Ja, mein Vater und meine Mutter, o Gott, haben mich verlassen; aber du wirst mich aufnehmen. Von allen, die mir am liebsten und am nächsten wa- ren, getrennt, sehe ich blos und allein auf dich und erwarte, was du zu meiner Hülfe und zu meinem Fortkommen in der Welt beschlossen hast. Noch nie hast du deine Hand von denen abgezogen, die dich lieben. Du hast noch keinen zu schanden werden las- sen, der dir vertrauete. O ich liebe dich von ganzem Herzen, und liebe alles in dir, was mir werth und theuer ist und war. Ich setze das uneingeschränkteste Vertrauen auf deine Hülfe und auf deinen Beystand. So viel ich verloren habe, so finde ich doch in deiner Fürsorge und Vaterliebe alles wieder, und darf zu- versichtlich hoffen, daß du mir mehr seyn und mehr für mich thun wirst, als meine Aeltern für mich seyn und thun konnten.
Dank dir, o Gott, daß du mir gutgesinnte Menschen zu geführet hast, die mich auf- und anneh- men, die für mein Bestes sorgen, die die Stelle meiner Aeltern bey mir vertreten wollen! Dank dir, daß ich solche Eigenschaften besitze, die mir die Liebe und Zuneigung fremder Personen erwerben konnten! O es ist gewiß kein Zufall, kein Ohngefähr, daß ich in diese Umstände gekommen bin. Es ist gewiß deinem weisen Plane und meiner Glückseligkeit gemäs, daß ich unter fremden, mir bisher unbekannten Per- sonen aufwachsen und gebildet werden soll. Ohne dei- nen Willen kann ja nichts geschehen; und was du veranstaltest und zulässest, das hast du schon von
Ewigkeit
Das ganz verwaiſete Mädchen.
Ja, mein Vater und meine Mutter, o Gott, haben mich verlaſſen; aber du wirſt mich aufnehmen. Von allen, die mir am liebſten und am nächſten wa- ren, getrennt, ſehe ich blos und allein auf dich und erwarte, was du zu meiner Hülfe und zu meinem Fortkommen in der Welt beſchloſſen haſt. Noch nie haſt du deine Hand von denen abgezogen, die dich lieben. Du haſt noch keinen zu ſchanden werden laſ- ſen, der dir vertrauete. O ich liebe dich von ganzem Herzen, und liebe alles in dir, was mir werth und theuer iſt und war. Ich ſetze das uneingeſchränkteſte Vertrauen auf deine Hülfe und auf deinen Beyſtand. So viel ich verloren habe, ſo finde ich doch in deiner Fürſorge und Vaterliebe alles wieder, und darf zu- verſichtlich hoffen, daß du mir mehr ſeyn und mehr für mich thun wirſt, als meine Aeltern für mich ſeyn und thun konnten.
Dank dir, o Gott, daß du mir gutgeſinnte Menſchen zu geführet haſt, die mich auf- und anneh- men, die für mein Beſtes ſorgen, die die Stelle meiner Aeltern bey mir vertreten wollen! Dank dir, daß ich ſolche Eigenſchaften beſitze, die mir die Liebe und Zuneigung fremder Perſonen erwerben konnten! O es iſt gewiß kein Zufall, kein Ohngefähr, daß ich in dieſe Umſtände gekommen bin. Es iſt gewiß deinem weiſen Plane und meiner Glückſeligkeit gemäs, daß ich unter fremden, mir bisher unbekannten Per- ſonen aufwachſen und gebildet werden ſoll. Ohne dei- nen Willen kann ja nichts geſchehen; und was du veranſtalteſt und zuläſſeſt, das haſt du ſchon von
Ewigkeit
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Das ganz verwaiſete Mädchen.
Ja, mein Vater und meine Mutter, o Gott,
haben mich verlaſſen; aber du wirſt mich aufnehmen.
Von allen, die mir am liebſten und am nächſten wa-
ren, getrennt, ſehe ich blos und allein auf dich und
erwarte, was du zu meiner Hülfe und zu meinem
Fortkommen in der Welt beſchloſſen haſt. Noch nie
haſt du deine Hand von denen abgezogen, die dich
lieben. Du haſt noch keinen zu ſchanden werden laſ-
ſen, der dir vertrauete. O ich liebe dich von ganzem
Herzen, und liebe alles in dir, was mir werth und
theuer iſt und war. Ich ſetze das uneingeſchränkteſte
Vertrauen auf deine Hülfe und auf deinen Beyſtand.
So viel ich verloren habe, ſo finde ich doch in deiner
Fürſorge und Vaterliebe alles wieder, und darf zu-
verſichtlich hoffen, daß du mir mehr ſeyn und mehr
für mich thun wirſt, als meine Aeltern für mich ſeyn
und thun konnten.
Dank dir, o Gott, daß du mir gutgeſinnte
Menſchen zu geführet haſt, die mich auf- und anneh-
men, die für mein Beſtes ſorgen, die die Stelle
meiner Aeltern bey mir vertreten wollen! Dank dir,
daß ich ſolche Eigenſchaften beſitze, die mir die Liebe
und Zuneigung fremder Perſonen erwerben konnten!
O es iſt gewiß kein Zufall, kein Ohngefähr, daß
ich in dieſe Umſtände gekommen bin. Es iſt gewiß
deinem weiſen Plane und meiner Glückſeligkeit gemäs,
daß ich unter fremden, mir bisher unbekannten Per-
ſonen aufwachſen und gebildet werden ſoll. Ohne dei-
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/62>, abgerufen am 23.06.2024.
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