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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Empfindungen einer Matrone bey der
fer werden. Ja, dieß müsse von nun an mein höch-
ster Ruhm; dieß müsse meine größte Freude und das Ziel
meiner Wünsche seyn! Amen.



IV.
Empfindungen einer Matrone bey der Rück-
sicht auf ihre vorigen Jahre und Schicksale.


Gott, du bleibest, wie du bist und deine Jahre
nehmen kein Ende, aber wir, deine Geschöpfe,
sind unaufhörlich dem Wechsel unterworfen und unsre
Jahre eilen wie ein Schatten dahin. Kurz und ein-
geschränkt ist unsre Lebenszeit, aber voll wichtiger
Auftritte und Erscheinungen. Jeder Tag, jede
Stunde unsers Lebens ist lehrreich; und was kann
ich itzt, da ich am Ende meiner Laufbahn stehe, nütz-
licheres thun, als daß ich die Summe meiner durch-
lebten Jahre und das Merkwürdige derselben noch ein-
mal übersehe! Diese zugleich ernsthafte und ange-
nehme Beschäfftigung wird mir mannichfaltigen Stoff
zum Nachdenken und zur Freude in Absicht des Ver-
gangenen geben und Muth und Zuversicht in Absicht
des Zukünftigen einflößen.

Ja, Freude und Dankbarkeit durchdringen
mich, wenn ich auf die lange Reihe meiner Lebens-

jahre

Empfindungen einer Matrone bey der
fer werden. Ja, dieß müſſe von nun an mein höch-
ſter Ruhm; dieß müſſe meine größte Freude und das Ziel
meiner Wünſche ſeyn! Amen.



IV.
Empfindungen einer Matrone bey der Rück-
ſicht auf ihre vorigen Jahre und Schickſale.


Gott, du bleibeſt, wie du biſt und deine Jahre
nehmen kein Ende, aber wir, deine Geſchöpfe,
ſind unaufhörlich dem Wechſel unterworfen und unſre
Jahre eilen wie ein Schatten dahin. Kurz und ein-
geſchränkt iſt unſre Lebenszeit, aber voll wichtiger
Auftritte und Erſcheinungen. Jeder Tag, jede
Stunde unſers Lebens iſt lehrreich; und was kann
ich itzt, da ich am Ende meiner Laufbahn ſtehe, nütz-
licheres thun, als daß ich die Summe meiner durch-
lebten Jahre und das Merkwürdige derſelben noch ein-
mal überſehe! Dieſe zugleich ernſthafte und ange-
nehme Beſchäfftigung wird mir mannichfaltigen Stoff
zum Nachdenken und zur Freude in Abſicht des Ver-
gangenen geben und Muth und Zuverſicht in Abſicht
des Zukünftigen einflößen.

Ja, Freude und Dankbarkeit durchdringen
mich, wenn ich auf die lange Reihe meiner Lebens-

jahre
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[350/0362] Empfindungen einer Matrone bey der fer werden. Ja, dieß müſſe von nun an mein höch- ſter Ruhm; dieß müſſe meine größte Freude und das Ziel meiner Wünſche ſeyn! Amen. IV. Empfindungen einer Matrone bey der Rück- ſicht auf ihre vorigen Jahre und Schickſale. Gott, du bleibeſt, wie du biſt und deine Jahre nehmen kein Ende, aber wir, deine Geſchöpfe, ſind unaufhörlich dem Wechſel unterworfen und unſre Jahre eilen wie ein Schatten dahin. Kurz und ein- geſchränkt iſt unſre Lebenszeit, aber voll wichtiger Auftritte und Erſcheinungen. Jeder Tag, jede Stunde unſers Lebens iſt lehrreich; und was kann ich itzt, da ich am Ende meiner Laufbahn ſtehe, nütz- licheres thun, als daß ich die Summe meiner durch- lebten Jahre und das Merkwürdige derſelben noch ein- mal überſehe! Dieſe zugleich ernſthafte und ange- nehme Beſchäfftigung wird mir mannichfaltigen Stoff zum Nachdenken und zur Freude in Abſicht des Ver- gangenen geben und Muth und Zuverſicht in Abſicht des Zukünftigen einflößen. Ja, Freude und Dankbarkeit durchdringen mich, wenn ich auf die lange Reihe meiner Lebens- jahre

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/362>, abgerufen am 24.06.2024.