Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Die ältere Wittwe.
den andern lieben, unterstützen und uns gegenseitig
das Leben versüßen sollen. Und welche Verhältnisse
sind enger und fester in einander verschlungen als die
Verhältnisse, in welchen Gatten gegen einander ste-
hen! Welche Verbindung der Menschen unter einan-
der ist inniger und angenehmer und eine Quelle grö-
serer Freuden als die Verbindung des ehelichen und
häuslichen Lebens! Welches Glück, welche Vergnü-
gungen sind damit verbunden! Aber auch welcher
Schmerz, wenn ein solches Band zerrissen und ein
solches Verhältniß aufgehoben wird!

Ja, o Gott, groß und empfindlich ist der
Schmerz, welchen ich in dieser Rücksicht fühle; groß
und beklagenswürdig ist der Verlust, den ich erlitten
habe; mit kummervollen, noch nie gehabten Empfin-
dungen ist der Tod meines Gatten für mich verbunden.
Unsere gegenseitige, durch eine Reihe vieler Jahre
erprobte und treu befundene Liebe, unser gemeinschaft-
licher Genuß des Lebens und aller Veränderungen des-
selben, unsre gleichen Gesinnungen und Wünsche, die
uns immer zu einem einzigen Zwecke und auf gleiche
Weise handeln ließen, dieß alles erhöhet und verstär-
ket itzt das traurige Gefühl dessen, was ich verloren
habe. Aber der Gedanke an dich und die feste Ueber-
zeugung von der Wohlthätigkeit aller deiner Schickun-
gen und Absichten, die Rücksicht auf das Vergangene
und die Betrachtung der Nothwendigkeit dessen, was
nun erfolgt ist, dieß alles ist Erquickung und Beru-
higung und Trost für mich.

Zwar

Die ältere Wittwe.
den andern lieben, unterſtützen und uns gegenſeitig
das Leben verſüßen ſollen. Und welche Verhältniſſe
ſind enger und feſter in einander verſchlungen als die
Verhältniſſe, in welchen Gatten gegen einander ſte-
hen! Welche Verbindung der Menſchen unter einan-
der iſt inniger und angenehmer und eine Quelle grö-
ſerer Freuden als die Verbindung des ehelichen und
häuslichen Lebens! Welches Glück, welche Vergnü-
gungen ſind damit verbunden! Aber auch welcher
Schmerz, wenn ein ſolches Band zerriſſen und ein
ſolches Verhältniß aufgehoben wird!

Ja, o Gott, groß und empfindlich iſt der
Schmerz, welchen ich in dieſer Rückſicht fühle; groß
und beklagenswürdig iſt der Verluſt, den ich erlitten
habe; mit kummervollen, noch nie gehabten Empfin-
dungen iſt der Tod meines Gatten für mich verbunden.
Unſere gegenſeitige, durch eine Reihe vieler Jahre
erprobte und treu befundene Liebe, unſer gemeinſchaft-
licher Genuß des Lebens und aller Veränderungen deſ-
ſelben, unſre gleichen Geſinnungen und Wünſche, die
uns immer zu einem einzigen Zwecke und auf gleiche
Weiſe handeln ließen, dieß alles erhöhet und verſtär-
ket itzt das traurige Gefühl deſſen, was ich verloren
habe. Aber der Gedanke an dich und die feſte Ueber-
zeugung von der Wohlthätigkeit aller deiner Schickun-
gen und Abſichten, die Rückſicht auf das Vergangene
und die Betrachtung der Nothwendigkeit deſſen, was
nun erfolgt iſt, dieß alles iſt Erquickung und Beru-
higung und Troſt für mich.

