so lange bin ich jenen den uneingeschränktesten, freu- digsten Gehorsam schuldig.
Wie sehr würde ich mir also selbst schaden, wenn ich mich dieser Pflicht entziehen wollte; dieser süßen und angenehmen Pflicht, die mir und meinen Aeltern das Leben erleichtert; dieser wohlthätigen und beloh- nenden Pflicht, die mir so unaussprechliche Bortheile verschafft! Wenn ich meinen Aeltern ungehorsam bin, wenn ich das nicht thue, will und lerne, was sie mich thun und wollen und lernen heißen; wenn ich mich in Gefahren stürze, wovor sie mich warnen; wenn ich mich nicht in den Dingen übe, die sie mir als nützlich anpreisen; wenn ich mich ihrem Willen nur äusserlich, nur zum Schein, nur durch erzwungene Handlungen unterwerfe, und im Herzen| etwas ganz anders denke, als sie glauben; wenn ich mich blos in ihrer Gegen- wart nach ihren Vorschriften richte, aber dieselben da übertrete, wo ich sie unbemerkt und ungestraft über- treten kann; wenn ich ihnen meine Gesinnungen, mei- ne Absichten, mein Vorhaben, meine Fehler und Vergehungen verberge, und mich nicht in allen Stü- cken mit der größten Aufrichtigkeit gegen sie betrage: wenn ich auf diese und ähnliche Art Mangel der Liebe und des Gehorsams gegen diejenigen zeige, die mich zur Tugend und zu einem glücklichen Leben anführen und vorbereiten wollen, können sie denn da ihre Ab- sichten mit mir erreichen? Müssen nicht vielmehr alle ihre Bemühungen um mich vergeblich seyn? Täusche ich nicht hier mich selbst, indem ich andere täuschen will? Und beraube ich mich nicht aller der Vortheile,
die
Um Gehorſam gegen die Aeltern.
ſo lange bin ich jenen den uneingeſchränkteſten, freu- digſten Gehorſam ſchuldig.
Wie ſehr würde ich mir alſo ſelbſt ſchaden, wenn ich mich dieſer Pflicht entziehen wollte; dieſer ſüßen und angenehmen Pflicht, die mir und meinen Aeltern das Leben erleichtert; dieſer wohlthätigen und beloh- nenden Pflicht, die mir ſo unausſprechliche Bortheile verſchafft! Wenn ich meinen Aeltern ungehorſam bin, wenn ich das nicht thue, will und lerne, was ſie mich thun und wollen und lernen heißen; wenn ich mich in Gefahren ſtürze, wovor ſie mich warnen; wenn ich mich nicht in den Dingen übe, die ſie mir als nützlich anpreiſen; wenn ich mich ihrem Willen nur äuſſerlich, nur zum Schein, nur durch erzwungene Handlungen unterwerfe, und im Herzen| etwas ganz anders denke, als ſie glauben; wenn ich mich blos in ihrer Gegen- wart nach ihren Vorſchriften richte, aber dieſelben da übertrete, wo ich ſie unbemerkt und ungeſtraft über- treten kann; wenn ich ihnen meine Geſinnungen, mei- ne Abſichten, mein Vorhaben, meine Fehler und Vergehungen verberge, und mich nicht in allen Stü- cken mit der größten Aufrichtigkeit gegen ſie betrage: wenn ich auf dieſe und ähnliche Art Mangel der Liebe und des Gehorſams gegen diejenigen zeige, die mich zur Tugend und zu einem glücklichen Leben anführen und vorbereiten wollen, können ſie denn da ihre Ab- ſichten mit mir erreichen? Müſſen nicht vielmehr alle ihre Bemühungen um mich vergeblich ſeyn? Täuſche ich nicht hier mich ſelbſt, indem ich andere täuſchen will? Und beraube ich mich nicht aller der Vortheile,
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Um Gehorſam gegen die Aeltern.
ſo lange bin ich jenen den uneingeſchränkteſten, freu-
digſten Gehorſam ſchuldig.
Wie ſehr würde ich mir alſo ſelbſt ſchaden, wenn
ich mich dieſer Pflicht entziehen wollte; dieſer ſüßen
und angenehmen Pflicht, die mir und meinen Aeltern
das Leben erleichtert; dieſer wohlthätigen und beloh-
nenden Pflicht, die mir ſo unausſprechliche Bortheile
verſchafft! Wenn ich meinen Aeltern ungehorſam bin,
wenn ich das nicht thue, will und lerne, was ſie mich
thun und wollen und lernen heißen; wenn ich mich in
Gefahren ſtürze, wovor ſie mich warnen; wenn ich
mich nicht in den Dingen übe, die ſie mir als nützlich
anpreiſen; wenn ich mich ihrem Willen nur äuſſerlich,
nur zum Schein, nur durch erzwungene Handlungen
unterwerfe, und im Herzen| etwas ganz anders denke,
als ſie glauben; wenn ich mich blos in ihrer Gegen-
wart nach ihren Vorſchriften richte, aber dieſelben da
übertrete, wo ich ſie unbemerkt und ungeſtraft über-
treten kann; wenn ich ihnen meine Geſinnungen, mei-
ne Abſichten, mein Vorhaben, meine Fehler und
Vergehungen verberge, und mich nicht in allen Stü-
cken mit der größten Aufrichtigkeit gegen ſie betrage:
wenn ich auf dieſe und ähnliche Art Mangel der Liebe
und des Gehorſams gegen diejenigen zeige, die mich
zur Tugend und zu einem glücklichen Leben anführen
und vorbereiten wollen, können ſie denn da ihre Ab-
ſichten mit mir erreichen? Müſſen nicht vielmehr alle
ihre Bemühungen um mich vergeblich ſeyn? Täuſche
ich nicht hier mich ſelbſt, indem ich andere täuſchen
will? Und beraube ich mich nicht aller der Vortheile,
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/23>, abgerufen am 16.06.2024.
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