Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Die ältere Wittwe.
erträglich wird, drücken, wie würde mich der Tod mei-
nes Gatten verwirren und ängstigen, wenn mich das
Weinen und Klagen unerzogener Kinder betäubte,
wenn ich keinen Trost, keine Hoffnung für dieselben
hätte und sie hülflos ihrem traurigen Schicksale über-
lassen müßte! Nun aber kann ich in Absicht auf die-
selben vollkommen ruhig seyn. Nun kann ich selbst
Trost und Hülfe und Beystand von ihnen erwarten.
Nun darf mich der Gedanke an die Trennung von ih-
nen nicht in Furcht und Schrecken setzen. Ich sehe,
wie liebevoll du gegen uns alle handelst und wie vä-
terlich du uns alle dem jedesmallgen Ziele unsrer Be-
stimmung zuführest.

Ja, auch ich, o Gott, bin von meinem Ziele
nicht mehr weit entfernt. Vielleicht noch einige weni-
ge Jahre, vielleicht nur noch Tage, und ich folge mei-
nem Gatten in ein anderes und höheres Leben nach.
O das Grab, das meinen vorangegangenen Freund
deckt, soll mich mit dem Gedanken des Todes ver-
traut machen. Die Hoffnung unsrer Wiedervereini-
gung soll mich der Stunde des Scheidens ohne Furcht
und mit freudenvoller Erwartung entgegen sehen lassen.
Leite mich, Allgütiger, mit deiner Hand, so lange
du mich noch zum irrdischen Leben bestimmest. Sey
mir Schutz und Stab im Alter und verlaß mich nicht,
wenn ich schwach und hülflos werde. Deine Güte sey
über mir, deine Vaterliebe umfasse und stärke mich,
die ich auf dich hoffe. Amen.

III.
Y 4

Die ältere Wittwe.
erträglich wird, drücken, wie würde mich der Tod mei-
nes Gatten verwirren und ängſtigen, wenn mich das
Weinen und Klagen unerzogener Kinder betäubte,
wenn ich keinen Troſt, keine Hoffnung für dieſelben
hätte und ſie hülflos ihrem traurigen Schickſale über-
laſſen müßte! Nun aber kann ich in Abſicht auf die-
ſelben vollkommen ruhig ſeyn. Nun kann ich ſelbſt
Troſt und Hülfe und Beyſtand von ihnen erwarten.
Nun darf mich der Gedanke an die Trennung von ih-
nen nicht in Furcht und Schrecken ſetzen. Ich ſehe,
wie liebevoll du gegen uns alle handelſt und wie vä-
terlich du uns alle dem jedesmallgen Ziele unſrer Be-
ſtimmung zuführeſt.

Ja, auch ich, o Gott, bin von meinem Ziele
nicht mehr weit entfernt. Vielleicht noch einige weni-
ge Jahre, vielleicht nur noch Tage, und ich folge mei-
nem Gatten in ein anderes und höheres Leben nach.
O das Grab, das meinen vorangegangenen Freund
deckt, ſoll mich mit dem Gedanken des Todes ver-
traut machen. Die Hoffnung unſrer Wiedervereini-
gung ſoll mich der Stunde des Scheidens ohne Furcht
und mit freudenvoller Erwartung entgegen ſehen laſſen.
Leite mich, Allgütiger, mit deiner Hand, ſo lange
du mich noch zum irrdiſchen Leben beſtimmeſt. Sey
mir Schutz und Stab im Alter und verlaß mich nicht,
wenn ich ſchwach und hülflos werde. Deine Güte ſey
über mir, deine Vaterliebe umfaſſe und ſtärke mich,
die ich auf dich hoffe. Amen.

