Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.Die Macht und der Einfluß böser Beyspiele. einander haben, daß sie einander ihre Empfindungenund Gesinnungen nicht nur durch Worte mittheilen, sondern auch durch Handlungen und Beyspiele eben die Empfindungen und Gesinnungen bey andern erre- gen und erwecken können. Du hast in jede menschli- che Seele einen starken Nachahmungstrieb gelegt; und durch diesen sind wir geneigt, alles zu billigen und uns eigen zu macheu, wovon wir sehen, daß es von vielen andern gethan und gebilliget wird. Wie weise hast du dieß eingerichtet, o Gott! Wie sehr hast du uns dadurch das Bestreben, verständig und tugend- haft zu werden, erleichtert! Wie viel geschwinder und weiter kann sich nun alles Gute und Nützliche verbreiten, da es schon durch den Nachahmungstrieb, selbst noch ehe es genau gekannt und aus Gründen ge- billiget wird, in Umlauf kömmt! Und diese Macht des Beyspiels und der Ge- tadelns- D 4
Die Macht und der Einfluß böſer Beyſpiele. einander haben, daß ſie einander ihre Empfindungenund Geſinnungen nicht nur durch Worte mittheilen, ſondern auch durch Handlungen und Beyſpiele eben die Empfindungen und Geſinnungen bey andern erre- gen und erwecken können. Du haſt in jede menſchli- che Seele einen ſtarken Nachahmungstrieb gelegt; und durch dieſen ſind wir geneigt, alles zu billigen und uns eigen zu macheu, wovon wir ſehen, daß es von vielen andern gethan und gebilliget wird. Wie weiſe haſt du dieß eingerichtet, o Gott! Wie ſehr haſt du uns dadurch das Beſtreben, verſtändig und tugend- haft zu werden, erleichtert! Wie viel geſchwinder und weiter kann ſich nun alles Gute und Nützliche verbreiten, da es ſchon durch den Nachahmungstrieb, ſelbſt noch ehe es genau gekannt und aus Gründen ge- billiget wird, in Umlauf kömmt! Und dieſe Macht des Beyſpiels und der Ge- tadelns- D 4
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0067" n="55"/><fw place="top" type="header">Die Macht und der Einfluß böſer Beyſpiele.</fw><lb/> einander haben, daß ſie einander ihre Empfindungen<lb/> und Geſinnungen nicht nur durch Worte mittheilen,<lb/> ſondern auch durch Handlungen und Beyſpiele eben<lb/> die Empfindungen und Geſinnungen bey andern erre-<lb/> gen und erwecken können. Du haſt in jede menſchli-<lb/> che Seele einen ſtarken Nachahmungstrieb gelegt; und<lb/> durch dieſen ſind wir geneigt, alles zu billigen und<lb/> uns eigen zu macheu, wovon wir ſehen, daß es von<lb/> vielen andern gethan und gebilliget wird. Wie weiſe<lb/> haſt du dieß eingerichtet, o Gott! Wie ſehr haſt du<lb/> uns dadurch das Beſtreben, verſtändig und tugend-<lb/> haft zu werden, erleichtert! Wie viel geſchwinder<lb/> und weiter kann ſich nun alles Gute und Nützliche<lb/> verbreiten, da es ſchon durch den Nachahmungstrieb,<lb/> ſelbſt noch ehe es genau gekannt und aus Gründen ge-<lb/> billiget wird, in Umlauf kömmt!</p><lb/> <p>Und dieſe Macht des Beyſpiels und der Ge-<lb/> wohnheit wirket nie ſtärker als auf junge Herzen. Je<lb/> weniger ich noch ſelbſt Kraft und Fähigkeit zum eige-<lb/> nen Nachdenken habe; je geringer und ſchwankender<lb/> meine Einſichten und Grundſätze ſind; je kleiner und<lb/> eingeſchränkter der Kreis meiner Erfahrungen iſt: de-<lb/> ſto mehr bin ich dem Einfluße fremder, guter und<lb/> böſer Beyſpiele ausgeſetzt; deſto geneigter bin ich,<lb/> alles ohne Bedenken für gut und ſchön zu halten,<lb/> was ſich andere und beſonders ältere und angeſehene<lb/> Perſonen erlauben. — Freylich misbrauche ich auf<lb/> dieſe Weiſe oft eine Sache zum Böſen, die nach<lb/> deiner Abſicht Gutes hervorbringen und befördern<lb/> ſoll. Freylich komme ich da täglich in Gefahr, mehr<lb/> <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch">tadelns-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [55/0067]
Die Macht und der Einfluß böſer Beyſpiele.
einander haben, daß ſie einander ihre Empfindungen
und Geſinnungen nicht nur durch Worte mittheilen,
ſondern auch durch Handlungen und Beyſpiele eben
die Empfindungen und Geſinnungen bey andern erre-
gen und erwecken können. Du haſt in jede menſchli-
che Seele einen ſtarken Nachahmungstrieb gelegt; und
durch dieſen ſind wir geneigt, alles zu billigen und
uns eigen zu macheu, wovon wir ſehen, daß es von
vielen andern gethan und gebilliget wird. Wie weiſe
haſt du dieß eingerichtet, o Gott! Wie ſehr haſt du
uns dadurch das Beſtreben, verſtändig und tugend-
haft zu werden, erleichtert! Wie viel geſchwinder
und weiter kann ſich nun alles Gute und Nützliche
verbreiten, da es ſchon durch den Nachahmungstrieb,
ſelbſt noch ehe es genau gekannt und aus Gründen ge-
billiget wird, in Umlauf kömmt!
Und dieſe Macht des Beyſpiels und der Ge-
wohnheit wirket nie ſtärker als auf junge Herzen. Je
weniger ich noch ſelbſt Kraft und Fähigkeit zum eige-
nen Nachdenken habe; je geringer und ſchwankender
meine Einſichten und Grundſätze ſind; je kleiner und
eingeſchränkter der Kreis meiner Erfahrungen iſt: de-
ſto mehr bin ich dem Einfluße fremder, guter und
böſer Beyſpiele ausgeſetzt; deſto geneigter bin ich,
alles ohne Bedenken für gut und ſchön zu halten,
was ſich andere und beſonders ältere und angeſehene
Perſonen erlauben. — Freylich misbrauche ich auf
dieſe Weiſe oft eine Sache zum Böſen, die nach
deiner Abſicht Gutes hervorbringen und befördern
ſoll. Freylich komme ich da täglich in Gefahr, mehr
tadelns-
D 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |