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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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ungleichschwebender Temperaturen.
diese Bewandtniß habe. Da ich die Schriften des Calvisius,
Prätorius und Prinzen nicht bey der Hand habe, so kann
ich nicht urtheilen, ob die Vorstellung des Hrn. Sorge dem
Sinne dieser Männer gemäß ist. Aber dieses kann man mit
leichter Mühe darthun, daß eine Vorstellung von dieser Art
eine unmögliche Temperatur enthält. Denn 1) wenn die
Quinten richtig angegeben sind, so sind die Schwebungen der
großen Terzen falsch. Es geben nemlich vier Quinten, wo-
von eine jede um drey Zwölftheil erniedriget worden, keine reine,
sondern eine um ein Ein und zwanzigtheil Dies. min. un-
ter sich
schwebende große Terz. 2) Wenn aber die großen
Terzen richtig angegeben sind, so sind die Quinten falsch.
Denn zur Hervorbringung einer reinen großen Terz wird eine
Folge von vier Quinten erfordert, deren Schwebungssumme
nicht zwölf, sondern eilf beträget. Sobald nun jede der um
3 abwärts schweben sollenden eilf Quinten auf 23/4 herabgese-
tzet wird, so wird auch die erhöhte Quinte gis:dis von ein
und zwanzig,
auf 181/4 Schwebungen reduciret wer-
den. Jndessen wird, der acht reinen Terzen von beyderley Art
ungeachtet, diese sogenannte Calvisio-Prätorische Tempera-
tur, für unsere Zeiten allezeit eine häßliche Temperatur seyn.

§. 191.

Den Abhandlungen der Königl. Schwed. Academie der
Wissenschaften, V. Band, ist ein Aufsatz des Herrn Dan.
P. Strähle
einverleibet worden, vermittelst wessen der Au-
ctor dem Publico eine neue Erfindung mittheilen will,
eine gleichschwebende Temperatur mechanisch zu ent-
werfen. Jch muß gestehen, daß sich dieser | Aufsatz mit
Vergnügen lesen lässet, und daß ich von der Richtigkeit der
vom Hrn. Jacob Faggot, durch eine sehr mühsame trigono-
metrische Berechnung der Strählischen Linien, gefundnen Zah-
len völlig überzeuget bin. Nur muß ich hinzufügen, daß die
gefundnen Zahlen nicht geben, was sie geben sollen, und was
Hr. Strähle suchte, nemlich eine Temperatur, welche das
Schweben am gelindesten für das Gehör macht, und alle Töne
in gehörige Gleichstimmigkeit setzet. Es enthalten nemlich
selbige nichts anders als eine ungleichschwebende Tem-

peratur,
L 4

ungleichſchwebender Temperaturen.
dieſe Bewandtniß habe. Da ich die Schriften des Calviſius,
Praͤtorius und Prinzen nicht bey der Hand habe, ſo kann
ich nicht urtheilen, ob die Vorſtellung des Hrn. Sorge dem
Sinne dieſer Maͤnner gemaͤß iſt. Aber dieſes kann man mit
leichter Muͤhe darthun, daß eine Vorſtellung von dieſer Art
eine unmoͤgliche Temperatur enthaͤlt. Denn 1) wenn die
Quinten richtig angegeben ſind, ſo ſind die Schwebungen der
großen Terzen falſch. Es geben nemlich vier Quinten, wo-
von eine jede um drey Zwoͤlftheil erniedriget worden, keine reine,
ſondern eine um ein Ein und zwanzigtheil Dieſ. min. un-
ter ſich
ſchwebende große Terz. 2) Wenn aber die großen
Terzen richtig angegeben ſind, ſo ſind die Quinten falſch.
Denn zur Hervorbringung einer reinen großen Terz wird eine
Folge von vier Quinten erfordert, deren Schwebungsſumme
nicht zwoͤlf, ſondern eilf betraͤget. Sobald nun jede der um
3 abwaͤrts ſchweben ſollenden eilf Quinten auf 2¾ herabgeſe-
tzet wird, ſo wird auch die erhoͤhte Quinte gis:dis von ein
und zwanzig,
auf 18¼ Schwebungen reduciret wer-
den. Jndeſſen wird, der acht reinen Terzen von beyderley Art
ungeachtet, dieſe ſogenannte Calviſio-Praͤtoriſche Tempera-
tur, fuͤr unſere Zeiten allezeit eine haͤßliche Temperatur ſeyn.