Zwar
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0352" n="340"/><fw place="top" type="header">Die ältere Wittwe.</fw><lb/>
den andern lieben, unter&#x017F;tützen und uns gegen&#x017F;eitig<lb/>
das Leben ver&#x017F;üßen &#x017F;ollen. Und welche Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ind enger und fe&#x017F;ter in einander ver&#x017F;chlungen als die<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e, in welchen Gatten gegen einander &#x017F;te-<lb/>
hen! Welche Verbindung der Men&#x017F;chen unter einan-<lb/>
der i&#x017F;t inniger und angenehmer und eine Quelle grö-<lb/>
&#x017F;erer Freuden als die Verbindung des ehelichen und<lb/>
häuslichen Lebens! Welches Glück, welche Vergnü-<lb/>
gungen &#x017F;ind damit verbunden! Aber auch welcher<lb/>
Schmerz, wenn ein &#x017F;olches Band zerri&#x017F;&#x017F;en und ein<lb/>
&#x017F;olches Verhältniß aufgehoben wird!</p><lb/>
          <p>Ja, o Gott, groß und empfindlich i&#x017F;t der<lb/>
Schmerz, welchen ich in die&#x017F;er Rück&#x017F;icht fühle; groß<lb/>
und beklagenswürdig i&#x017F;t der Verlu&#x017F;t, den ich erlitten<lb/>
habe; mit kummervollen, noch nie gehabten Empfin-<lb/>
dungen i&#x017F;t der Tod meines Gatten für mich verbunden.<lb/>
Un&#x017F;ere gegen&#x017F;eitige, durch eine Reihe vieler Jahre<lb/>
erprobte und treu befundene Liebe, un&#x017F;er gemein&#x017F;chaft-<lb/>
licher Genuß des Lebens und aller Veränderungen de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben, un&#x017F;re gleichen Ge&#x017F;innungen und Wün&#x017F;che, die<lb/>
uns immer zu einem einzigen Zwecke und auf gleiche<lb/>
Wei&#x017F;e handeln ließen, dieß alles erhöhet und ver&#x017F;tär-<lb/>
ket itzt das traurige Gefühl de&#x017F;&#x017F;en, was ich verloren<lb/>
habe. Aber der Gedanke an dich und die fe&#x017F;te Ueber-<lb/>
zeugung von der Wohlthätigkeit aller deiner Schickun-<lb/>
gen und Ab&#x017F;ichten, die Rück&#x017F;icht auf das Vergangene<lb/>
und die Betrachtung der Nothwendigkeit de&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
nun erfolgt i&#x017F;t, dieß alles i&#x017F;t Erquickung und Beru-<lb/>
higung und Tro&#x017F;t für mich.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Zwar</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0352] Die ältere Wittwe. den andern lieben, unterſtützen und uns gegenſeitig das Leben verſüßen ſollen. Und welche Verhältniſſe ſind enger und feſter in einander verſchlungen als die Verhältniſſe, in welchen Gatten gegen einander ſte- hen! Welche Verbindung der Menſchen unter einan- der iſt inniger und angenehmer und eine Quelle grö- ſerer Freuden als die Verbindung des ehelichen und häuslichen Lebens! Welches Glück, welche Vergnü- gungen ſind damit verbunden! Aber auch welcher Schmerz, wenn ein ſolches Band zerriſſen und ein ſolches Verhältniß aufgehoben wird! Ja, o Gott, groß und empfindlich iſt der Schmerz, welchen ich in dieſer Rückſicht fühle; groß und beklagenswürdig iſt der Verluſt, den ich erlitten habe; mit kummervollen, noch nie gehabten Empfin- dungen iſt der Tod meines Gatten für mich verbunden. Unſere gegenſeitige, durch eine Reihe vieler Jahre erprobte und treu befundene Liebe, unſer gemeinſchaft- licher Genuß des Lebens und aller Veränderungen deſ- ſelben, unſre gleichen Geſinnungen und Wünſche, die uns immer zu einem einzigen Zwecke und auf gleiche Weiſe handeln ließen, dieß alles erhöhet und verſtär- ket itzt das traurige Gefühl deſſen, was ich verloren habe. Aber der Gedanke an dich und die feſte Ueber- zeugung von der Wohlthätigkeit aller deiner Schickun- gen und Abſichten, die Rückſicht auf das Vergangene und die Betrachtung der Nothwendigkeit deſſen, was nun erfolgt iſt, dieß alles iſt Erquickung und Beru- higung und Troſt für mich. Zwar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/352
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/352>, abgerufen am 24.11.2024.