Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Drey und zwanzigster Abschn. Untersuchung
1304.0 allezeit im Gehör einander gleich seyn, und was
von der ersten Modisication der zweyten Kirnberger-
schen Temperatur gilt, das gilt also auch von der zwey-
ten Modification derselben.
Dem Hrn. Kirnberger hat es
für itzo gefallen, die erste Modification seiner zweyten Tempe-
ratur zu gebrauchen, und da er vielleicht ein andermal die lezte
gebrauchen, und das A zu 1304.0 nehmen kann, so wird
man durch gegenwärtige Anmerkung dazu vorbereitet seyn.

§. 207.

Die erste Temperatur enthält zehn, und die zweyte neun
reine Quinten, und die lezte ist also zwar um einen Grad besser
als die erste; sie gehören aber alle beyde in die lezten Clas-
sen der ungleichschwebenden Temperaturen, aus wel-
chen nichts gutes kommen kann,
und man kann hierüber
nachlesen, was im XXten Abschnitt, §. 185. in Ansehung der
Classen I und K gesaget worden ist. Wir werden in der Folge
sehen, daß sie alle mögliche Eigenschaften haben, das Gehör
auf mehr als eine Art stark zu beleidigen, da die Temperatur
gleichwohl dazu dienen soll, die stärkere Beleidigung zu ver-
hindern. Die Argumente, worauf die Vorzüge derselben
nicht nur vor der gleichschwebenden, sondern vor allen übri-
gen ungleichschwebenden Temperaturen gegründet seyn sollen,
sind:

1) die Leichtigkeit der Stimmung;
2) die verschiedne Characterisirung der Tonarten, und
3) die Nothwendigkeit, die Jntervalle so viel als möglich
in den Verhältnissen zu nehmen, als sie die in theore-
tisch reinen Verhältnissen fortgehende Melodie giebet.
§. 208.

Istes Argument. Leichtigkeit der Stimmung. "Es
"ist schlechterdings unmöglich, (Theorie, Seite 1149) Cla-
"viere und Orgeln nach der gleichschwebenden Temperatur zu
"stimmen, wenn nicht jeder Ton in der Octave nach einem sehr
"richtig getheilten Monochord besonders gestimmet wird. Denn
"wer kann sich rühmen, nur eine Quinte nach dem Ge-
"hör so zu stimmen, daß sie gerade um die Kleinigkeit, welche
"die gleichschwebende Temperatur erfordert, abwärts schwebe?
"Was auch die geübtesten Stimmer hierüber versichern mögen,

"so

Drey und zwanzigſter Abſchn. Unterſuchung
1304.0 allezeit im Gehoͤr einander gleich ſeyn, und was
von der erſten Modiſication der zweyten Kirnberger-
ſchen Temperatur gilt, das gilt alſo auch von der zwey-
ten Modification derſelben.
Dem Hrn. Kirnberger hat es
fuͤr itzo gefallen, die erſte Modification ſeiner zweyten Tempe-
ratur zu gebrauchen, und da er vielleicht ein andermal die lezte
gebrauchen, und das A zu 1304.0 nehmen kann, ſo wird
man durch gegenwaͤrtige Anmerkung dazu vorbereitet ſeyn.

§. 207.

Die erſte Temperatur enthaͤlt zehn, und die zweyte neun
reine Quinten, und die lezte iſt alſo zwar um einen Grad beſſer
als die erſte; ſie gehoͤren aber alle beyde in die lezten Claſ-
ſen der ungleichſchwebenden Temperaturen, aus wel-
chen nichts gutes kommen kann,
und man kann hieruͤber
nachleſen, was im XXten Abſchnitt, §. 185. in Anſehung der
Claſſen I und K geſaget worden iſt. Wir werden in der Folge
ſehen, daß ſie alle moͤgliche Eigenſchaften haben, das Gehoͤr
auf mehr als eine Art ſtark zu beleidigen, da die Temperatur
gleichwohl dazu dienen ſoll, die ſtaͤrkere Beleidigung zu ver-
hindern. Die Argumente, worauf die Vorzuͤge derſelben
nicht nur vor der gleichſchwebenden, ſondern vor allen uͤbri-
gen ungleichſchwebenden Temperaturen gegruͤndet ſeyn ſollen,
ſind:

1) die Leichtigkeit der Stimmung;
2) die verſchiedne Characteriſirung der Tonarten, und
3) die Nothwendigkeit, die Jntervalle ſo viel als moͤglich
in den Verhaͤltniſſen zu nehmen, als ſie die in theore-
tiſch reinen Verhaͤltniſſen fortgehende Melodie giebet.
§. 208.

