Tod ist uns ein Mittel zu vollkommnerer Glückselig- keit, er ist der Anfang des neuen Lebens und der Ueber- gang zu einer höhern Stufe unsers Daseyns; und dieses zu wissen und zu glauben ist eine reiche, unver- siegbare Quelle des Trostes und der Beruhigung für uns nach Leben und Glückseligkeit schmachtende Menschen.
Ja, in diesem Glauben und in dieser Hoffnung finde auch ich Erquickung und Freude, die ich so we- niger sinnlicher Freuden mehr fähig bin. Die Abnah- me meiner Kräfte, das Gefühl meiner immer zuneh- menden Geistesschwäche, mein Alter und die Unbe- quemlichkeiten desselben, alles rufet mir nunmehr zu, alles überzeuget mich davon, daß mein Leben sein Ziel erreicht hat und daß ich davon muß. Schon stehe ich am Rande des Grabes; schon haben mich meine Thätigkeit und meine Kräfte verlassen; schon bin ich bey weitem das nicht mehr, was ich gewesen bin; schon denke und empfinde ich viel weniger und unvoll- kommner, als ich sonst gedacht und empfunden habe; schon sind die leichtesten Beschäfftigungen mit großer Mühe und Anstrengung für mich verbunden. Jch fühle es, daß diese Erde nicht mehr für mich ist und daß ich nicht mehr für diese Erde bin.
Und könnte mich wohl die Erwartung meines nahen Todes betrüben? Könnte ich noch eine beträcht- liche Verlängerung meines Lebens wünschen? Nein, o Gott, es ist das allgemeine, unveränderliche Gesetz der Natur, daß der Mensch von Erde wieder zur Erde wird. Diese Wahrheit hat mir schon so lange, als
ich
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Die ſchwache und kränkliche Matrone.
Tod iſt uns ein Mittel zu vollkommnerer Glückſelig- keit, er iſt der Anfang des neuen Lebens und der Ueber- gang zu einer höhern Stufe unſers Daſeyns; und dieſes zu wiſſen und zu glauben iſt eine reiche, unver- ſiegbare Quelle des Troſtes und der Beruhigung für uns nach Leben und Glückſeligkeit ſchmachtende Menſchen.
Ja, in dieſem Glauben und in dieſer Hoffnung finde auch ich Erquickung und Freude, die ich ſo we- niger ſinnlicher Freuden mehr fähig bin. Die Abnah- me meiner Kräfte, das Gefühl meiner immer zuneh- menden Geiſtesſchwäche, mein Alter und die Unbe- quemlichkeiten deſſelben, alles rufet mir nunmehr zu, alles überzeuget mich davon, daß mein Leben ſein Ziel erreicht hat und daß ich davon muß. Schon ſtehe ich am Rande des Grabes; ſchon haben mich meine Thätigkeit und meine Kräfte verlaſſen; ſchon bin ich bey weitem das nicht mehr, was ich geweſen bin; ſchon denke und empfinde ich viel weniger und unvoll- kommner, als ich ſonſt gedacht und empfunden habe; ſchon ſind die leichteſten Beſchäfftigungen mit großer Mühe und Anſtrengung für mich verbunden. Jch fühle es, daß dieſe Erde nicht mehr für mich iſt und daß ich nicht mehr für dieſe Erde bin.
Und könnte mich wohl die Erwartung meines nahen Todes betrüben? Könnte ich noch eine beträcht- liche Verlängerung meines Lebens wünſchen? Nein, o Gott, es iſt das allgemeine, unveränderliche Geſetz der Natur, daß der Menſch von Erde wieder zur Erde wird. Dieſe Wahrheit hat mir ſchon ſo lange, als
ich
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Die ſchwache und kränkliche Matrone.
Tod iſt uns ein Mittel zu vollkommnerer Glückſelig-
keit, er iſt der Anfang des neuen Lebens und der Ueber-
gang zu einer höhern Stufe unſers Daſeyns; und
dieſes zu wiſſen und zu glauben iſt eine reiche, unver-
ſiegbare Quelle des Troſtes und der Beruhigung für uns
nach Leben und Glückſeligkeit ſchmachtende Menſchen.
Ja, in dieſem Glauben und in dieſer Hoffnung
finde auch ich Erquickung und Freude, die ich ſo we-
niger ſinnlicher Freuden mehr fähig bin. Die Abnah-
me meiner Kräfte, das Gefühl meiner immer zuneh-
menden Geiſtesſchwäche, mein Alter und die Unbe-
quemlichkeiten deſſelben, alles rufet mir nunmehr zu,
alles überzeuget mich davon, daß mein Leben ſein Ziel
erreicht hat und daß ich davon muß. Schon ſtehe
ich am Rande des Grabes; ſchon haben mich meine
Thätigkeit und meine Kräfte verlaſſen; ſchon bin ich
bey weitem das nicht mehr, was ich geweſen bin;
ſchon denke und empfinde ich viel weniger und unvoll-
kommner, als ich ſonſt gedacht und empfunden habe;
ſchon ſind die leichteſten Beſchäfftigungen mit großer
Mühe und Anſtrengung für mich verbunden. Jch
fühle es, daß dieſe Erde nicht mehr für mich iſt und
daß ich nicht mehr für dieſe Erde bin.
Und könnte mich wohl die Erwartung meines
nahen Todes betrüben? Könnte ich noch eine beträcht-
liche Verlängerung meines Lebens wünſchen? Nein,
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der Natur, daß der Menſch von Erde wieder zur Erde
wird. Dieſe Wahrheit hat mir ſchon ſo lange, als
ich
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/369>, abgerufen am 24.06.2024.
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