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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Bey dem Tode des Vaters
Alles nennt dich Erhalter und Wohlthäter; und mein
Herz stimmt in den allgemeinen Lobgesang ein, wel-
chen die ganze Schöpfung zu deiner Verherrlichung
anstimmt.

Sehe ich auf die verflossenen Jahre meines Le-
bens zurück; erinnere ich mich an alles das Gute,
welches ich deiner Huld und Gnade verdanke; überle-
ge ich, wie alle Begebenheiten zu meinem Besten
dienen, wie alle unangenehme Vorfälle mein Glück
befördern und erhöhen mußten; vergesse ich es nicht,
was du mir sonst gewesen bist: o wie kann ich da an
deiner Güte zweifeln? wie kann ich der Zukunst wegen
bekümmert und hoffnungslos seyn? Was ich itzt dul-
de, das scheint mir freylich ein wahres Unglück, das
scheint mir hart und unerträglich zu seyn: aber wirst
du mir wohl mehr auflegen, als ich tragen kann?
wirst du mich mehr und länger dulden lassen, als zu
meiner Vollkommenheit und Glückseligkeit nöthig ist?
Nein, ich würde dich ganz verkennen, würde dich, den Va-
ter der Liebe, des Mangels der Güte beschuldigen, wenn
ich dir so etwas zutrauen könnte. Nein, deine Wege füh-
ren alle zum Ziel, so rauh und beschwerlich sie mir auch
vorkommen. Deine Absichten müssen alle so oder an-
ders, früher oder später, erfüllt werden, wenn ich
sie gleich nur selten entdecken kann. Jedes Leiden,
jede Widerwärtigkeit, die mich betressen, sind ein
Saame, der hundertfältige gute Früchte bringt, wenn
diese auch vielleicht erst nach langen Jahren, erst in
der Ewigkeit für mich reifen sollten. Geschehe es auf
welche Art es wolle, ich weiß und glaube, daß auch

dieser

Bey dem Tode des Vaters
Alles nennt dich Erhalter und Wohlthäter; und mein
Herz ſtimmt in den allgemeinen Lobgeſang ein, wel-
chen die ganze Schöpfung zu deiner Verherrlichung
anſtimmt.

Sehe ich auf die verfloſſenen Jahre meines Le-
bens zurück; erinnere ich mich an alles das Gute,
welches ich deiner Huld und Gnade verdanke; überle-
ge ich, wie alle Begebenheiten zu meinem Beſten
dienen, wie alle unangenehme Vorfälle mein Glück
befördern und erhöhen mußten; vergeſſe ich es nicht,
was du mir ſonſt geweſen biſt: o wie kann ich da an
deiner Güte zweifeln? wie kann ich der Zukunſt wegen
bekümmert und hoffnungslos ſeyn? Was ich itzt dul-
de, das ſcheint mir freylich ein wahres Unglück, das
ſcheint mir hart und unerträglich zu ſeyn: aber wirſt
du mir wohl mehr auflegen, als ich tragen kann?
wirſt du mich mehr und länger dulden laſſen, als zu
meiner Vollkommenheit und Glückſeligkeit nöthig iſt?
Nein, ich würde dich ganz verkennen, würde dich, den Va-
ter der Liebe, des Mangels der Güte beſchuldigen, wenn
ich dir ſo etwas zutrauen könnte. Nein, deine Wege füh-
ren alle zum Ziel, ſo rauh und beſchwerlich ſie mir auch
vorkommen. Deine Abſichten müſſen alle ſo oder an-
ders, früher oder ſpäter, erfüllt werden, wenn ich
ſie gleich nur ſelten entdecken kann. Jedes Leiden,
jede Widerwärtigkeit, die mich betreſſen, ſind ein
Saame, der hundertfältige gute Früchte bringt, wenn
dieſe auch vielleicht erſt nach langen Jahren, erſt in
der Ewigkeit für mich reifen ſollten. Geſchehe es auf
welche Art es wolle, ich weiß und glaube, daß auch

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[46/0058] Bey dem Tode des Vaters Alles nennt dich Erhalter und Wohlthäter; und mein Herz ſtimmt in den allgemeinen Lobgeſang ein, wel- chen die ganze Schöpfung zu deiner Verherrlichung anſtimmt. Sehe ich auf die verfloſſenen Jahre meines Le- bens zurück; erinnere ich mich an alles das Gute, welches ich deiner Huld und Gnade verdanke; überle- ge ich, wie alle Begebenheiten zu meinem Beſten dienen, wie alle unangenehme Vorfälle mein Glück befördern und erhöhen mußten; vergeſſe ich es nicht, was du mir ſonſt geweſen biſt: o wie kann ich da an deiner Güte zweifeln? wie kann ich der Zukunſt wegen bekümmert und hoffnungslos ſeyn? Was ich itzt dul- de, das ſcheint mir freylich ein wahres Unglück, das ſcheint mir hart und unerträglich zu ſeyn: aber wirſt du mir wohl mehr auflegen, als ich tragen kann? wirſt du mich mehr und länger dulden laſſen, als zu meiner Vollkommenheit und Glückſeligkeit nöthig iſt? Nein, ich würde dich ganz verkennen, würde dich, den Va- ter der Liebe, des Mangels der Güte beſchuldigen, wenn ich dir ſo etwas zutrauen könnte. Nein, deine Wege füh- ren alle zum Ziel, ſo rauh und beſchwerlich ſie mir auch vorkommen. Deine Abſichten müſſen alle ſo oder an- ders, früher oder ſpäter, erfüllt werden, wenn ich ſie gleich nur ſelten entdecken kann. Jedes Leiden, jede Widerwärtigkeit, die mich betreſſen, ſind ein Saame, der hundertfältige gute Früchte bringt, wenn dieſe auch vielleicht erſt nach langen Jahren, erſt in der Ewigkeit für mich reifen ſollten. Geſchehe es auf welche Art es wolle, ich weiß und glaube, daß auch dieſer

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/58>, abgerufen am 27.11.2024.