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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Entsagung des Leichtsinns.
bindlichkeit, die nur gewissen Klassen von Men-
schen oder nur dem hohen Alter obliegt, betrachten,
bald ihren Einfluß auf das Glück dieses Lebens be-
streiten, und sie nie in dem Lichte sehen, in welchem
sie uns erscheinen muß, wenn wir uns derselben ganz
und immer widmen sollen. Da würde ich jedes Laster
entschuldigen, welches sich zu verfeinern, zu verbergen
und in eine andre, weniger abschreckende Gestalt ein-
zukleiden weiß. Da würde ich oft die niedrige Spra-
che führen, daß man es mit der Frömmigkeit nicht
so genau nehmen, daß man bey Beurtheilung des
Lasters nicht so strenge verfahren, daß man den Men-
schen ihre Fehler und Vergehungen nicht so hoch an-
rechnen müsse. Dä würde ich keine wahre und ächte
Tugend besitzen, wenn ich mich auch gleich vor den gro-
ben Ausbrüchen der Lasterhaftigkeit hütete, weil ich
bey meinen herrschenden Gesinnungen und Empfin-
dungen keiner dauerhaften Liebe zum Guten, Wahren
und Schönen fähig seyn könnte. Da würde ich dein
Urtheil, o Gott, weniger als das Urtheil der Welt
scheuen, mich mehr vor andern als vor mir selbst schä-
men, und mir alles Schlechte und Unanständige er-
lauben, so bald ich mich nur von allen Zeugen mei-
ner Handlungen entfernt glaubte.

Ferne sey es von mir, daß ich aus Leicht-
sinn meine weiblichen und häuslichen Pflichten ge-
ring schätzen und dieselben von der wahren, christ-
lichen Tugend und Frömmigkeit trennen sollte.
Durch dieses Vorurtheil verblendet würde ich alle
Geschäffte, die du mir aufträgst, für eine drük-

kende

Entſagung des Leichtſinns.
bindlichkeit, die nur gewiſſen Klaſſen von Men-
ſchen oder nur dem hohen Alter obliegt, betrachten,
bald ihren Einfluß auf das Glück dieſes Lebens be-
ſtreiten, und ſie nie in dem Lichte ſehen, in welchem
ſie uns erſcheinen muß, wenn wir uns derſelben ganz
und immer widmen ſollen. Da würde ich jedes Laſter
entſchuldigen, welches ſich zu verfeinern, zu verbergen
und in eine andre, weniger abſchreckende Geſtalt ein-
zukleiden weiß. Da würde ich oft die niedrige Spra-
che führen, daß man es mit der Frömmigkeit nicht
ſo genau nehmen, daß man bey Beurtheilung des
Laſters nicht ſo ſtrenge verfahren, daß man den Men-
ſchen ihre Fehler und Vergehungen nicht ſo hoch an-
rechnen müſſe. Dä würde ich keine wahre und ächte
Tugend beſitzen, wenn ich mich auch gleich vor den gro-
ben Ausbrüchen der Laſterhaftigkeit hütete, weil ich
bey meinen herrſchenden Geſinnungen und Empfin-
dungen keiner dauerhaften Liebe zum Guten, Wahren
und Schönen fähig ſeyn könnte. Da würde ich dein
Urtheil, o Gott, weniger als das Urtheil der Welt
ſcheuen, mich mehr vor andern als vor mir ſelbſt ſchä-
men, und mir alles Schlechte und Unanſtändige er-
lauben, ſo bald ich mich nur von allen Zeugen mei-
ner Handlungen entfernt glaubte.

Ferne ſey es von mir, daß ich aus Leicht-
ſinn meine weiblichen und häuslichen Pflichten ge-
ring ſchätzen und dieſelben von der wahren, chriſt-
lichen Tugend und Frömmigkeit trennen ſollte.
Durch dieſes Vorurtheil verblendet würde ich alle
Geſchäffte, die du mir aufträgſt, für eine drük-

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[123/0135] Entſagung des Leichtſinns. bindlichkeit, die nur gewiſſen Klaſſen von Men- ſchen oder nur dem hohen Alter obliegt, betrachten, bald ihren Einfluß auf das Glück dieſes Lebens be- ſtreiten, und ſie nie in dem Lichte ſehen, in welchem ſie uns erſcheinen muß, wenn wir uns derſelben ganz und immer widmen ſollen. Da würde ich jedes Laſter entſchuldigen, welches ſich zu verfeinern, zu verbergen und in eine andre, weniger abſchreckende Geſtalt ein- zukleiden weiß. Da würde ich oft die niedrige Spra- che führen, daß man es mit der Frömmigkeit nicht ſo genau nehmen, daß man bey Beurtheilung des Laſters nicht ſo ſtrenge verfahren, daß man den Men- ſchen ihre Fehler und Vergehungen nicht ſo hoch an- rechnen müſſe. Dä würde ich keine wahre und ächte Tugend beſitzen, wenn ich mich auch gleich vor den gro- ben Ausbrüchen der Laſterhaftigkeit hütete, weil ich bey meinen herrſchenden Geſinnungen und Empfin- dungen keiner dauerhaften Liebe zum Guten, Wahren und Schönen fähig ſeyn könnte. Da würde ich dein Urtheil, o Gott, weniger als das Urtheil der Welt ſcheuen, mich mehr vor andern als vor mir ſelbſt ſchä- men, und mir alles Schlechte und Unanſtändige er- lauben, ſo bald ich mich nur von allen Zeugen mei- ner Handlungen entfernt glaubte. Ferne ſey es von mir, daß ich aus Leicht- ſinn meine weiblichen und häuslichen Pflichten ge- ring ſchätzen und dieſelben von der wahren, chriſt- lichen Tugend und Frömmigkeit trennen ſollte. Durch dieſes Vorurtheil verblendet würde ich alle Geſchäffte, die du mir aufträgſt, für eine drük- kende

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/135>, abgerufen am 24.11.2024.