ich mein Kind doch ja nicht aus Stolz und Eitelkeit zu einer Lebensart zwingen, bey welcher es ein unnützes Glied des Staats und ein beschwerlicher Mensch für die Gesellschaft werden muß! Möchte ich alles dazu beytragen, ihm einen solchen Beruf anzuweisen, den es erfüllen und bey welchem es zufrieden und glücklich seyn kann. Möchte ich sein Glück und seine Ruhe nicht meinem Ehrgeize oder der falschen Schaam auf- opfern und es einsehen, daß der Mensch an jeder Stelle, sey sie hoch oder niedrig, geachtet und ehrwür- dig seyn kann, wenn er seine Pflichten an derselben zu erfüllen, und seinen Mitmenschen zu nutzen im Stande ist!
Ja, darauf kommt alles an, daß ich mein Kind zur Rechtschaffenheit und Tugend gewöhne. Es würde ein unverzeihlicher Fehler von mir seyn, wenn ich Verstand und Herz für Eins und dasselbe halten und von der Unfähigkeit des Einen auf die Unbild- samkeit des andern schließen wollte. Nein, o Gott, du hast nicht alle, du hast nur wenige Menschen zu großen und gelehrten Kenntnissen, aber alle zur Tu- gend und Frömmigkeit bestimmt. Und dazu kann und muß ich auch dieß Kind erziehen, das du meinen Händen anvertrauet hast. Mögen seine Verstandes- kräfte noch so schwach und eingeschränkt, seine Einsichten noch so wenig und geringe seyn, es ist gewiß der Tu- gend fähig; denn die Tugend ist kein Jnbegriff vieler und großer Kenntnisse, sondern guter Gesinnungen; sie besteht nicht im Wissen des Guten, sondern in der Ausübung desselben. Dich als Schöpfer und Vater
aufrich-
das große Geiſtesſchwäche zeigt.
ich mein Kind doch ja nicht aus Stolz und Eitelkeit zu einer Lebensart zwingen, bey welcher es ein unnützes Glied des Staats und ein beſchwerlicher Menſch für die Geſellſchaft werden muß! Möchte ich alles dazu beytragen, ihm einen ſolchen Beruf anzuweiſen, den es erfüllen und bey welchem es zufrieden und glücklich ſeyn kann. Möchte ich ſein Glück und ſeine Ruhe nicht meinem Ehrgeize oder der falſchen Schaam auf- opfern und es einſehen, daß der Menſch an jeder Stelle, ſey ſie hoch oder niedrig, geachtet und ehrwür- dig ſeyn kann, wenn er ſeine Pflichten an derſelben zu erfüllen, und ſeinen Mitmenſchen zu nutzen im Stande iſt!
Ja, darauf kommt alles an, daß ich mein Kind zur Rechtſchaffenheit und Tugend gewöhne. Es würde ein unverzeihlicher Fehler von mir ſeyn, wenn ich Verſtand und Herz für Eins und daſſelbe halten und von der Unfähigkeit des Einen auf die Unbild- ſamkeit des andern ſchließen wollte. Nein, o Gott, du haſt nicht alle, du haſt nur wenige Menſchen zu großen und gelehrten Kenntniſſen, aber alle zur Tu- gend und Frömmigkeit beſtimmt. Und dazu kann und muß ich auch dieß Kind erziehen, das du meinen Händen anvertrauet haſt. Mögen ſeine Verſtandes- kräfte noch ſo ſchwach und eingeſchränkt, ſeine Einſichten noch ſo wenig und geringe ſeyn, es iſt gewiß der Tu- gend fähig; denn die Tugend iſt kein Jnbegriff vieler und großer Kenntniſſe, ſondern guter Geſinnungen; ſie beſteht nicht im Wiſſen des Guten, ſondern in der Ausübung deſſelben. Dich als Schöpfer und Vater
aufrich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0279"n="267"/><fwplace="top"type="header">das große Geiſtesſchwäche zeigt.</fw><lb/>
ich mein Kind doch ja nicht aus Stolz und Eitelkeit<lb/>
zu einer Lebensart zwingen, bey welcher es ein unnützes<lb/>
