenden Rechten der Völker in
Ansehung ihrer inneren Angelegenheiten, lassen sich noch
mannigfaltige Fälle gedenken und anführen, wo eine Macht
ein vollkommnes Recht auf das Gebiet der andern erwor-
ben hat, Kraft dessen diese zu ihrem Besten etwas zu dul-
den, zu thun, oder zu unterlassen verpflichtet ist, wozu sie
sonst nicht verbunden wäre, und welches sie auch von jener
nicht hinwiederum zu fordern berechtiget ist; daraus ent-
steht der Begriff der besondren Völkerrechts-Dienstbar-
keiten
Servitutes iuris publici s. gentium particulares
(§. 73.). Es giebt nicht leicht ein Hoheitsrecht in Ansehung
dessen sich nicht Beyspiele solcher Völkerrechts-Dienstbar-
keiten anführen ließen. So lange eine solche Servitut nur
entweder ein oder anderes zufällige Hoheitsrecht zum Ge-
genstande hat, oder doch nur auf einen Theil des Gebiets
des andern, auf einzelne Orte u. s. f. sich beschränkt, so lange
verhindert sie den Staat, der ihre Last trägt, nicht frey und
unabhängig zu seyn. Sobald hingegen ein auswärtiger
Staat entweder ein oder mehrere wesentliche Hoheitsrechte
über das ganze Gebiet eines andren Staats ausübt, oder
dieser letztere wenigstens ohne dessen Wissen und Einwil-
ligung sie nicht ausüben darf, so ist die völlige Unab-
hängigkeit des Staats verloren, und er ist zum Theil der
Oberherrschaft des andern unterworfen a).

Da übrigens ein Staat Theile seines Eigenthums
und seiner Oberherrschaft zu veräußern befugt ist, auch auf
einen Theil seiner natürlichen Rechte und Vortheile Ver-
zicht leisten kann, so können auch solche Völkerrechts-Dienst-

barkeiten,
J 4
Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
25 Jahre in dem Grenzvertrage zwiſchen Sardinien und Genf
1754. art. 12. u. ſ. f.
c) D. Strube von den Religionskriegen in ſeinen Neben-
ſtunden
Th. II. n. 7.
§. 111.
Voͤlkerrechts-Dienſtbarkeiten.

Außer den bisher eroͤrterten gegenſeitigen, auf Ver-
traͤge oder Herkommen beruhenden Rechten der Voͤlker in
Anſehung ihrer inneren Angelegenheiten, laſſen ſich noch
mannigfaltige Faͤlle gedenken und anfuͤhren, wo eine Macht
ein vollkommnes Recht auf das Gebiet der andern erwor-
ben hat, Kraft deſſen dieſe zu ihrem Beſten etwas zu dul-
den, zu thun, oder zu unterlaſſen verpflichtet iſt, wozu ſie
ſonſt nicht verbunden waͤre, und welches ſie auch von jener
nicht hinwiederum zu fordern berechtiget iſt; daraus ent-
ſteht der Begriff der beſondren Voͤlkerrechts-Dienſtbar-
keiten
Servitutes iuris publici ſ. gentium particulares
(§. 73.). Es giebt nicht leicht ein Hoheitsrecht in Anſehung
deſſen ſich nicht Beyſpiele ſolcher Voͤlkerrechts-Dienſtbar-
keiten anfuͤhren ließen. So lange eine ſolche Servitut nur
entweder ein oder anderes zufaͤllige Hoheitsrecht zum Ge-
genſtande hat, oder doch nur auf einen Theil des Gebiets
des andern, auf einzelne Orte u. ſ. f. ſich beſchraͤnkt, ſo lange
verhindert ſie den Staat, der ihre Laſt traͤgt, nicht frey und
unabhaͤngig zu ſeyn. Sobald hingegen ein auswaͤrtiger
Staat entweder ein oder mehrere weſentliche Hoheitsrechte
uͤber das ganze Gebiet eines andren Staats ausuͤbt, oder
dieſer letztere wenigſtens ohne deſſen Wiſſen und Einwil-
ligung ſie nicht ausuͤben darf, ſo iſt die voͤllige Unab-
haͤngigkeit des Staats verloren, und er iſt zum Theil der
Oberherrſchaft des andern unterworfen a).