III.
Y 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0355" n="343"/><fw place="top" type="header">Die ältere Wittwe.</fw><lb/>
erträglich wird, drücken, wie würde mich der Tod mei-<lb/>
nes Gatten verwirren und äng&#x017F;tigen, wenn mich das<lb/>
Weinen und Klagen unerzogener Kinder betäubte,<lb/>
wenn ich keinen Tro&#x017F;t, keine Hoffnung für die&#x017F;elben<lb/>
hätte und &#x017F;ie hülflos ihrem traurigen Schick&#x017F;ale über-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en müßte! Nun aber kann ich in Ab&#x017F;icht auf die-<lb/>
&#x017F;elben vollkommen ruhig &#x017F;eyn. Nun kann ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Tro&#x017F;t und Hülfe und Bey&#x017F;tand von ihnen erwarten.<lb/>
Nun darf mich der Gedanke an die Trennung von ih-<lb/>
nen nicht in Furcht und Schrecken &#x017F;etzen. Ich &#x017F;ehe,<lb/>
wie liebevoll du gegen uns alle handel&#x017F;t und wie vä-<lb/>
terlich du uns alle dem jedesmallgen Ziele un&#x017F;rer Be-<lb/>
&#x017F;timmung zuführe&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ja, auch ich, o Gott, bin von meinem Ziele<lb/>
nicht mehr weit entfernt. Vielleicht noch einige weni-<lb/>
ge Jahre, vielleicht nur noch Tage, und ich folge mei-<lb/>
nem Gatten in ein anderes und höheres Leben nach.<lb/>
O das Grab, das meinen vorangegangenen Freund<lb/>
deckt, &#x017F;oll mich mit dem Gedanken des Todes ver-<lb/>
traut machen. Die Hoffnung un&#x017F;rer Wiedervereini-<lb/>
gung &#x017F;oll mich der Stunde des Scheidens ohne Furcht<lb/>
und mit freudenvoller Erwartung entgegen &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Leite mich, Allgütiger, mit deiner Hand, &#x017F;o lange<lb/>
du mich noch zum irrdi&#x017F;chen Leben be&#x017F;timme&#x017F;t. Sey<lb/>
mir Schutz und Stab im Alter und verlaß mich nicht,<lb/>
wenn ich &#x017F;chwach und hülflos werde. Deine Güte &#x017F;ey<lb/>
über mir, deine Vaterliebe umfa&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;tärke mich,<lb/>
die ich auf dich hoffe. Amen.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">Y 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">III.</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0355] Die ältere Wittwe. erträglich wird, drücken, wie würde mich der Tod mei- nes Gatten verwirren und ängſtigen, wenn mich das Weinen und Klagen unerzogener Kinder betäubte, wenn ich keinen Troſt, keine Hoffnung für dieſelben hätte und ſie hülflos ihrem traurigen Schickſale über- laſſen müßte! Nun aber kann ich in Abſicht auf die- ſelben vollkommen ruhig ſeyn. Nun kann ich ſelbſt Troſt und Hülfe und Beyſtand von ihnen erwarten. Nun darf mich der Gedanke an die Trennung von ih- nen nicht in Furcht und Schrecken ſetzen. Ich ſehe, wie liebevoll du gegen uns alle handelſt und wie vä- terlich du uns alle dem jedesmallgen Ziele unſrer Be- ſtimmung zuführeſt. Ja, auch ich, o Gott, bin von meinem Ziele nicht mehr weit entfernt. Vielleicht noch einige weni- ge Jahre, vielleicht nur noch Tage, und ich folge mei- nem Gatten in ein anderes und höheres Leben nach. O das Grab, das meinen vorangegangenen Freund deckt, ſoll mich mit dem Gedanken des Todes ver- traut machen. Die Hoffnung unſrer Wiedervereini- gung ſoll mich der Stunde des Scheidens ohne Furcht und mit freudenvoller Erwartung entgegen ſehen laſſen. Leite mich, Allgütiger, mit deiner Hand, ſo lange du mich noch zum irrdiſchen Leben beſtimmeſt. Sey mir Schutz und Stab im Alter und verlaß mich nicht, wenn ich ſchwach und hülflos werde. Deine Güte ſey über mir, deine Vaterliebe umfaſſe und ſtärke mich, die ich auf dich hoffe. Amen. III. Y 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/355
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/355>, abgerufen am 24.11.2024.