gen kann. Aber ich will gern alles und noch mehr für sie thun, um sie zu gewinnen, als ich bey einem Vater und einer Mutter in dieser Absicht zu thun nö- thig hätte.
Ueberhaupt darf ich mich in meinen Umständen weniger auf andere Menschen verlassen. Ich muß mich bey Zeiten von der Nothwendigkeit überzeugen, in mir selbst und in den Mitteln, welche du in meine Natur gelegt hast, die Befriedigung meiner zukünftigen Be- dürfnisse zu finden. Da ich keine Aeltern habe, die für mich erwerben und sammlen, so ist es dein Wille, daß ich mich itzt schon zum Fleiße und zur Arbeitsam- keit gewöhnen soll. Es ist Pflicht für mich, so viel nützliches zu lernen, als ich kann, und mich in allen häuslichen und weiblichen Geschäfften zu üben und zu vervollkommnen, um einst im Stande zu seyn, selbst für meinen Unterhalt zu sorgen. Dieß war gewiß Eine deiner Absichten, warum du mich zur vater- und mutterlosen Waise machtest. Vielleicht würde ich durch Reichthum und Ueberfluß träge und un- thätig geworden seyn. Vielleicht würde ich die Fürsorge meiner Aeltern gemisbraucht und mei- nen Geist und Körper durch Weichlichkeit und Nichts- thun verzärtelt haben. Vielleicht würde ich bey den besten Anstalten und bey allen Hülfsmitteln, mich verständig zu machen, unwissend und unbrauchbar für die Welt geblieben seyn. Vielleicht hätten sich Stolz und Selbstsucht meines jungen Herzens bemächtiget und mich von dem Wege der wahren Glückseligkeit ab- geführt. Vielleicht wäre ich unverträglich, trotzig, unbiegsam, herrschsüchtig und durch dieses alles früher
oder
Das ganz verwaiſete Mädchen.
gen kann. Aber ich will gern alles und noch mehr für ſie thun, um ſie zu gewinnen, als ich bey einem Vater und einer Mutter in dieſer Abſicht zu thun nö- thig hätte.
Ueberhaupt darf ich mich in meinen Umſtänden weniger auf andere Menſchen verlaſſen. Ich muß mich bey Zeiten von der Nothwendigkeit überzeugen, in mir ſelbſt und in den Mitteln, welche du in meine Natur gelegt haſt, die Befriedigung meiner zukünftigen Be- dürfniſſe zu finden. Da ich keine Aeltern habe, die für mich erwerben und ſammlen, ſo iſt es dein Wille, daß ich mich itzt ſchon zum Fleiße und zur Arbeitſam- keit gewöhnen ſoll. Es iſt Pflicht für mich, ſo viel nützliches zu lernen, als ich kann, und mich in allen häuslichen und weiblichen Geſchäfften zu üben und zu vervollkommnen, um einſt im Stande zu ſeyn, ſelbſt für meinen Unterhalt zu ſorgen. Dieß war gewiß Eine deiner Abſichten, warum du mich zur vater- und mutterloſen Waiſe machteſt. Vielleicht würde ich durch Reichthum und Ueberfluß träge und un- thätig geworden ſeyn. Vielleicht würde ich die Fürſorge meiner Aeltern gemisbraucht und mei- nen Geiſt und Körper durch Weichlichkeit und Nichts- thun verzärtelt haben. Vielleicht würde ich bey den beſten Anſtalten und bey allen Hülfsmitteln, mich verſtändig zu machen, unwiſſend und unbrauchbar für die Welt geblieben ſeyn. Vielleicht hätten ſich Stolz und Selbſtſucht meines jungen Herzens bemächtiget und mich von dem Wege der wahren Glückſeligkeit ab- geführt. Vielleicht wäre ich unverträglich, trotzig, unbiegſam, herrſchſüchtig und durch dieſes alles früher
oder
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Das ganz verwaiſete Mädchen.
gen kann. Aber ich will gern alles und noch mehr
für ſie thun, um ſie zu gewinnen, als ich bey einem
Vater und einer Mutter in dieſer Abſicht zu thun nö-
thig hätte.
Ueberhaupt darf ich mich in meinen Umſtänden
weniger auf andere Menſchen verlaſſen. Ich muß mich
bey Zeiten von der Nothwendigkeit überzeugen, in mir
ſelbſt und in den Mitteln, welche du in meine Natur
gelegt haſt, die Befriedigung meiner zukünftigen Be-
dürfniſſe zu finden. Da ich keine Aeltern habe, die
für mich erwerben und ſammlen, ſo iſt es dein Wille,
daß ich mich itzt ſchon zum Fleiße und zur Arbeitſam-
keit gewöhnen ſoll. Es iſt Pflicht für mich, ſo viel
nützliches zu lernen, als ich kann, und mich in allen
häuslichen und weiblichen Geſchäfften zu üben und zu
vervollkommnen, um einſt im Stande zu ſeyn, ſelbſt
für meinen Unterhalt zu ſorgen. Dieß war gewiß
Eine deiner Abſichten, warum du mich zur vater-
und mutterloſen Waiſe machteſt. Vielleicht würde
ich durch Reichthum und Ueberfluß träge und un-
thätig geworden ſeyn. Vielleicht würde ich die
Fürſorge meiner Aeltern gemisbraucht und mei-
nen Geiſt und Körper durch Weichlichkeit und Nichts-
thun verzärtelt haben. Vielleicht würde ich bey den
beſten Anſtalten und bey allen Hülfsmitteln, mich
verſtändig zu machen, unwiſſend und unbrauchbar für
die Welt geblieben ſeyn. Vielleicht hätten ſich Stolz
und Selbſtſucht meines jungen Herzens bemächtiget
und mich von dem Wege der wahren Glückſeligkeit ab-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/64>, abgerufen am 23.06.2024.
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