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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Kurzer Begriff der Lehre vom Grundbaß.
so entsteht der Accord F, g b d f; und wenn ihm bey (c) in der
Höhe eine None hinzugefüget wird, so entsteht nichts Neues,
sondern es wird der zum Grunde liegende Septimenaccord
g b d f bloß durch die Octave verdoppelt. Die Behandlung
des bey (b) entspringenden neuen zusammengesetzten Accords
entspringet aus der Natur des Septimenaccords g b d f.

§. 272.

Fernerer Beweis des vorhergehenden Artikels. Es
ist nicht einerley, ob man einen Septimenaccord oben oder un-
ten mit einer Terz, Quinte, Septime oder None vermehret, um
einen die Octave übersteigenden oder zusammengesetzten Accord
hervorzubringen. Denn wäre es einerley, so müßten die bey-
den Septimenaccorde, in welche sich jeder Nonenaccord zer-
fället, und folglich auch die Dreyklänge, aus welchen die bey-
den Septimenaccorde entstehen, auch einander substituiret wer-
den können. Z. E. es sey der vollständige Nonenaccord c e g
h d,
welcher sich in die beyden Septimenaccorde c e g h, und
e g h d zerfället, so wie sich der Septimenaccord c e g h in c e g
und e g h, der Septimenaccord e g h d aber in e g h und g h d
zerfället. Können die beyden Septimenaccorde c e g h und
e g h d einander substituiret werden? So wenig als die beyden
Dreyklänge c e g und e g h, oder e g h und g h d. Die Absur-
dität fällt in die Augen. -- Es verhält sich also mit der Ent-
stehung der die Octave übersteigenden oder zusammengesetzten Ac-
corde umgekehrt, wie mit der Entstehung der Septimenaccorde.
Jene entstehen, wenn einem Septimenaccord in der Tiefe eine
Terz, Quinte, Septime oder None hinzugefüget wird, und
diese, wenn man einem Dreyklange in der Höhe eine Terz hin-
zufüget. Wem es einerley zu seyn scheinet, ob um den Septi-
menaccord c e g b hervorzubringen, der harte Dreyklang c e g
oben mit b, oder der uneigentliche Dreyklang e g b unten mit
c vermehret wird, der muß nicht wissen, daß c, e, g = 4, 5, 6
eher existiret, als e, g, b = 25, 30, 36, und daß zwar 25,
30, 36 aus 4, 5, 6, aber nicht umgekehrt 4, 5, 6 aus 25, 30,
36 entwickelt wird. Wenn der höhere Dreyklang eines Septi-
menaccords, z. E. h d f aus g h d f, der Grunddreyklang des
leztern wäre, so würde folgen, daß, um den Septimenaccors

g h d f

Kurzer Begriff der Lehre vom Grundbaß.
ſo entſteht der Accord F, g b d f; und wenn ihm bey (c) in der
Hoͤhe eine None hinzugefuͤget wird, ſo entſteht nichts Neues,
ſondern es wird der zum Grunde liegende Septimenaccord
g b d f bloß durch die Octave verdoppelt. Die Behandlung
des bey (b) entſpringenden neuen zuſammengeſetzten Accords
entſpringet aus der Natur des Septimenaccords g b d f.

§. 272.