§. 191.

Den Abhandlungen der Koͤnigl. Schwed. Academie der
Wiſſenſchaften, V. Band, iſt ein Aufſatz des Herrn Dan.
P. Straͤhle
einverleibet worden, vermittelſt weſſen der Au-
ctor dem Publico eine neue Erfindung mittheilen will,
eine gleichſchwebende Temperatur mechaniſch zu ent-
werfen. Jch muß geſtehen, daß ſich dieſer | Aufſatz mit
Vergnuͤgen leſen laͤſſet, und daß ich von der Richtigkeit der
vom Hrn. Jacob Faggot, durch eine ſehr muͤhſame trigono-
metriſche Berechnung der Straͤhliſchen Linien, gefundnen Zah-
len voͤllig uͤberzeuget bin. Nur muß ich hinzufuͤgen, daß die
gefundnen Zahlen nicht geben, was ſie geben ſollen, und was
Hr. Straͤhle ſuchte, nemlich eine Temperatur, welche das
Schweben am gelindeſten fuͤr das Gehoͤr macht, und alle Toͤne
in gehoͤrige Gleichſtimmigkeit ſetzet. Es enthalten nemlich
ſelbige nichts anders als eine ungleichſchwebende Tem-

peratur,
L 4
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[167/0187] ungleichſchwebender Temperaturen. dieſe Bewandtniß habe. Da ich die Schriften des Calviſius, Praͤtorius und Prinzen nicht bey der Hand habe, ſo kann ich nicht urtheilen, ob die Vorſtellung des Hrn. Sorge dem Sinne dieſer Maͤnner gemaͤß iſt. Aber dieſes kann man mit leichter Muͤhe darthun, daß eine Vorſtellung von dieſer Art eine unmoͤgliche Temperatur enthaͤlt. Denn 1) wenn die Quinten richtig angegeben ſind, ſo ſind die Schwebungen der großen Terzen falſch. Es geben nemlich vier Quinten, wo- von eine jede um drey Zwoͤlftheil erniedriget worden, keine reine, ſondern eine um ein Ein und zwanzigtheil Dieſ. min. un- ter ſich ſchwebende große Terz. 2) Wenn aber die großen Terzen richtig angegeben ſind, ſo ſind die Quinten falſch. Denn zur Hervorbringung einer reinen großen Terz wird eine Folge von vier Quinten erfordert, deren Schwebungsſumme nicht zwoͤlf, ſondern eilf betraͤget. Sobald nun jede der um 3 abwaͤrts ſchweben ſollenden eilf Quinten auf 2¾ herabgeſe- tzet wird, ſo wird auch die erhoͤhte Quinte gis:dis von ein und zwanzig, auf 18¼ Schwebungen reduciret wer- den. Jndeſſen wird, der acht reinen Terzen von beyderley Art ungeachtet, dieſe ſogenannte Calviſio-Praͤtoriſche Tempera- tur, fuͤr unſere Zeiten allezeit eine haͤßliche Temperatur ſeyn. §. 191. Den Abhandlungen der Koͤnigl. Schwed. Academie der Wiſſenſchaften, V. Band, iſt ein Aufſatz des Herrn Dan. P. Straͤhle einverleibet worden, vermittelſt weſſen der Au- ctor dem Publico eine neue Erfindung mittheilen will, eine gleichſchwebende Temperatur mechaniſch zu ent- werfen. Jch muß geſtehen, daß ſich dieſer | Aufſatz mit Vergnuͤgen leſen laͤſſet, und daß ich von der Richtigkeit der vom Hrn. Jacob Faggot, durch eine ſehr muͤhſame trigono- metriſche Berechnung der Straͤhliſchen Linien, gefundnen Zah- len voͤllig uͤberzeuget bin. Nur muß ich hinzufuͤgen, daß die gefundnen Zahlen nicht geben, was ſie geben ſollen, und was Hr. Straͤhle ſuchte, nemlich eine Temperatur, welche das Schweben am gelindeſten fuͤr das Gehoͤr macht, und alle Toͤne in gehoͤrige Gleichſtimmigkeit ſetzet. Es enthalten nemlich ſelbige nichts anders als eine ungleichſchwebende Tem- peratur, L 4

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/187>, abgerufen am 24.11.2024.