zur Gleichgültigkeit gegen dasselbe gewöhne, wenn mir schlechte, schädliche Gesinnungen, Reden, Ur- theile und Handlungen nicht mehr auffallen und als schlecht und schädlich vorkommen, dann bin ich auch in Gefahr, eben die Gesinnungen und Urtheile zu äussern und eben das zu sagen und zu thun, so bald es nur ohne sichtbaren Nachtheil für mich gesche- hen kann. Ich kann da vielleicht in der Ein- samkeit und in Gegenwart guter und tugendhaf- ter Menschen gut und tugendhaft leben; ich kann auch von meinen Pflichten völlig überzeugt seyn: aber die bösen Beyspiele, die ich sehe, finden dennoch den Weg zu meinem Herzen, ohne daß der Verstand im- mer ihren Einfluß verhindern kann.
Und wie ansteckend, wie gefährlich ist nicht diese Macht der Beyspiele bey dem weiblichen Geschlechte! Wie blind ahmen wir nicht gemeiniglich die Thorhei- ten nach, die wir bewundert sehen! Wie allgemein und herrschend sind nicht gewisse Fehler und Vorur- theile unter uns, die sich immer von der Einen auf andere fortpflanzen! Wie sehr wird nicht unser Nachah- mungstrieb durch die falsche Schaam und durch übel- verstandenen Ehrgeitz misgeleitet! Wie viel Thörich- tes und Schlechtes läßt uns nicht die Mode vernünf- tig und schön finden! In welcher reizenden einneh- menden Gestalt erscheint mir da oft das Laster und be- schleicht mich, ehe ich es kenne und für das halte, was es ist! Da werde ich zur Eitelkeit, zum Stolze, zur Verschwendung, zur Zerstreuungssucht, zum Neide, zur Falschheit, zur Verstellung und zu allen
gang-
D 5
Die Macht und der Einfluß böſer Beyſpiele.
zur Gleichgültigkeit gegen daſſelbe gewöhne, wenn mir ſchlechte, ſchädliche Geſinnungen, Reden, Ur- theile und Handlungen nicht mehr auffallen und als ſchlecht und ſchädlich vorkommen, dann bin ich auch in Gefahr, eben die Geſinnungen und Urtheile zu äuſſern und eben das zu ſagen und zu thun, ſo bald es nur ohne ſichtbaren Nachtheil für mich geſche- hen kann. Ich kann da vielleicht in der Ein- ſamkeit und in Gegenwart guter und tugendhaf- ter Menſchen gut und tugendhaft leben; ich kann auch von meinen Pflichten völlig überzeugt ſeyn: aber die böſen Beyſpiele, die ich ſehe, finden dennoch den Weg zu meinem Herzen, ohne daß der Verſtand im- mer ihren Einfluß verhindern kann.
Und wie anſteckend, wie gefährlich iſt nicht dieſe Macht der Beyſpiele bey dem weiblichen Geſchlechte! Wie blind ahmen wir nicht gemeiniglich die Thorhei- ten nach, die wir bewundert ſehen! Wie allgemein und herrſchend ſind nicht gewiſſe Fehler und Vorur- theile unter uns, die ſich immer von der Einen auf andere fortpflanzen! Wie ſehr wird nicht unſer Nachah- mungstrieb durch die falſche Schaam und durch übel- verſtandenen Ehrgeitz misgeleitet! Wie viel Thörich- tes und Schlechtes läßt uns nicht die Mode vernünf- tig und ſchön finden! In welcher reizenden einneh- menden Geſtalt erſcheint mir da oft das Laſter und be- ſchleicht mich, ehe ich es kenne und für das halte, was es iſt! Da werde ich zur Eitelkeit, zum Stolze, zur Verſchwendung, zur Zerſtreuungsſucht, zum Neide, zur Falſchheit, zur Verſtellung und zu allen
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Die Macht und der Einfluß böſer Beyſpiele.
zur Gleichgültigkeit gegen daſſelbe gewöhne, wenn
mir ſchlechte, ſchädliche Geſinnungen, Reden, Ur-
theile und Handlungen nicht mehr auffallen und
als ſchlecht und ſchädlich vorkommen, dann bin ich
auch in Gefahr, eben die Geſinnungen und Urtheile
zu äuſſern und eben das zu ſagen und zu thun, ſo
bald es nur ohne ſichtbaren Nachtheil für mich geſche-
hen kann. Ich kann da vielleicht in der Ein-
ſamkeit und in Gegenwart guter und tugendhaf-
ter Menſchen gut und tugendhaft leben; ich kann
auch von meinen Pflichten völlig überzeugt ſeyn: aber
die böſen Beyſpiele, die ich ſehe, finden dennoch den
Weg zu meinem Herzen, ohne daß der Verſtand im-
mer ihren Einfluß verhindern kann.
Und wie anſteckend, wie gefährlich iſt nicht dieſe
Macht der Beyſpiele bey dem weiblichen Geſchlechte!
Wie blind ahmen wir nicht gemeiniglich die Thorhei-
ten nach, die wir bewundert ſehen! Wie allgemein
und herrſchend ſind nicht gewiſſe Fehler und Vorur-
theile unter uns, die ſich immer von der Einen auf
andere fortpflanzen! Wie ſehr wird nicht unſer Nachah-
mungstrieb durch die falſche Schaam und durch übel-
verſtandenen Ehrgeitz misgeleitet! Wie viel Thörich-
tes und Schlechtes läßt uns nicht die Mode vernünf-
tig und ſchön finden! In welcher reizenden einneh-
menden Geſtalt erſcheint mir da oft das Laſter und be-
ſchleicht mich, ehe ich es kenne und für das halte,
was es iſt! Da werde ich zur Eitelkeit, zum Stolze,
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/69>, abgerufen am 23.06.2024.
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