Da uͤbrigens ein Staat Theile ſeines Eigenthums
und ſeiner Oberherrſchaft zu veraͤußern befugt iſt, auch auf
einen Theil ſeiner natuͤrlichen Rechte und Vortheile Ver-
zicht leiſten kann, ſo koͤnnen auch ſolche Voͤlkerrechts-Dienſt-

barkeiten,
J 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note place="end" n="b)"><pb facs="#f0163" n="135"/><fw place="top" type="header">Rechte d. Vo&#x0364;lker in An&#x017F;. d. einzelnen Hoheitsrechte.</fw><lb/>
25 Jahre in dem Grenzvertrage zwi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Sardinien</hi> und <hi rendition="#fr">Genf</hi><lb/>
1754. <hi rendition="#aq">art. 12.</hi> u. &#x017F;. f.</note><lb/>
            <note place="end" n="c)"><hi rendition="#fr">D. <hi rendition="#g">Strube</hi> von den Religionskriegen</hi> in &#x017F;einen <hi rendition="#fr">Neben-<lb/>
&#x017F;tunden</hi> Th. <hi rendition="#aq">II. n. 7.</hi></note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 111.<lb/><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;lkerrechts-Dien&#x017F;tbarkeiten</hi>.</head><lb/>
            <p>Außer den bisher ero&#x0364;rterten gegen&#x017F;eitigen, auf Ver-<lb/>
tra&#x0364;ge oder Herkommen beruhenden Rechten der Vo&#x0364;lker in<lb/>
An&#x017F;ehung ihrer inneren Angelegenheiten, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich noch<lb/>
mannigfaltige Fa&#x0364;lle gedenken und anfu&#x0364;hren, wo eine Macht<lb/>
ein vollkommnes Recht auf das Gebiet der andern erwor-<lb/>
ben hat, Kraft de&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e zu ihrem Be&#x017F;ten etwas zu dul-<lb/>
den, zu thun, oder zu unterla&#x017F;&#x017F;en verpflichtet i&#x017F;t, wozu &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nicht verbunden wa&#x0364;re, und welches &#x017F;ie auch von jener<lb/>
nicht hinwiederum zu fordern berechtiget i&#x017F;t; daraus ent-<lb/>
&#x017F;teht der Begriff der be&#x017F;ondren <hi rendition="#fr">Vo&#x0364;lkerrechts-Dien&#x017F;tbar-<lb/>
keiten</hi> <hi rendition="#aq">Servitutes iuris publici &#x017F;. gentium particulares</hi><lb/>
(§. 73.). Es giebt nicht leicht ein Hoheitsrecht in An&#x017F;ehung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nicht Bey&#x017F;piele &#x017F;olcher Vo&#x0364;lkerrechts-Dien&#x017F;tbar-<lb/>
keiten anfu&#x0364;hren ließen. So lange eine &#x017F;olche Servitut nur<lb/>
entweder ein oder anderes zufa&#x0364;llige Hoheitsrecht zum Ge-<lb/>
gen&#x017F;tande hat, oder doch nur auf einen Theil des Gebiets<lb/>
des andern, auf einzelne Orte u. &#x017F;. f. &#x017F;ich be&#x017F;chra&#x0364;nkt, &#x017F;o lange<lb/>
verhindert &#x017F;ie den Staat, der ihre La&#x017F;t tra&#x0364;gt, nicht frey und<lb/>
unabha&#x0364;ngig zu &#x017F;eyn. Sobald hingegen ein auswa&#x0364;rtiger<lb/>
Staat entweder ein oder mehrere we&#x017F;entliche Hoheitsrechte<lb/>
u&#x0364;ber das ganze Gebiet eines andren Staats ausu&#x0364;bt, oder<lb/>
