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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Allgemeinen Inhalts.
für einen Peiniger deiner Geschöpfe; so empfände ich
es nicht so innig, daß du mein Vater bist; so wüßte
ich es nicht so genau, was dir wohl gefällt, was du
willst, daß ich thun und lassen soll, was mich glück-
lich und unglücklich macht; so dächte ich mir vielleicht
mehr einen mächtigen Menschen unter deinem Namen
als das, was du bist, mehr einen grausamen Tyran-
nen als einen weisen und liebevollen Regierer deiner
Welt, wofür ich dich itzt erkenne; so würde ich dich
durch äusserliche, gleichgültige Dinge, durch Bewe-
gungen und Stellungen des Körpers, durch Ceremo-
nien, durch gewisse Worte und Gewohnheiten zu ver-
ehren suchen, von welchen ich itzt weiß, daß dich ein
vernünftiges Geschöpf nicht dadurch verehren kann;
so zitterte ich, wie tausend und aber tausend andere
arme Menschen, die keine Christen sind, vor deinem
Zorn und vor deiner Rache, da ich itzt weiß, daß du
diese menschlichen Schwachheiten nicht an dir hast und
nicht an dir haben kannst.

Und welch ein Glück ist es für mich, o Gott,
daß ich in den gegenwärtigen Zeiten lebe, wo dich
auch die Christen würdiger kennen und anständiger ver-
ehren, wo die Menschen die Lehren deines Sohnes
Jesu besser verstehen, wo jeder Christ dein heiliges
Wort lesen und sich aus demselben unterrichten kann!
Wie glücklich muß ich mich schätzen, daß ich in Zeiten
lebe, wo sich alle gute Aeltern so viele Mühe geben,
ihre Kinder zu verständigen und tugendhaften Men-
schen zuerziehen; wo auch meine Aeltern so viele Mit-
tel und Gelegenheit haben, mich in allen nöthigen und

nützlichen

Allgemeinen Inhalts.
für einen Peiniger deiner Geſchöpfe; ſo empfände ich
es nicht ſo innig, daß du mein Vater biſt; ſo wüßte
ich es nicht ſo genau, was dir wohl gefällt, was du
willſt, daß ich thun und laſſen ſoll, was mich glück-
lich und unglücklich macht; ſo dächte ich mir vielleicht
mehr einen mächtigen Menſchen unter deinem Namen
als das, was du biſt, mehr einen grauſamen Tyran-
nen als einen weiſen und liebevollen Regierer deiner
Welt, wofür ich dich itzt erkenne; ſo würde ich dich
durch äuſſerliche, gleichgültige Dinge, durch Bewe-
gungen und Stellungen des Körpers, durch Ceremo-
nien, durch gewiſſe Worte und Gewohnheiten zu ver-
ehren ſuchen, von welchen ich itzt weiß, daß dich ein
vernünftiges Geſchöpf nicht dadurch verehren kann;
ſo zitterte ich, wie tauſend und aber tauſend andere
arme Menſchen, die keine Chriſten ſind, vor deinem
Zorn und vor deiner Rache, da ich itzt weiß, daß du
dieſe menſchlichen Schwachheiten nicht an dir haſt und
nicht an dir haben kannſt.

Und welch ein Glück iſt es für mich, o Gott,
daß ich in den gegenwärtigen Zeiten lebe, wo dich
auch die Chriſten würdiger kennen und anſtändiger ver-
ehren, wo die Menſchen die Lehren deines Sohnes
Jeſu beſſer verſtehen, wo jeder Chriſt dein heiliges
Wort leſen und ſich aus demſelben unterrichten kann!
Wie glücklich muß ich mich ſchätzen, daß ich in Zeiten
lebe, wo ſich alle gute Aeltern ſo viele Mühe geben,
ihre Kinder zu verſtändigen und tugendhaften Men-
ſchen zuerziehen; wo auch meine Aeltern ſo viele Mit-
tel und Gelegenheit haben, mich in allen nöthigen und

nützlichen
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[6/0018] Allgemeinen Inhalts. für einen Peiniger deiner Geſchöpfe; ſo empfände ich es nicht ſo innig, daß du mein Vater biſt; ſo wüßte ich es nicht ſo genau, was dir wohl gefällt, was du willſt, daß ich thun und laſſen ſoll, was mich glück- lich und unglücklich macht; ſo dächte ich mir vielleicht mehr einen mächtigen Menſchen unter deinem Namen als das, was du biſt, mehr einen grauſamen Tyran- nen als einen weiſen und liebevollen Regierer deiner Welt, wofür ich dich itzt erkenne; ſo würde ich dich durch äuſſerliche, gleichgültige Dinge, durch Bewe- gungen und Stellungen des Körpers, durch Ceremo- nien, durch gewiſſe Worte und Gewohnheiten zu ver- ehren ſuchen, von welchen ich itzt weiß, daß dich ein vernünftiges Geſchöpf nicht dadurch verehren kann; ſo zitterte ich, wie tauſend und aber tauſend andere arme Menſchen, die keine Chriſten ſind, vor deinem Zorn und vor deiner Rache, da ich itzt weiß, daß du dieſe menſchlichen Schwachheiten nicht an dir haſt und nicht an dir haben kannſt. Und welch ein Glück iſt es für mich, o Gott, daß ich in den gegenwärtigen Zeiten lebe, wo dich auch die Chriſten würdiger kennen und anſtändiger ver- ehren, wo die Menſchen die Lehren deines Sohnes Jeſu beſſer verſtehen, wo jeder Chriſt dein heiliges Wort leſen und ſich aus demſelben unterrichten kann! Wie glücklich muß ich mich ſchätzen, daß ich in Zeiten lebe, wo ſich alle gute Aeltern ſo viele Mühe geben, ihre Kinder zu verſtändigen und tugendhaften Men- ſchen zuerziehen; wo auch meine Aeltern ſo viele Mit- tel und Gelegenheit haben, mich in allen nöthigen und nützlichen

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/18>, abgerufen am 16.06.2024.