Iſtes Argument. Leichtigkeit der Stimmung. „Es
„iſt ſchlechterdings unmoͤglich, (Theorie, Seite 1149) Cla-
„viere und Orgeln nach der gleichſchwebenden Temperatur zu
„ſtimmen, wenn nicht jeder Ton in der Octave nach einem ſehr
„richtig getheilten Monochord beſonders geſtimmet wird. Denn
„wer kann ſich ruͤhmen, nur eine Quinte nach dem Ge-
„hoͤr ſo zu ſtimmen, daß ſie gerade um die Kleinigkeit, welche
„die gleichſchwebende Temperatur erfordert, abwaͤrts ſchwebe?
„Was auch die geuͤbteſten Stimmer hieruͤber verſichern moͤgen,

„ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0208" n="188"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drey und zwanzig&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. Unter&#x017F;uchung</hi></fw><lb/>
1304.0 <formula notation="TeX">\frac{80}{161}</formula> allezeit im Geho&#x0364;r einander gleich &#x017F;eyn, und <hi rendition="#fr">was<lb/>
von der er&#x017F;ten Modi&#x017F;ication der zweyten Kirnberger-<lb/>
&#x017F;chen Temperatur gilt, das gilt al&#x017F;o auch von der zwey-<lb/>
ten Modification der&#x017F;elben.</hi> Dem Hrn. Kirnberger hat es<lb/>
fu&#x0364;r itzo gefallen, die er&#x017F;te Modification &#x017F;einer zweyten Tempe-<lb/>
ratur zu gebrauchen, und da er vielleicht ein andermal die lezte<lb/>
gebrauchen, und das <hi rendition="#aq">A</hi> zu 1304.0<formula notation="TeX">\frac{80}{161}</formula> nehmen kann, &#x017F;o wird<lb/>
man durch gegenwa&#x0364;rtige Anmerkung dazu vorbereitet &#x017F;eyn.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 207.</head><lb/>
            <p>Die er&#x017F;te Temperatur entha&#x0364;lt <hi rendition="#fr">zehn,</hi> und die zweyte <hi rendition="#fr">neun</hi><lb/>
reine Quinten, und die lezte i&#x017F;t al&#x017F;o zwar um einen Grad be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
als die er&#x017F;te; &#x017F;ie geho&#x0364;ren aber alle beyde <hi rendition="#fr">in die lezten Cla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en der ungleich&#x017F;chwebenden Temperaturen, aus wel-<lb/>
chen nichts gutes kommen kann,</hi> und man kann hieru&#x0364;ber<lb/>
nachle&#x017F;en, was im <hi rendition="#aq">XX</hi>ten Ab&#x017F;chnitt, §. 185. in An&#x017F;ehung der<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">I</hi> und <hi rendition="#aq">K</hi> ge&#x017F;aget worden i&#x017F;t. Wir werden in der Folge<lb/>
&#x017F;ehen, daß &#x017F;ie alle mo&#x0364;gliche Eigen&#x017F;chaften haben, das Geho&#x0364;r<lb/>
auf mehr als eine Art &#x017F;tark zu beleidigen, da die Temperatur<lb/>
gleichwohl dazu dienen &#x017F;oll, die &#x017F;ta&#x0364;rkere Beleidigung zu ver-<lb/>
hindern. Die Argumente, worauf die Vorzu&#x0364;ge der&#x017F;elben<lb/>
nicht nur vor der gleich&#x017F;chwebenden, &#x017F;ondern vor allen u&#x0364;bri-<lb/>
gen ungleich&#x017F;chwebenden Temperaturen gegru&#x0364;ndet &#x017F;eyn &#x017F;ollen,<lb/>
&#x017F;ind:</p><lb/>
            <list>
              <item>1) die Leichtigkeit der Stimmung;</item><lb/>
              <item>2) die ver&#x017F;chiedne Characteri&#x017F;irung der Tonarten, und</item><lb/>
              <item>3) die Nothwendigkeit, die Jntervalle &#x017F;o viel als mo&#x0364;glich<lb/>
in den Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en zu nehmen, als &#x017F;ie die in theore-<lb/>
ti&#x017F;ch reinen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en fortgehende Melodie giebet.</item>