die&#x017F;er letztere wenig&#x017F;tens ohne de&#x017F;&#x017F;en Wi&#x017F;&#x017F;en und Einwil-<lb/>
ligung &#x017F;ie nicht ausu&#x0364;ben darf, &#x017F;o i&#x017F;t die vo&#x0364;llige Unab-<lb/>
ha&#x0364;ngigkeit des Staats verloren, und er i&#x017F;t zum Theil der<lb/>
Oberherr&#x017F;chaft des andern unterworfen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Da u&#x0364;brigens ein Staat Theile &#x017F;eines Eigenthums<lb/>
und &#x017F;einer Oberherr&#x017F;chaft zu vera&#x0364;ußern befugt i&#x017F;t, auch auf<lb/>
einen Theil &#x017F;einer natu&#x0364;rlichen Rechte und Vortheile Ver-<lb/>
zicht lei&#x017F;ten kann, &#x017F;o ko&#x0364;nnen auch &#x017F;olche Vo&#x0364;lkerrechts-Dien&#x017F;t-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 4</fw><fw place="bottom" type="catch">barkeiten,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0163] Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte. b⁾ 25 Jahre in dem Grenzvertrage zwiſchen Sardinien und Genf 1754. art. 12. u. ſ. f. c⁾ D. Strube von den Religionskriegen in ſeinen Neben- ſtunden Th. II. n. 7. §. 111. Voͤlkerrechts-Dienſtbarkeiten. Außer den bisher eroͤrterten gegenſeitigen, auf Ver- traͤge oder Herkommen beruhenden Rechten der Voͤlker in Anſehung ihrer inneren Angelegenheiten, laſſen ſich noch mannigfaltige Faͤlle gedenken und anfuͤhren, wo eine Macht ein vollkommnes Recht auf das Gebiet der andern erwor- ben hat, Kraft deſſen dieſe zu ihrem Beſten etwas zu dul- den, zu thun, oder zu unterlaſſen verpflichtet iſt, wozu ſie ſonſt nicht verbunden waͤre, und welches ſie auch von jener nicht hinwiederum zu fordern berechtiget iſt; daraus ent- ſteht der Begriff der beſondren Voͤlkerrechts-Dienſtbar- keiten Servitutes iuris publici ſ. gentium particulares (§. 73.). Es giebt nicht leicht ein Hoheitsrecht in Anſehung deſſen ſich nicht Beyſpiele ſolcher Voͤlkerrechts-Dienſtbar- keiten anfuͤhren ließen. So lange eine ſolche Servitut nur entweder ein oder anderes zufaͤllige Hoheitsrecht zum Ge- genſtande hat, oder doch nur auf einen Theil des Gebiets des andern, auf einzelne Orte u. ſ. f. ſich beſchraͤnkt, ſo lange verhindert ſie den Staat, der ihre Laſt traͤgt, nicht frey und unabhaͤngig zu ſeyn. Sobald hingegen ein auswaͤrtiger Staat entweder ein oder mehrere weſentliche Hoheitsrechte uͤber das ganze Gebiet eines andren Staats ausuͤbt, oder dieſer letztere wenigſtens ohne deſſen Wiſſen und Einwil- ligung ſie nicht ausuͤben darf, ſo iſt die voͤllige Unab- haͤngigkeit des Staats verloren, und er iſt zum Theil der Oberherrſchaft des andern unterworfen a). Da uͤbrigens ein Staat Theile ſeines Eigenthums und ſeiner Oberherrſchaft zu veraͤußern befugt iſt, auch auf einen Theil ſeiner natuͤrlichen Rechte und Vortheile Ver- zicht leiſten kann, ſo koͤnnen auch ſolche Voͤlkerrechts-Dienſt- barkeiten, J 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/163
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/163>, abgerufen am 24.11.2024.