Glied des Staats und ein beſchwerlicher Menſch für<lb/>
die Geſellſchaft werden muß! Möchte ich alles dazu<lb/>
beytragen, ihm einen ſolchen Beruf anzuweiſen, den<lb/>
es erfüllen und bey welchem es zufrieden und glücklich<lb/>ſeyn kann. Möchte ich ſein Glück und ſeine Ruhe<lb/>
nicht meinem Ehrgeize oder der falſchen Schaam auf-<lb/>
opfern und es einſehen, daß der Menſch an jeder<lb/>
Stelle, ſey ſie hoch oder niedrig, geachtet und ehrwür-<lb/>
dig ſeyn kann, wenn er ſeine Pflichten an derſelben<lb/>
zu erfüllen, und ſeinen Mitmenſchen zu nutzen im<lb/>
Stande iſt!</p><lb/><p>Ja, darauf kommt alles an, daß ich mein<lb/>
Kind zur Rechtſchaffenheit und Tugend gewöhne. Es<lb/>
würde ein unverzeihlicher Fehler von mir ſeyn, wenn<lb/>
ich Verſtand und Herz für Eins und daſſelbe halten<lb/>
und von der Unfähigkeit des Einen auf die Unbild-<lb/>ſamkeit des andern ſchließen wollte. Nein, o Gott,<lb/>
du haſt nicht alle, du haſt nur wenige Menſchen zu<lb/>
großen und gelehrten Kenntniſſen, aber alle zur Tu-<lb/>
gend und Frömmigkeit beſtimmt. Und dazu kann und<lb/>
muß ich auch dieß Kind erziehen, das du meinen<lb/>
Händen anvertrauet haſt. Mögen ſeine Verſtandes-<lb/>
kräfte noch ſo ſchwach und eingeſchränkt, ſeine Einſichten<lb/>
noch ſo wenig und geringe ſeyn, es iſt gewiß der Tu-<lb/>
gend fähig; denn die Tugend iſt kein Jnbegriff vieler<lb/>
und großer Kenntniſſe, ſondern guter Geſinnungen;<lb/>ſie beſteht nicht im Wiſſen des Guten, ſondern in der<lb/>
Ausübung deſſelben. Dich als Schöpfer und Vater<lb/><fwplace="bottom"type="catch">aufrich-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[267/0279]
das große Geiſtesſchwäche zeigt.
ich mein Kind doch ja nicht aus Stolz und Eitelkeit
zu einer Lebensart zwingen, bey welcher es ein unnützes
Glied des Staats und ein beſchwerlicher Menſch für
die Geſellſchaft werden muß! Möchte ich alles dazu
beytragen, ihm einen ſolchen Beruf anzuweiſen, den
es erfüllen und bey welchem es zufrieden und glücklich
ſeyn kann. Möchte ich ſein Glück und ſeine Ruhe
nicht meinem Ehrgeize oder der falſchen Schaam auf-
opfern und es einſehen, daß der Menſch an jeder
Stelle, ſey ſie hoch oder niedrig, geachtet und ehrwür-
dig ſeyn kann, wenn er ſeine Pflichten an derſelben
zu erfüllen, und ſeinen Mitmenſchen zu nutzen im
Stande iſt!
Ja, darauf kommt alles an, daß ich mein
Kind zur Rechtſchaffenheit und Tugend gewöhne. Es
würde ein unverzeihlicher Fehler von mir ſeyn, wenn
ich Verſtand und Herz für Eins und daſſelbe halten
und von der Unfähigkeit des Einen auf die Unbild-
ſamkeit des andern ſchließen wollte. Nein, o Gott,
du haſt nicht alle, du haſt nur wenige Menſchen zu
großen und gelehrten Kenntniſſen, aber alle zur Tu-
gend und Frömmigkeit beſtimmt. Und dazu kann und
muß ich auch dieß Kind erziehen, das du meinen
Händen anvertrauet haſt. Mögen ſeine Verſtandes-
kräfte noch ſo ſchwach und eingeſchränkt, ſeine Einſichten
noch ſo wenig und geringe ſeyn, es iſt gewiß der Tu-
gend fähig; denn die Tugend iſt kein Jnbegriff vieler
und großer Kenntniſſe, ſondern guter Geſinnungen;
ſie beſteht nicht im Wiſſen des Guten, ſondern in der
Ausübung deſſelben. Dich als Schöpfer und Vater
aufrich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/279>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.