zwungen gewählt, so darf er erwarten, daß ich ihm kleine, unbedeutende Fehler übersehen und mich in die- sem Stücke so gegen ihn verhalten werde, wie ich wünsche, daß auch er bey meinen Fehlern sich gegen mich verhalten möge. Er trauet mir die Einsicht zu, daß ich ihn nicht als einen ganz fehlerlosen und voll- kommnen Mann, sondern als einen solchen, dessen gute Eigenschaften größer und zahlreicher als seine Fehler und Mängel sind, andern vorgezogen habe. Er hofft von meiner Liebe und Zärtlichkeit, daß ich seine Unvollkommenheiten sanft und liebreich zu verbes- sern suchen, aber dieselben nicht zu einem Vorwande meiner Gleichgültigkeit gegen ihn gebrauchen werde.
Habe ich dieses unschätzbare Glück, das Glück, nach Wunsch und Neigung zu wählen, nicht genofsen; bin ich durch Verhälmisse, durch den Willen anderer, durch gelindere oder strengere Zwangsmittel zu diesen Schritte überredet und verleitet worden; sehe ich in dieser Rücksicht keinem großen ehelichen und häuslichen Glücke entgegen: so ist diese Aussicht freylich unange- nehm und beunruhigend für mich; aber Vernunft und Religion lehren mich auch hier meine Pflichten und in ihnen zugleich die Mittel, mir mein Schicksal zu er- leichtern. Ohne deine Zulassung, ohne deinen Wil- len konnte doch dieses schlechterdings nicht geschehen. Du selbst hast mich doch gewiß in die Umstände und in die Verbindungen mit andern gesetzt, die mir ge- genwärtig ein folches unfreywilliges Versprechen abge- nöthiget haben. -- Ferne sey es also von mir, mei- ne Aeltern oder Freunde ihres Entschlusses und Betra-
gens
Die Verlobte.
zwungen gewählt, ſo darf er erwarten, daß ich ihm kleine, unbedeutende Fehler überſehen und mich in die- ſem Stücke ſo gegen ihn verhalten werde, wie ich wünſche, daß auch er bey meinen Fehlern ſich gegen mich verhalten möge. Er trauet mir die Einſicht zu, daß ich ihn nicht als einen ganz fehlerloſen und voll- kommnen Mann, ſondern als einen ſolchen, deſſen gute Eigenſchaften größer und zahlreicher als ſeine Fehler und Mängel ſind, andern vorgezogen habe. Er hofft von meiner Liebe und Zärtlichkeit, daß ich ſeine Unvollkommenheiten ſanft und liebreich zu verbeſ- ſern ſuchen, aber dieſelben nicht zu einem Vorwande meiner Gleichgültigkeit gegen ihn gebrauchen werde.
Habe ich dieſes unſchätzbare Glück, das Glück, nach Wunſch und Neigung zu wählen, nicht genofſen; bin ich durch Verhälmiſſe, durch den Willen anderer, durch gelindere oder ſtrengere Zwangsmittel zu dieſen Schritte überredet und verleitet worden; ſehe ich in dieſer Rückſicht keinem großen ehelichen und häuslichen Glücke entgegen: ſo iſt dieſe Ausſicht freylich unange- nehm und beunruhigend für mich; aber Vernunft und Religion lehren mich auch hier meine Pflichten und in ihnen zugleich die Mittel, mir mein Schickſal zu er- leichtern. Ohne deine Zulaſſung, ohne deinen Wil- len konnte doch dieſes ſchlechterdings nicht geſchehen. Du ſelbſt haſt mich doch gewiß in die Umſtände und in die Verbindungen mit andern geſetzt, die mir ge- genwärtig ein folches unfreywilliges Verſprechen abge- nöthiget haben. — Ferne ſey es alſo von mir, mei- ne Aeltern oder Freunde ihres Entſchluſſes und Betra-
gens
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Die Verlobte.
zwungen gewählt, ſo darf er erwarten, daß ich ihm
kleine, unbedeutende Fehler überſehen und mich in die-
ſem Stücke ſo gegen ihn verhalten werde, wie ich
wünſche, daß auch er bey meinen Fehlern ſich gegen
mich verhalten möge. Er trauet mir die Einſicht zu,
daß ich ihn nicht als einen ganz fehlerloſen und voll-
kommnen Mann, ſondern als einen ſolchen, deſſen
gute Eigenſchaften größer und zahlreicher als ſeine
Fehler und Mängel ſind, andern vorgezogen habe.
Er hofft von meiner Liebe und Zärtlichkeit, daß ich
ſeine Unvollkommenheiten ſanft und liebreich zu verbeſ-
ſern ſuchen, aber dieſelben nicht zu einem Vorwande
meiner Gleichgültigkeit gegen ihn gebrauchen werde.
Habe ich dieſes unſchätzbare Glück, das Glück,
nach Wunſch und Neigung zu wählen, nicht genofſen;
bin ich durch Verhälmiſſe, durch den Willen anderer,
durch gelindere oder ſtrengere Zwangsmittel zu dieſen
Schritte überredet und verleitet worden; ſehe ich in
dieſer Rückſicht keinem großen ehelichen und häuslichen
Glücke entgegen: ſo iſt dieſe Ausſicht freylich unange-
nehm und beunruhigend für mich; aber Vernunft und
Religion lehren mich auch hier meine Pflichten und in
ihnen zugleich die Mittel, mir mein Schickſal zu er-
leichtern. Ohne deine Zulaſſung, ohne deinen Wil-
len konnte doch dieſes ſchlechterdings nicht geſchehen.
Du ſelbſt haſt mich doch gewiß in die Umſtände und
in die Verbindungen mit andern geſetzt, die mir ge-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/162>, abgerufen am 23.06.2024.
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