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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die ältere Wittwe.
gen die Tage des Glücks und der Freude in unserm
häuslichen Leben! Wenn sich unsre gleichgestimmten
Herzen an den Schönheiten und Reizen deiner Welt
vergnügten; wenn wir mit vereinter und erhöheter
Andacht uns mit dir, mit der Religion, mit deiner
Weisheit und Güte, mit deinen Werken und Absich-
ten, mit unsrer Bestimmung und unsern Hoffnungen
beschäfftigten; wenn wir eine gute, edle That zusam-
men verrichteten und dem Unglücklichen eine Thräne
abtrockneten; wenn wir selbst unvermuthete Hülfe und
Rettung erhielten, wo wir keine Mittel zu derselben
entdecken konnten; wenn wir unsre Kinder an Ver-
stand und Tugend so wie an Jahren zunehmen sahen;
sahen, wie dankbar sie uns liebten, wie gut und fromm
sie wurden, wie sie uns unsre Mühe und Sorgfalt
vergalten, welch eine angenehme Zukunft sie uns ver-
sprachen; sahen, wie sie nach und nach ihre irrdische
Bestimmung erreichten, in ihrem Berufe das allge-
meine Beste beförderten und unsre Stelle ersetzten: ha-
ben wir da nicht die Freuden und Annehmlichkeiten des
Lebens genossen? Und sollte mich die Erinnerung an
so viele glückliche Tage nicht aufmuntern und stärken,
die wenigen, vielleicht sorgenvollern, die mir noch
übrig sind, so von dir anzunehmen und zu benutzen,
wie es meinem erfahrnen Alter, meinem Stande und
der Religion, die ich bekenne, gemäs ist?

Dank, herzlicher, inniger Dank dir, mei-
nem Wohlthäter und Vater, daß ich die Kinder, die
du mir gegeben hast, versorgt und glücklich weiß! O
wie schwer würde mich dann die Last, die mir itzt so

erträg-

Die ältere Wittwe.
gen die Tage des Glücks und der Freude in unſerm
häuslichen Leben! Wenn ſich unſre gleichgeſtimmten
Herzen an den Schönheiten und Reizen deiner Welt
vergnügten; wenn wir mit vereinter und erhöheter
Andacht uns mit dir, mit der Religion, mit deiner
Weisheit und Güte, mit deinen Werken und Abſich-
ten, mit unſrer Beſtimmung und unſern Hoffnungen
beſchäfftigten; wenn wir eine gute, edle That zuſam-
men verrichteten und dem Unglücklichen eine Thräne
abtrockneten; wenn wir ſelbſt unvermuthete Hülfe und
Rettung erhielten, wo wir keine Mittel zu derſelben
entdecken konnten; wenn wir unſre Kinder an Ver-
ſtand und Tugend ſo wie an Jahren zunehmen ſahen;
ſahen, wie dankbar ſie uns liebten, wie gut und fromm
ſie wurden, wie ſie uns unſre Mühe und Sorgfalt
vergalten, welch eine angenehme Zukunft ſie uns ver-
ſprachen; ſahen, wie ſie nach und nach ihre irrdiſche
Beſtimmung erreichten, in ihrem Berufe das allge-
meine Beſte beförderten und unſre Stelle erſetzten: ha-
ben wir da nicht die Freuden und Annehmlichkeiten des
Lebens genoſſen? Und ſollte mich die Erinnerung an
ſo viele glückliche Tage nicht aufmuntern und ſtärken,
die wenigen, vielleicht ſorgenvollern, die mir noch
übrig ſind, ſo von dir anzunehmen und zu benutzen,
wie es meinem erfahrnen Alter, meinem Stande und
der Religion, die ich bekenne, gemäs iſt?

Dank, herzlicher, inniger Dank dir, mei-
nem Wohlthäter und Vater, daß ich die Kinder, die
du mir gegeben haſt, verſorgt und glücklich weiß! O
wie ſchwer würde mich dann die Laſt, die mir itzt ſo

erträg-
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[342/0354] Die ältere Wittwe. gen die Tage des Glücks und der Freude in unſerm häuslichen Leben! Wenn ſich unſre gleichgeſtimmten Herzen an den Schönheiten und Reizen deiner Welt vergnügten; wenn wir mit vereinter und erhöheter Andacht uns mit dir, mit der Religion, mit deiner Weisheit und Güte, mit deinen Werken und Abſich- ten, mit unſrer Beſtimmung und unſern Hoffnungen beſchäfftigten; wenn wir eine gute, edle That zuſam- men verrichteten und dem Unglücklichen eine Thräne abtrockneten; wenn wir ſelbſt unvermuthete Hülfe und Rettung erhielten, wo wir keine Mittel zu derſelben entdecken konnten; wenn wir unſre Kinder an Ver- ſtand und Tugend ſo wie an Jahren zunehmen ſahen; ſahen, wie dankbar ſie uns liebten, wie gut und fromm ſie wurden, wie ſie uns unſre Mühe und Sorgfalt vergalten, welch eine angenehme Zukunft ſie uns ver- ſprachen; ſahen, wie ſie nach und nach ihre irrdiſche Beſtimmung erreichten, in ihrem Berufe das allge- meine Beſte beförderten und unſre Stelle erſetzten: ha- ben wir da nicht die Freuden und Annehmlichkeiten des Lebens genoſſen? Und ſollte mich die Erinnerung an ſo viele glückliche Tage nicht aufmuntern und ſtärken, die wenigen, vielleicht ſorgenvollern, die mir noch übrig ſind, ſo von dir anzunehmen und zu benutzen, wie es meinem erfahrnen Alter, meinem Stande und der Religion, die ich bekenne, gemäs iſt? Dank, herzlicher, inniger Dank dir, mei- nem Wohlthäter und Vater, daß ich die Kinder, die du mir gegeben haſt, verſorgt und glücklich weiß! O wie ſchwer würde mich dann die Laſt, die mir itzt ſo erträg-

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/354>, abgerufen am 24.11.2024.