            </list>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 208.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">I</hi><hi rendition="#fr">&#x017F;tes Argument. Leichtigkeit der Stimmung.</hi> &#x201E;Es<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t &#x017F;chlechterdings unmo&#x0364;glich, (Theorie, Seite 1149) Cla-<lb/>
&#x201E;viere und Orgeln nach der gleich&#x017F;chwebenden Temperatur zu<lb/>
&#x201E;&#x017F;timmen, wenn nicht jeder Ton in der Octave nach einem &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;richtig getheilten Monochord be&#x017F;onders ge&#x017F;timmet wird. Denn<lb/>
&#x201E;wer kann &#x017F;ich ru&#x0364;hmen, nur eine Quinte nach dem Ge-<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;r &#x017F;o zu &#x017F;timmen, daß &#x017F;ie gerade um die Kleinigkeit, welche<lb/>
&#x201E;die gleich&#x017F;chwebende Temperatur erfordert, abwa&#x0364;rts &#x017F;chwebe?<lb/>
&#x201E;Was auch die geu&#x0364;bte&#x017F;ten Stimmer hieru&#x0364;ber ver&#x017F;ichern mo&#x0364;gen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;&#x017F;o</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0208] Drey und zwanzigſter Abſchn. Unterſuchung 1304.0 [FORMEL] allezeit im Gehoͤr einander gleich ſeyn, und was von der erſten Modiſication der zweyten Kirnberger- ſchen Temperatur gilt, das gilt alſo auch von der zwey- ten Modification derſelben. Dem Hrn. Kirnberger hat es fuͤr itzo gefallen, die erſte Modification ſeiner zweyten Tempe- ratur zu gebrauchen, und da er vielleicht ein andermal die lezte gebrauchen, und das A zu 1304.0[FORMEL] nehmen kann, ſo wird man durch gegenwaͤrtige Anmerkung dazu vorbereitet ſeyn. §. 207. Die erſte Temperatur enthaͤlt zehn, und die zweyte neun reine Quinten, und die lezte iſt alſo zwar um einen Grad beſſer als die erſte; ſie gehoͤren aber alle beyde in die lezten Claſ- ſen der ungleichſchwebenden Temperaturen, aus wel- chen nichts gutes kommen kann, und man kann hieruͤber nachleſen, was im XXten Abſchnitt, §. 185. in Anſehung der Claſſen I und K geſaget worden iſt. Wir werden in der Folge ſehen, daß ſie alle moͤgliche Eigenſchaften haben, das Gehoͤr auf mehr als eine Art ſtark zu beleidigen, da die Temperatur gleichwohl dazu dienen ſoll, die ſtaͤrkere Beleidigung zu ver- hindern. Die Argumente, worauf die Vorzuͤge derſelben nicht nur vor der gleichſchwebenden, ſondern vor allen uͤbri- gen ungleichſchwebenden Temperaturen gegruͤndet ſeyn ſollen, ſind: 1) die Leichtigkeit der Stimmung; 2) die verſchiedne Characteriſirung der Tonarten, und 3) die Nothwendigkeit, die Jntervalle ſo viel als moͤglich in den Verhaͤltniſſen zu nehmen, als ſie die in theore- tiſch reinen Verhaͤltniſſen fortgehende Melodie giebet. §. 208. Iſtes Argument. Leichtigkeit der Stimmung. „Es „iſt ſchlechterdings unmoͤglich, (Theorie, Seite 1149) Cla- „viere und Orgeln nach der gleichſchwebenden Temperatur zu „ſtimmen, wenn nicht jeder Ton in der Octave nach einem ſehr „richtig getheilten Monochord beſonders geſtimmet wird. Denn „wer kann ſich ruͤhmen, nur eine Quinte nach dem Ge- „hoͤr ſo zu ſtimmen, daß ſie gerade um die Kleinigkeit, welche „die gleichſchwebende Temperatur erfordert, abwaͤrts ſchwebe? „Was auch die geuͤbteſten Stimmer hieruͤber verſichern moͤgen, „ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/208
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/208>, abgerufen am 24.11.2024.