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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die jüngere Wittwe.
gen stören. Der Verlust, welchen ich erlitten habe,
gehet mir zu nahe und der Freund, welchen ich verlo-
ren habe, war zu genau mit mir verbunden, als daß
Vernunft - und Beruhigungsgründe sogleich den Kum-
mer meines Herzens stillen könnten. Der Tod hat
mir ja den treusten Freund und den liebevollesten Ge-
fährten auf dem Pfade dieses Lebens entrissen. Ich
sehe mich von dem getrennt, der mir alles war und
alles ersetzte, der ganz für mich, ganz für mein Glück
und meine Zufriedenheit lebte. Ich beweine den Tod
desjenigen, der alles für mich zu thun und aufzu-
opfern bereit war, der an allen meinen, guten und
bösen, Schicksalen den wärmsten und innigsten An-
theil nahm, an dessen Hand ich jede Freude des Le-
bens doppelt fühlte, in dessen Gesellschaft mir jedes
Leiden leicht und erträglich wurde, dessen Gesinnun-
gen und Wünsche und Absichten die meinigen waren,
der mich schützte, warnte, tröstete, ermunterte, wenn
ich Schutz und Warnung und Trost und Ermunte-
tung nöthig hatte.

Und wie kurz war nicht das Vergnügen, wel-
ches ich in seiner Gesellschaft genoß! Wie bald hat
der Tod unsre Verbindung zerrissen! Welche schöne
vielversprechende Aussichten und Hoffnungen hatte ich
vor mir! Und wie plötzlich und unvermuthet sind nicht
diese Aussichten verschwunden und diese Hoffmingen
vereitelt worden. Ja, mitten auf einem anmuths-
vollen Wege, auf welchem uns Vergnügen und Freu-
de winkte, mit den Entwürfen zu unserm künftigen

Glücke

Die jüngere Wittwe.
gen ſtören. Der Verluſt, welchen ich erlitten habe,
gehet mir zu nahe und der Freund, welchen ich verlo-
ren habe, war zu genau mit mir verbunden, als daß
Vernunft - und Beruhigungsgründe ſogleich den Kum-
mer meines Herzens ſtillen könnten. Der Tod hat
mir ja den treuſten Freund und den liebevolleſten Ge-
fährten auf dem Pfade dieſes Lebens entriſſen. Ich
ſehe mich von dem getrennt, der mir alles war und
alles erſetzte, der ganz für mich, ganz für mein Glück
und meine Zufriedenheit lebte. Ich beweine den Tod
desjenigen, der alles für mich zu thun und aufzu-
opfern bereit war, der an allen meinen, guten und
böſen, Schickſalen den wärmſten und innigſten An-
theil nahm, an deſſen Hand ich jede Freude des Le-
bens doppelt fühlte, in deſſen Geſellſchaft mir jedes
Leiden leicht und erträglich wurde, deſſen Geſinnun-
gen und Wünſche und Abſichten die meinigen waren,
der mich ſchützte, warnte, tröſtete, ermunterte, wenn
ich Schutz und Warnung und Troſt und Ermunte-
tung nöthig hatte.

Und wie kurz war nicht das Vergnügen, wel-
ches ich in ſeiner Geſellſchaft genoß! Wie bald hat
der Tod unſre Verbindung zerriſſen! Welche ſchöne
vielverſprechende Ausſichten und Hoffnungen hatte ich
vor mir! Und wie plötzlich und unvermuthet ſind nicht
dieſe Ausſichten verſchwunden und dieſe Hoffmingen
vereitelt worden. Ja, mitten auf einem anmuths-
vollen Wege, auf welchem uns Vergnügen und Freu-
de winkte, mit den Entwürfen zu unſerm künftigen

Glücke
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[334/0346] Die jüngere Wittwe. gen ſtören. Der Verluſt, welchen ich erlitten habe, gehet mir zu nahe und der Freund, welchen ich verlo- ren habe, war zu genau mit mir verbunden, als daß Vernunft - und Beruhigungsgründe ſogleich den Kum- mer meines Herzens ſtillen könnten. Der Tod hat mir ja den treuſten Freund und den liebevolleſten Ge- fährten auf dem Pfade dieſes Lebens entriſſen. Ich ſehe mich von dem getrennt, der mir alles war und alles erſetzte, der ganz für mich, ganz für mein Glück und meine Zufriedenheit lebte. Ich beweine den Tod desjenigen, der alles für mich zu thun und aufzu- opfern bereit war, der an allen meinen, guten und böſen, Schickſalen den wärmſten und innigſten An- theil nahm, an deſſen Hand ich jede Freude des Le- bens doppelt fühlte, in deſſen Geſellſchaft mir jedes Leiden leicht und erträglich wurde, deſſen Geſinnun- gen und Wünſche und Abſichten die meinigen waren, der mich ſchützte, warnte, tröſtete, ermunterte, wenn ich Schutz und Warnung und Troſt und Ermunte- tung nöthig hatte. Und wie kurz war nicht das Vergnügen, wel- ches ich in ſeiner Geſellſchaft genoß! Wie bald hat der Tod unſre Verbindung zerriſſen! Welche ſchöne vielverſprechende Ausſichten und Hoffnungen hatte ich vor mir! Und wie plötzlich und unvermuthet ſind nicht dieſe Ausſichten verſchwunden und dieſe Hoffmingen vereitelt worden. Ja, mitten auf einem anmuths- vollen Wege, auf welchem uns Vergnügen und Freu- de winkte, mit den Entwürfen zu unſerm künftigen Glücke

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/346>, abgerufen am 27.09.2024.