Ewigkeit als gut und als das Beste befunden, das dient so gewiß zu meinem eigenen Glücke, als es die Volikommenheit des Ganzen befördert. In dieser Ab- sicht darf ich sicher hoffen, daß du die Herzen meiner Pflegeältern mit Liebe und Wohlwollen gegen mich erfüllen werdest. Du selbst hast sie zu meiner Erzie- hung und Bildung bestimmt; und du wirst ihnen auch solche Gesinnungen einflößen und sie so gegen mich handeln lassen, daß ich meinen Vater und mei- ne Mutter in ihnen verehren und lieben kann.
Ja, es wird großentheils auf mich selbst an- kommen, ob sie mir einen hohen Grad ihrer Liebe und Gewogenheit schenken können. Ich muß mich ganz als ihr Kind gegen sie verhalten, wenn sie eini- germaßen älterliche Zuneigung gegen mich fühlen sol- len. O möchte ich dieses immer und mit Freuden thun! Möchte ich keine Gelegenheiten versäumen, ihnen meine Ergebenheit, meine Hochachtung, meine Ehrerbietung, meinen Gehorsam zu bezeigen! Möch- te ich mich täglich bestreben, ihre Absichten und ihren Willen kennen zu lernen, ihnen Freude zu machen und sie durch mein gutes, folgsames Herz immer mehr an mich zu fesseln! Möchte ich es dabey nie vergessen, daß ich von ihnen, als von fremden Personen, nicht die völlige Anhänglichkeit an mich, nicht die großen Aufopferungen erwarten und fordern darf, deren nur Aeltern fähig sind, die die Bande des Bluts und der Natur mit ihren Kindern vereiniget haben! Nein, ich will nie mehr von ihnen verlangen, als ich in mei- ner Lage und in meinen Verhältnissen billig verlan-
gen
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Das ganz verwaiſete Mädchen.
Ewigkeit als gut und als das Beſte befunden, das dient ſo gewiß zu meinem eigenen Glücke, als es die Volikommenheit des Ganzen befördert. In dieſer Ab- ſicht darf ich ſicher hoffen, daß du die Herzen meiner Pflegeältern mit Liebe und Wohlwollen gegen mich erfüllen werdeſt. Du ſelbſt haſt ſie zu meiner Erzie- hung und Bildung beſtimmt; und du wirſt ihnen auch ſolche Geſinnungen einflößen und ſie ſo gegen mich handeln laſſen, daß ich meinen Vater und mei- ne Mutter in ihnen verehren und lieben kann.
Ja, es wird großentheils auf mich ſelbſt an- kommen, ob ſie mir einen hohen Grad ihrer Liebe und Gewogenheit ſchenken können. Ich muß mich ganz als ihr Kind gegen ſie verhalten, wenn ſie eini- germaßen älterliche Zuneigung gegen mich fühlen ſol- len. O möchte ich dieſes immer und mit Freuden thun! Möchte ich keine Gelegenheiten verſäumen, ihnen meine Ergebenheit, meine Hochachtung, meine Ehrerbietung, meinen Gehorſam zu bezeigen! Möch- te ich mich täglich beſtreben, ihre Abſichten und ihren Willen kennen zu lernen, ihnen Freude zu machen und ſie durch mein gutes, folgſames Herz immer mehr an mich zu feſſeln! Möchte ich es dabey nie vergeſſen, daß ich von ihnen, als von fremden Perſonen, nicht die völlige Anhänglichkeit an mich, nicht die großen Aufopferungen erwarten und fordern darf, deren nur Aeltern fähig ſind, die die Bande des Bluts und der Natur mit ihren Kindern vereiniget haben! Nein, ich will nie mehr von ihnen verlangen, als ich in mei- ner Lage und in meinen Verhältniſſen billig verlan-
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Das ganz verwaiſete Mädchen.
Ewigkeit als gut und als das Beſte befunden, das
dient ſo gewiß zu meinem eigenen Glücke, als es die
Volikommenheit des Ganzen befördert. In dieſer Ab-
ſicht darf ich ſicher hoffen, daß du die Herzen meiner
Pflegeältern mit Liebe und Wohlwollen gegen mich
erfüllen werdeſt. Du ſelbſt haſt ſie zu meiner Erzie-
hung und Bildung beſtimmt; und du wirſt ihnen
auch ſolche Geſinnungen einflößen und ſie ſo gegen
mich handeln laſſen, daß ich meinen Vater und mei-
ne Mutter in ihnen verehren und lieben kann.
Ja, es wird großentheils auf mich ſelbſt an-
kommen, ob ſie mir einen hohen Grad ihrer Liebe
und Gewogenheit ſchenken können. Ich muß mich
ganz als ihr Kind gegen ſie verhalten, wenn ſie eini-
germaßen älterliche Zuneigung gegen mich fühlen ſol-
len. O möchte ich dieſes immer und mit Freuden
thun! Möchte ich keine Gelegenheiten verſäumen,
ihnen meine Ergebenheit, meine Hochachtung, meine
Ehrerbietung, meinen Gehorſam zu bezeigen! Möch-
te ich mich täglich beſtreben, ihre Abſichten und ihren
Willen kennen zu lernen, ihnen Freude zu machen
und ſie durch mein gutes, folgſames Herz immer mehr
an mich zu feſſeln! Möchte ich es dabey nie vergeſſen,
daß ich von ihnen, als von fremden Perſonen, nicht
die völlige Anhänglichkeit an mich, nicht die großen
Aufopferungen erwarten und fordern darf, deren nur
Aeltern fähig ſind, die die Bande des Bluts und der
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/63>, abgerufen am 23.06.2024.
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