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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Drittes Buch. Drittes Hauptstück.
a) Daher pflegt in Handelsbündnissen zweyer Völker von verschie-
dener Religion der Grad der Duldung oder Religionsübung
bestimmt zu werden, welchen man den gegenseitigen Untertha-
nen einräumen will.
§. 110.
Wieweit ein Volk seinen Glaubensgenossen beystehn dürfe.

Entstehn in einem Staat Streitigkeiten über die
Rechte der verschiedenen Religionspartheyen, so haben fremde
Mächte nicht mehr Rechte in diese, als in andere häußliche
Angelegenheiten sich zu mischen; sie können daher nichts
mehr als gütliche Vorstellungen a) thun, falls sie nicht
rechtmäßig zur Hülfleistung aufgefordert, oder durch Ver-
träge b) oder durch sonst erworbene Rechte aus einem be-
sondren Grunde zur Einmischung berechtiget sind. Aber
über diese Grenzen hinaus glauben die Europäischen Mächtt
ein vollkommenes Recht zu haben, sich ihrer in einem an-
dren Lande bedrängten Glaubensgenossen, selbst mit den
Waffen in der Hand anzunehmen; nur ob dies wirklich ge-
schehe, hängt von politischen Rücksichten ab; denn die Ge-
schichte aller Religionskriege lehret, daß 1) nie ein Krieg
von den Regenten blos um der Religion w[verlorenes Material - Zeichen fehlt]n geführet
worden. 2) Wo politisches Interesse es erheischt oder ge-
stattet, die Sache der Religion wirklich verfochten worden,
hingegen 3) auch der heißeste Religionseifer einer Macht vor
dem politischen Interesse erkalte, und 4) letzteres sie nicht
selten zu ganz entgegengesetzten Schritten verleite c).

a) Wie die Engländer und Niederländer für die Valdenser in
Savoyen, wie die Schweden für die Protestanten in Polen
1707, wie anfangs Rußland, Preußen, Oesterreich, in Polen
für die seit 1764 noch mehr unterdrückten Dissidenten.
b) Z. B. wenn in einem Friedensschlusse, Grenzvertrage u. s. f.
über den Religionszustand abgetretener Provinzen Bestimmun-
gen gemacht werden, wie im Breslauer Frieden 1742. art. 6.
zwischen Oesterreich und Preußen, im Aboer 1743. art. 8. zwi-
schen Rußland und Schweden, in dem Abtretungs-Vertrag
zwischen Polen und Preußen 1773. art. 8.; wie für die nächsten
Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
a) Daher pflegt in Handelsbuͤndniſſen zweyer Voͤlker von verſchie-
dener Religion der Grad der Duldung oder Religionsuͤbung
beſtimmt zu werden, welchen man den gegenſeitigen Untertha-
nen einraͤumen will.
§. 110.
Wieweit ein Volk ſeinen Glaubensgenoſſen beyſtehn duͤrfe.

Entſtehn in einem Staat Streitigkeiten uͤber die
Rechte der verſchiedenen Religionspartheyen, ſo haben fremde
Maͤchte nicht mehr Rechte in dieſe, als in andere haͤußliche
Angelegenheiten ſich zu miſchen; ſie koͤnnen daher nichts
mehr als guͤtliche Vorſtellungen a) thun, falls ſie nicht
rechtmaͤßig zur Huͤlfleiſtung aufgefordert, oder durch Ver-
traͤge b) oder durch ſonſt erworbene Rechte aus einem be-
ſondren Grunde zur Einmiſchung berechtiget ſind. Aber
uͤber dieſe Grenzen hinaus glauben die Europaͤiſchen Maͤchtt
ein vollkommenes Recht zu haben, ſich ihrer in einem an-
dren Lande bedraͤngten Glaubensgenoſſen, ſelbſt mit den
Waffen in der Hand anzunehmen; nur ob dies wirklich ge-
ſchehe, haͤngt von politiſchen Ruͤckſichten ab; denn die Ge-
ſchichte aller Religionskriege lehret, daß 1) nie ein Krieg
von den Regenten blos um der Religion w[verlorenes Material – Zeichen fehlt]n gefuͤhret
worden. 2) Wo politiſches Intereſſe es erheiſcht oder ge-
ſtattet, die Sache der Religion wirklich verfochten worden,
hingegen 3) auch der heißeſte Religionseifer einer Macht vor
dem politiſchen Intereſſe erkalte, und 4) letzteres ſie nicht
ſelten zu ganz entgegengeſetzten Schritten verleite c).