Fernerer Beweis des vorhergehenden Artikels. Es
iſt nicht einerley, ob man einen Septimenaccord oben oder un-
ten mit einer Terz, Quinte, Septime oder None vermehret, um
einen die Octave uͤberſteigenden oder zuſammengeſetzten Accord
hervorzubringen. Denn waͤre es einerley, ſo muͤßten die bey-
den Septimenaccorde, in welche ſich jeder Nonenaccord zer-
faͤllet, und folglich auch die Dreyklaͤnge, aus welchen die bey-
den Septimenaccorde entſtehen, auch einander ſubſtituiret wer-
den koͤnnen. Z. E. es ſey der vollſtaͤndige Nonenaccord c e g
h d,
welcher ſich in die beyden Septimenaccorde c e g h, und
e g h d zerfaͤllet, ſo wie ſich der Septimenaccord c e g h in c e g
und e g h, der Septimenaccord e g h d aber in e g h und g h d
zerfaͤllet. Koͤnnen die beyden Septimenaccorde c e g h und
e g h d einander ſubſtituiret werden? So wenig als die beyden
Dreyklaͤnge c e g und e g h, oder e g h und g h d. Die Abſur-
ditaͤt faͤllt in die Augen. — Es verhaͤlt ſich alſo mit der Ent-
ſtehung der die Octave uͤberſteigenden oder zuſammengeſetzten Ac-
corde umgekehrt, wie mit der Entſtehung der Septimenaccorde.
Jene entſtehen, wenn einem Septimenaccord in der Tiefe eine
Terz, Quinte, Septime oder None hinzugefuͤget wird, und
dieſe, wenn man einem Dreyklange in der Hoͤhe eine Terz hin-
zufuͤget. Wem es einerley zu ſeyn ſcheinet, ob um den Septi-
menaccord c e g b hervorzubringen, der harte Dreyklang c e g
oben mit b, oder der uneigentliche Dreyklang e g b unten mit
c vermehret wird, der muß nicht wiſſen, daß c, e, g = 4, 5, 6
eher exiſtiret, als e, g, b = 25, 30, 36, und daß zwar 25,
30, 36 aus 4, 5, 6, aber nicht umgekehrt 4, 5, 6 aus 25, 30,
36 entwickelt wird. Wenn der hoͤhere Dreyklang eines Septi-
menaccords, z. E. h d f aus g h d f, der Grunddreyklang des
leztern waͤre, ſo wuͤrde folgen, daß, um den Septimenaccors

g h d f
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[253/0273] Kurzer Begriff der Lehre vom Grundbaß. ſo entſteht der Accord F, g b d f; und wenn ihm bey (c) in der Hoͤhe eine None hinzugefuͤget wird, ſo entſteht nichts Neues, ſondern es wird der zum Grunde liegende Septimenaccord g b d f bloß durch die Octave verdoppelt. Die Behandlung des bey (b) entſpringenden neuen zuſammengeſetzten Accords entſpringet aus der Natur des Septimenaccords g b d f. §. 272. Fernerer Beweis des vorhergehenden Artikels. Es iſt nicht einerley, ob man einen Septimenaccord oben oder un- ten mit einer Terz, Quinte, Septime oder None vermehret, um einen die Octave uͤberſteigenden oder zuſammengeſetzten Accord hervorzubringen. Denn waͤre es einerley, ſo muͤßten die bey- den Septimenaccorde, in welche ſich jeder Nonenaccord zer- faͤllet, und folglich auch die Dreyklaͤnge, aus welchen die bey- den Septimenaccorde entſtehen, auch einander ſubſtituiret wer- den koͤnnen. Z. E. es ſey der vollſtaͤndige Nonenaccord c e g h d, welcher ſich in die beyden Septimenaccorde c e g h, und e g h d zerfaͤllet, ſo wie ſich der Septimenaccord c e g h in c e g und e g h, der Septimenaccord e g h d aber in e g h und g h d zerfaͤllet. Koͤnnen die beyden Septimenaccorde c e g h und e g h d einander ſubſtituiret werden? So wenig als die beyden Dreyklaͤnge c e g und e g h, oder e g h und g h d. Die Abſur- ditaͤt faͤllt in die Augen. — Es verhaͤlt ſich alſo mit der Ent- ſtehung der die Octave uͤberſteigenden oder zuſammengeſetzten Ac- corde umgekehrt, wie mit der Entſtehung der Septimenaccorde. Jene entſtehen, wenn einem Septimenaccord in der Tiefe eine Terz, Quinte, Septime oder None hinzugefuͤget wird, und dieſe, wenn man einem Dreyklange in der Hoͤhe eine Terz hin- zufuͤget. Wem es einerley zu ſeyn ſcheinet, ob um den Septi- menaccord c e g b hervorzubringen, der harte Dreyklang c e g oben mit b, oder der uneigentliche Dreyklang e g b unten mit c vermehret wird, der muß nicht wiſſen, daß c, e, g = 4, 5, 6 eher exiſtiret, als e, g, b = 25, 30, 36, und daß zwar 25, 30, 36 aus 4, 5, 6, aber nicht umgekehrt 4, 5, 6 aus 25, 30, 36 entwickelt wird. Wenn der hoͤhere Dreyklang eines Septi- menaccords, z. E. h d f aus g h d f, der Grunddreyklang des leztern waͤre, ſo wuͤrde folgen, daß, um den Septimenaccors g h d f

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/273>, abgerufen am 25.11.2024.