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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Allgemeinen Inhalts.
größer seyn, als der gegen dich, meinen größten Wohl-
thäter, meinen Schöpfer und Vater! O wie viel habe
ich dir nicht zu verdanken! Wie gütig hast du gegen
mich gehandelt! Wie viel Gutes hast du mir schon
während meines kurzen Lebens erwiesen! Selbst die-
ses Leben ist dein Geschenk; und die Größe dieses
Geschenks werde ich erst dann völlig einsehen,
wenn ich an Jahren und am Verstande zugenommen
haben und wissen werde, welchen hohen Werth ein
Menschenleben hat, wie viel Gutes und Schönes und
Edles man hier auf Erden thun und lernen und ge-
nießen kann. Welches Glück ist es, ein Mensch, ein
vernünftiges, denkendes Wesen zu seyn! Welche
Vorzüge hat nicht der Mensch vor allen Gewächsen,
vor allen Thieren, vor allem dem, was ich auf dieser
Erde sehe! Ja ich fühle es lebhaft, o Gott, daß
ich bey weitem nicht so glücklich seyn würde, als ich
wirklich bin, wenn du mich zu etwas andern geschaffen
und gebildet hättest.

Welchen Dank bin ich dir dafür schuldig, daß
du mich von christlichen Aeltern hast geboren werden
lassen! Lebte ich in einem finstern Lande, unter un-
wissenden Menschen, so würde ich dich vielleicht gar
nicht, wenigstens nicht so kennen, wie ich dich jetzt
kenne. Würde ich nicht in der Lehre deines Sohnes
Jesu unterrichtet, so müßte ich dich mehr fürchten,
als ich dich lieben könnte; so wüßte ich nicht daß du
so weise und gütig bist; so würde ich nicht mit so vie-
ler Freude an dich denken und nicht mit so getrostem
Muthe zu dir beten; so hielt ich dich wohl gar für ei-
neu grausamen Gott, für einen Feind der Menschen,

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Allgemeinen Inhalts.
größer ſeyn, als der gegen dich, meinen größten Wohl-
thäter, meinen Schöpfer und Vater! O wie viel habe
ich dir nicht zu verdanken! Wie gütig haſt du gegen
mich gehandelt! Wie viel Gutes haſt du mir ſchon
während meines kurzen Lebens erwieſen! Selbſt die-
ſes Leben iſt dein Geſchenk; und die Größe dieſes
Geſchenks werde ich erſt dann völlig einſehen,
wenn ich an Jahren und am Verſtande zugenommen
haben und wiſſen werde, welchen hohen Werth ein
Menſchenleben hat, wie viel Gutes und Schönes und
Edles man hier auf Erden thun und lernen und ge-
nießen kann. Welches Glück iſt es, ein Menſch, ein
vernünftiges, denkendes Weſen zu ſeyn! Welche
Vorzüge hat nicht der Menſch vor allen Gewächſen,
vor allen Thieren, vor allem dem, was ich auf dieſer
Erde ſehe! Ja ich fühle es lebhaft, o Gott, daß
ich bey weitem nicht ſo glücklich ſeyn würde, als ich
wirklich bin, wenn du mich zu etwas andern geſchaffen
und gebildet hätteſt.

Welchen Dank bin ich dir dafür ſchuldig, daß
du mich von chriſtlichen Aeltern haſt geboren werden
laſſen! Lebte ich in einem finſtern Lande, unter un-
wiſſenden Menſchen, ſo würde ich dich vielleicht gar
nicht, wenigſtens nicht ſo kennen, wie ich dich jetzt
kenne. Würde ich nicht in der Lehre deines Sohnes
Jeſu unterrichtet, ſo müßte ich dich mehr fürchten,
als ich dich lieben könnte; ſo wüßte ich nicht daß du
ſo weiſe und gütig biſt; ſo würde ich nicht mit ſo vie-
ler Freude an dich denken und nicht mit ſo getroſtem
Muthe zu dir beten; ſo hielt ich dich wohl gar für ei-
neu grauſamen Gott, für einen Feind der Menſchen,

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[5/0017] Allgemeinen Inhalts. größer ſeyn, als der gegen dich, meinen größten Wohl- thäter, meinen Schöpfer und Vater! O wie viel habe ich dir nicht zu verdanken! Wie gütig haſt du gegen mich gehandelt! Wie viel Gutes haſt du mir ſchon während meines kurzen Lebens erwieſen! Selbſt die- ſes Leben iſt dein Geſchenk; und die Größe dieſes Geſchenks werde ich erſt dann völlig einſehen, wenn ich an Jahren und am Verſtande zugenommen haben und wiſſen werde, welchen hohen Werth ein Menſchenleben hat, wie viel Gutes und Schönes und Edles man hier auf Erden thun und lernen und ge- nießen kann. Welches Glück iſt es, ein Menſch, ein vernünftiges, denkendes Weſen zu ſeyn! Welche Vorzüge hat nicht der Menſch vor allen Gewächſen, vor allen Thieren, vor allem dem, was ich auf dieſer Erde ſehe! Ja ich fühle es lebhaft, o Gott, daß ich bey weitem nicht ſo glücklich ſeyn würde, als ich wirklich bin, wenn du mich zu etwas andern geſchaffen und gebildet hätteſt. Welchen Dank bin ich dir dafür ſchuldig, daß du mich von chriſtlichen Aeltern haſt geboren werden laſſen! Lebte ich in einem finſtern Lande, unter un- wiſſenden Menſchen, ſo würde ich dich vielleicht gar nicht, wenigſtens nicht ſo kennen, wie ich dich jetzt kenne. Würde ich nicht in der Lehre deines Sohnes Jeſu unterrichtet, ſo müßte ich dich mehr fürchten, als ich dich lieben könnte; ſo wüßte ich nicht daß du ſo weiſe und gütig biſt; ſo würde ich nicht mit ſo vie- ler Freude an dich denken und nicht mit ſo getroſtem Muthe zu dir beten; ſo hielt ich dich wohl gar für ei- neu grauſamen Gott, für einen Feind der Menſchen, für A 3

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/17>, abgerufen am 16.06.2024.