a) Wie die Englaͤnder und Niederlaͤnder fuͤr die Valdenſer in
Savoyen, wie die Schweden fuͤr die Proteſtanten in Polen
1707, wie anfangs Rußland, Preußen, Oeſterreich, in Polen
fuͤr die ſeit 1764 noch mehr unterdruͤckten Diſſidenten.
b) Z. B. wenn in einem Friedensſchluſſe, Grenzvertrage u. ſ. f.
uͤber den Religionszuſtand abgetretener Provinzen Beſtimmun-
gen gemacht werden, wie im Breslauer Frieden 1742. art. 6.
zwiſchen Oeſterreich und Preußen, im Aboer 1743. art. 8. zwi-
ſchen Rußland und Schweden, in dem Abtretungs-Vertrag
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[134/0162] Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck. a⁾ Daher pflegt in Handelsbuͤndniſſen zweyer Voͤlker von verſchie- dener Religion der Grad der Duldung oder Religionsuͤbung beſtimmt zu werden, welchen man den gegenſeitigen Untertha- nen einraͤumen will. §. 110. Wieweit ein Volk ſeinen Glaubensgenoſſen beyſtehn duͤrfe. Entſtehn in einem Staat Streitigkeiten uͤber die Rechte der verſchiedenen Religionspartheyen, ſo haben fremde Maͤchte nicht mehr Rechte in dieſe, als in andere haͤußliche Angelegenheiten ſich zu miſchen; ſie koͤnnen daher nichts mehr als guͤtliche Vorſtellungen a) thun, falls ſie nicht rechtmaͤßig zur Huͤlfleiſtung aufgefordert, oder durch Ver- traͤge b) oder durch ſonſt erworbene Rechte aus einem be- ſondren Grunde zur Einmiſchung berechtiget ſind. Aber uͤber dieſe Grenzen hinaus glauben die Europaͤiſchen Maͤchtt ein vollkommenes Recht zu haben, ſich ihrer in einem an- dren Lande bedraͤngten Glaubensgenoſſen, ſelbſt mit den Waffen in der Hand anzunehmen; nur ob dies wirklich ge- ſchehe, haͤngt von politiſchen Ruͤckſichten ab; denn die Ge- ſchichte aller Religionskriege lehret, daß 1) nie ein Krieg von den Regenten blos um der Religion w_ n gefuͤhret worden. 2) Wo politiſches Intereſſe es erheiſcht oder ge- ſtattet, die Sache der Religion wirklich verfochten worden, hingegen 3) auch der heißeſte Religionseifer einer Macht vor dem politiſchen Intereſſe erkalte, und 4) letzteres ſie nicht ſelten zu ganz entgegengeſetzten Schritten verleite c). a⁾ Wie die Englaͤnder und Niederlaͤnder fuͤr die Valdenſer in Savoyen, wie die Schweden fuͤr die Proteſtanten in Polen 1707, wie anfangs Rußland, Preußen, Oeſterreich, in Polen fuͤr die ſeit 1764 noch mehr unterdruͤckten Diſſidenten. b⁾ Z. B. wenn in einem Friedensſchluſſe, Grenzvertrage u. ſ. f. uͤber den Religionszuſtand abgetretener Provinzen Beſtimmun- gen gemacht werden, wie im Breslauer Frieden 1742. art. 6. zwiſchen Oeſterreich und Preußen, im Aboer 1743. art. 8. zwi- ſchen Rußland und Schweden, in dem Abtretungs-Vertrag zwiſchen Polen und Preußen 1773. art. 8.; wie fuͤr die naͤchſten 25 Jahre

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/162>, abgerufen am 21.11.2024.