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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Das Verh. einer Mutter gegen ein Kind,
zu begegnen. Wie ungerecht würde ich da handeln!
wie sehr alle meine Mutterpflichten verletzen! wie un-
geschickt mich machen, das für dasselbe zu thun, was ich
thun kann und muß! Mag auch meine Freude an demsel-
ben dadurch geschwächt und vermindert werden; mag es
mir auch von Seiten seines Verstandes und seiner Ein-
sichten weniger Vergnügen machen und weniger Ehre
versprechen als andere Kinder: so hat es doch dieß nicht
selbst verschuldet; so bist doch du es, du, der Schöp-
fer und Vater dasselben, der ihm dieses geringe Maß
von Geisteskräften und Fähigkeiten mitgetheilet hat.
Und ich sollte mich so sehr vergehen und einem Kinde,
das seine Verstandsschwäche durch nichts verschuldet
hat, meine Liebe versagen! Jch sollte mein Kind,
dem ich das Leben gab, verachten, oder hassen, weil
es dir gefallen hat, dasselbe zu einem gemeinen und
leichten Berufe zu bestimmen und ihm in dieser Ab-
sicht ein geringes Maß von Kräften zu verleihen!

Nein, ich will mein Kind, mein am Ver-
stande schwaches aber unschuldiges Kind eben so sehr
lieben und schätzen, als wenn es mir durch seine gros-
sen Anlagen Ruhm und Ehre verspräche. Jch will
mich desselben nicht schämen und meine Zuneigung
zu demselben in Gegenwart anderer nicht unterdrücken.
Jch will vielmehr bemühet sey, mich von dem Ver-
dachte zu reinigen, als ob ich meine mütterliche
Bestimmung so sehr vergessen und so ungerecht
seyn könnte, einem Kinde meine Liebe zu entziehen,
das mich durch nichts beleidiget hat. Dadurch kann

und

Das Verh. einer Mutter gegen ein Kind,
zu begegnen. Wie ungerecht würde ich da handeln!
wie ſehr alle meine Mutterpflichten verletzen! wie un-
geſchickt mich machen, das für daſſelbe zu thun, was ich
thun kann und muß! Mag auch meine Freude an demſel-
ben dadurch geſchwächt und vermindert werden; mag es
mir auch von Seiten ſeines Verſtandes und ſeiner Ein-
ſichten weniger Vergnügen machen und weniger Ehre
verſprechen als andere Kinder: ſo hat es doch dieß nicht
ſelbſt verſchuldet; ſo biſt doch du es, du, der Schöp-
fer und Vater daſſelben, der ihm dieſes geringe Maß
von Geiſteskräften und Fähigkeiten mitgetheilet hat.
Und ich ſollte mich ſo ſehr vergehen und einem Kinde,
das ſeine Verſtandsſchwäche durch nichts verſchuldet
hat, meine Liebe verſagen! Jch ſollte mein Kind,
dem ich das Leben gab, verachten, oder haſſen, weil
es dir gefallen hat, daſſelbe zu einem gemeinen und
leichten Berufe zu beſtimmen und ihm in dieſer Ab-
ſicht ein geringes Maß von Kräften zu verleihen!

Nein, ich will mein Kind, mein am Ver-
ſtande ſchwaches aber unſchuldiges Kind eben ſo ſehr
lieben und ſchätzen, als wenn es mir durch ſeine groſ-
ſen Anlagen Ruhm und Ehre verſpräche. Jch will
mich deſſelben nicht ſchämen und meine Zuneigung
zu demſelben in Gegenwart anderer nicht unterdrücken.
Jch will vielmehr bemühet ſey, mich von dem Ver-
dachte zu reinigen, als ob ich meine mütterliche
Beſtimmung ſo ſehr vergeſſen und ſo ungerecht
ſeyn könnte, einem Kinde meine Liebe zu entziehen,
das mich durch nichts beleidiget hat. Dadurch kann

und
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[264/0276] Das Verh. einer Mutter gegen ein Kind, zu begegnen. Wie ungerecht würde ich da handeln! wie ſehr alle meine Mutterpflichten verletzen! wie un- geſchickt mich machen, das für daſſelbe zu thun, was ich thun kann und muß! Mag auch meine Freude an demſel- ben dadurch geſchwächt und vermindert werden; mag es mir auch von Seiten ſeines Verſtandes und ſeiner Ein- ſichten weniger Vergnügen machen und weniger Ehre verſprechen als andere Kinder: ſo hat es doch dieß nicht ſelbſt verſchuldet; ſo biſt doch du es, du, der Schöp- fer und Vater daſſelben, der ihm dieſes geringe Maß von Geiſteskräften und Fähigkeiten mitgetheilet hat. Und ich ſollte mich ſo ſehr vergehen und einem Kinde, das ſeine Verſtandsſchwäche durch nichts verſchuldet hat, meine Liebe verſagen! Jch ſollte mein Kind, dem ich das Leben gab, verachten, oder haſſen, weil es dir gefallen hat, daſſelbe zu einem gemeinen und leichten Berufe zu beſtimmen und ihm in dieſer Ab- ſicht ein geringes Maß von Kräften zu verleihen! Nein, ich will mein Kind, mein am Ver- ſtande ſchwaches aber unſchuldiges Kind eben ſo ſehr lieben und ſchätzen, als wenn es mir durch ſeine groſ- ſen Anlagen Ruhm und Ehre verſpräche. Jch will mich deſſelben nicht ſchämen und meine Zuneigung zu demſelben in Gegenwart anderer nicht unterdrücken. Jch will vielmehr bemühet ſey, mich von dem Ver- dachte zu reinigen, als ob ich meine mütterliche Beſtimmung ſo ſehr vergeſſen und ſo ungerecht ſeyn könnte, einem Kinde meine Liebe zu entziehen, das mich durch nichts beleidiget hat. Dadurch kann und

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/276>, abgerufen am 25.11.2024.